Allmächtige Eltern?

04.03.2002 | AutorIn:  Dr. Oliver Tolmein | Recht

Embryonale Stammzellen und rechtliche Verfügungsmacht

konkret, Heft 3/2002: Die Entscheidung des Bundestags, die Einfuhr menschlicher embryonaler Stammzellen nur ein bisschen zuzulassen, hat nebenbei die Eltern ermächtigt, über ihre Kinder in spe ganz und gar frei zu verfügen. Der Kompromiss-Antrag im Bundestag kann, wenn er Gesetz wird, die Bioethik-Debatte in Deutschland auf ein neues rechtliches Fundament stellen.

Während die meisten im Bundestag über Menschenwürde und Gewissen philosophierten nutzte der bündnisgrüne Abgeordnete Schmidt (Hitzhofen) am 30. Januar die Gelegenheit, Redefreiheit der besonderen Art zu praktizieren und die Forschung übers Wasser zu schicken: "Mit der Forschung an embryonalen Stammzellen wird ein ethischer Rubikon überschritten." Klassischer Unbildung hin, Pisa-Studie her -auf den rechten Glauben kommt es an und so konterte Christoph Matschie (SPD) gelassen:"Ich glaube nicht, dass es von vornherein verwerflich ist und dass der Rubikon überschritten wird." Eine Auffassung, die seinen Fraktionskollegen Dr. Ernst Dieter Rossmann (SPD) zu einem Parforceritt über den Metaphernparcours anspornte: "Wir brauchen einen starken Standpunkt, damit aus dem, was wir als Anker des Embryonenschutzgesetzes haben, kein Treibanker wird, der uns absichtlich unabsichtlich über den Rubikon führt." Der Treibanker als Führer, an einem 30. Januar und eingedenk des Bürgerkrieges, den Cäsar mit seinem Heerzug über den Rubikon auslösen wollte - das ist unabsichtlich-absichtlich klar gesprochen. Dass die deutschen Abgeordneten des Bundestag in der Debatte über den Import menschlicher embryonaler Stammzellen sich nicht nur aus Fraktionsdisziplin lösen, sondern auch von Grammatik und Semantik befreien würden, stand zu befürchten. Es stürzt den Leser aber nicht zuallererst in eine gedankliche Krise wenn Monika Knoche formuliert: "Wir haben die Aufgabe, eine menschenrechtlich relevante Frage in einem werteprogressiven Sinn zu beantworten" - der Weg vom äußerst allgemein gehaltenen Bedenken führt nur nicht zur Auseinandersetzung mit dem, was das besondere am heftig umstrittenen, nunmehr vom Parlament beschlossenen Antrag ausmacht, der den geradezu idealtypischen Ja-.Aber-Titel trägt: "Import humaner embryonaler Stammzellen grundsätzlich verbieten und nur unter engen Voraussetzungen zulassen" (Drucksache 14/8102).

Der Antrag des schwarz-rot-grünen Dreigestirns Böhmer, von Renesse und Fischer ist nicht nur unsinnig, weil schon eine etwas gründlichere Beschäftigung mit den Forschungsvorhaben, über die nun seit Monaten diskutiert wird, deutlich macht, daß die vorhandenen Stammzell-Linien keinesfalls für das ausreichen können, was die Wissenschaftler, wenn sie dieses Experimentierfeld betreten wollen, machen müssen. Auch die in den Mittelpunkt des Antrags gestellte Behauptung, "Kein Embryo wird durch unsere Regelung geschädigt, sondern wir nutzen das Vorhandene" (von Renesse), kann es an vorstellungsarmem Pragmatismus mit dem evangelikalen Flach-Sinn eines Peter Hintze aufnehmen, dem alles recht ist, wenn es sich nur als "Ja zur Heilung des Gegenüber" verkaufen läßt. Weitaus bedenklicher aber ist die in den Beschluß eingerückte, möglicherweise als hohe Hürde für den Import begriffene Bedingung, daß die Stammzellen aus dem menschlichen Embryo nur gewonnen werden dürften, wenn das "Einverständnis der Eltern" vorliege. Diese Klausel birgt, blickt man über die aktuelle Debatte hinaus, gesellschaftspolitischen und bioethischen Sprengstoff der besonderen Art.

Dabei klingt die Bedingung beim ersten Zuhören durchaus sinnvoll: Der Embryo ist aus Ei und Sperma seiner Eltern erzeugt, wenn er nicht implantiert wird, muss irgendetwas etwas mit ihm geschehen und da er selbst nicht entscheiden kann - warum sollen es nicht der Mann und die Frau entscheiden, die seine Erzeugung veranlasst haben. Bei gründlicherer Überlegung allerdings erscheint, was als Bedingung formuliert worden ist, die Experimenten mit Embyronen Einhalt gebieten soll, als Ermächtigung: Die Erzeuger des Embryos entscheiden hier nicht irgendetwas, sie beschließen nicht, den Embryo bis bessere Zeiten kommen ins Eis zu schicken oder ihn, weil sie ihn nicht mehr brauchen, seinem traurigen Schicksal zu überantworten und ihn wegzuspülen. Sie wollen, dass er, wenn er denn seinen eigentlichen guten Zweck nicht erfüllen kann, dann doch für weitere gute Zwecke zur Verfügung steht. Die letzten DM für UNICEF, die überzähligen Embryonen für die Grundlagenforschung.. Eltern können damit Kinder nicht mehr nur zur Fortpflanzung zeugen, sie können die Embryonen auch zur sonstigen Nutzung herstellen .Damit, das ist die Essenz dieser Passage, können sie auch bestimmen, daß der Embryo fremdnützig verbraucht wird. Er wird so zum Material. Diese Verfügungsmacht ist im deutschen Recht beispiellos. Bislang hatte allenfalls die in körperlicher Einheit mit dem Embryo lebende schwangere Frau das Recht, dessen Leben durch den Abbruch der Schwangerschaft zu beenden. Jetzt wird die Verfügungsmacht von der Schwangerschaft entkoppelt, ausgeweitet und zusätzlich auf den Mann übertragen. Es wird nicht nur entschieden, dass es zu keiner Schwangerschaft kommt, sondern welchen Nutzen dieser Embryo sonst noch bringen soll. So viel Macht qua biologischer Verbundenheit war nie: Weder das Familien- noch das Betreuungsrecht gewähren auch nur annähernd vergleichbare Rechte und auch dem Medizinrecht sind so weitreichende Ermächtigungen unbekannt ist. Eltern ist es versagt, für ihr Kind die Einwilligung zur Teilnahme an fremdnützigen Forschungsvorhaben zu geben, sie dürfen es nicht sterilisieren lassen und sie haben auch kein Züchtigungsrecht. Nun ist der Embryo kein Kind, er ist aber auch kein Nichts - und vor allem ist er bislang, in welchem Stadium auch immer, kein Eigentum das seine Eltern anderen zur Nutzbarmachung überantworten dürften.

Bemerkenswert ist allerdings, dass es in der bioethischen Debatte die Tendenz gibt, den Angehörigen weitgehende Verfügungsrechte über menschliches Leben zuzugestehen. Mütter sollen im Zuge der Pränataldiagnose entscheiden, ob ein Kind mit bestimmten Behinderungen zur Welt kommen soll; die Präimplantationsdiagnose ermöglicht Eltern aus einer Emrhzahl von Embryonen den, der ihnen, aus welchen Gründen auch immer, am geeignetsten erscheint auszuwählen; etliche Bioethiker, wollen Eltern auch nach der Geburt eines Kindes noch ein Entscheidungsrecht über Leben und Tod gewähren; weitgehend anerkannt ist, dass Angehörige das Recht haben sollen, den Abbruch der Ernährung oder sonstiger Behandlungsmaßnahmen bei Menschen im Wachkoma zu entscheiden; nach Auffassung vieler Bioethiker sollen Angehörige auch entscheiden, ob nach der Hirntoddiagnose Organe für Spenden entnommen werden können. Die Rede von der "sanften Macht der Familie" erhält so im bioethischen Kontext ihre ganz eigene Bedeutung. Die, wie sehr auch immer als Patchwork zusammengefügte, Familie soll so als Keimzelle der Gesellschaft funktionieren, die sich ohne Einsatz direkter staatlicher Gewalt optimal organisiert. Der Staat sichert durch seine Verlagerung sozialer Lasten in die Familie BEI gleichzeitiger Garantie der Nicht-Einmischung dass hier die Entscheidungen getroffen werden, die sich als politische Entscheidungen kaum durchsetzen ließen.

Die Entscheidung, die den Import der Stammzellen zulässt und die Verfügungsbefugnis über die Embryonen den biologischen Eltern zuweist, ist in diesem Szenario zu verstehen. Es geht um weitreichende Entscheidungsbefugnisse über Leben, Entscheidungsbefugnisse, die über die sonst im bioethischen Diskurs üblichen Notstandsszenarien bei denen Gefahr und Rettung durch Instrumentalisierung eines anderen deutlich hinausgehen. Es ist nicht anzunehmen, dass das schwarz-rot-grüne Dreigestirn seinen Antrag als Verwirklichung eines solchen, geheimen Plans verstanden hat. Wahrscheinlicher ist, dass ihm die Brisanz der vorgeschlagenen Regelung gar nicht bewusst war. Das aber zeigt deutlicher als die schwulstigen Redebeiträge in denen keine Minute ohne einen Appell an die Menschenwürde verging, was die Stnde geschlagen hat und wem.

PS.: Die Debatte fand, Zufall oder nicht, am 30. Januar statt. Und sie stand, wie viele deutsche Debatten über Bioethik auch im Zeichen der Befreiung von der eigenen Geschichte, Befreiung durch Verschweigen, denn mit keinem Wort wurde der Medizin im Nationalsozialismus gedacht, die Menschen grausam und rücksichtlos wie niemals zuvor und neimals danach zum Mittel der Forschung gemacht hat. Wirklich kein Wort? Margot von Renesse (SPD), eine der Begründerinnen des "Nein, aber ja"-Antrages hat den Exkurs in die Vergangenheit, die vergehen soll gewagt. Billigen Abgeordnete, die jetzt der Nutzung von vorhandenen Stammzell-Linien das Wort reden, die durch die Zerstörung von menschlichen Embryonen gewonnen wurden, diese Zerstörung nachträglich? Der Abgeordneten fiel kein Argument und keine Antwort ein, aber eine Gegenfrage: "Billigen wir die KZ-Menschenversuche, weil auch bis heute - im Übrigen klägliche - Erkenntnisse aus der damaligen Zeit verwendet werden?" Bemerkenswert gefragt, geriet so doch die Debatte über die Nutzung der menschlichen embryonalen Stammzellen in den Kontext in den sie auch gehört. Nicht weil das eine und das andere gleichzusetzen wäre - aber neben vielen Unterschieden gibt es auch Gemeinsamkeiten. Überdies wäre ja interessant zu wissen, warum Frau von Renesse die Antwort auf ihre Frage nicht einfiel: Ja. Und wir hätten wenig verloren, wenn die Ergebnisse dieser Medizin in der Heilen und Vernichten so eng verkoppelt waren, verschlossen und vergessen und worden wären. Denn dass die Ergebnisse der KZ-Menschenversuche kläglich waren hängt ja nicht mit der falschen weltanschaulichen Gesinnung der Wissenschaftler, sondern unter anderem mit ihrem reduktionistisch-mechanistische Bild vom Menschen zusammen. Das aber ist es wohl, das in viel zu vielen Labors und Kliniken überdauert hat und heute dazu führt , dass sich Forschung auch heute noch auf klägliche Erkenntnisse aus dieser Zeit beruft...

Weiterführende Links

    Das Protokoll der Bundestagssitzung | http://www.bundestag.de/pp/214/index.html
    Der Bericht der Bundestagsenquete-Kommission zur Stammzellforschung | http://www.bundestag.de/gremien/medi/medi_2zwisch.html

 

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