Betreungsrechtliche Pflicht oder Strafrechtliche Erlaubnis

10.03.2005 | AutorIn:  Dr. Oliver Tolmein | Euthanasie

Ein neuer Vorschlag in der Sterbehilfe-Debatte

F.A.Z., 10.03.2005, Nr. 58 / Seite 46: Heute debattiert der Bundestag über Patientenverfügungen. Einen neuen Vorschlag hat Margot von Renesse eingebracht, ehemalige SPD-Bundestagsabgeordnete und Vormundschaftsrichterin.

Die heutige Debatte im Bundestag über den Bericht der Enquetekommission "Recht und Ethik der modernen Medizin" über Patientenverfügungen bietet der Öffentlichkeit zum erstenmal Gelegenheit, sich ein Bild von der Stimmung im Parlament zum Thema "Sterben und Sterbehilfe" zu machen. Noch aber fehlen die konkret ausgearbeiteten Gesetzesvorschläge, die fraktionsübergreifend konsensfähig sein könnten. Ansatzpunkte für die internen Debatten unter den Parlamentariern hat die SPD-Politikerin Margot von Renesse gegeben, die in der letzten Legislaturperiode Vorsitzende der Enquetekommission war und die als langjährige Vormundschaftsrichterin mit der Thematik vertraut ist. Frau von Renesse, die nicht mehr im Bundestag sitzt, hat den Fraktionen von SPD und Grünen ihre Überlegungen präsentiert, die an zwei entscheidenden Punkten von den Vorstellungen der Justizministerin Zypries abweichen. In Renesses Augen sind Patientenverfügungen keine Willenserklärungen im Sinn des zivilrechtlichen Vertragsrechts, weil die Patienten mit ihnen, anders als Parteien bei einem Vertragsschluß, keine rechtliche Bindung eingehen wollten. Patienten wollten damit lediglich für einen eventuell eintretenden Zustand, in dem sie nicht mehr selbst entscheiden können, Wünsche äußern. Weil eine Patientenverfügung voraussetzt, daß Dritte tätig werden, ist sie nach Renesses Auffassung gerade nicht Sicherstellung der autonomen Willensbildung "bis zuletzt", sondern ein Handlungsauftrag an andere, der im Zusammenhang des Betreuungsrechts zu sehen ist.

Im Betreuungsrecht ist der Betreuer zwar verpflichtet, Wünschen des Betreuten zu entsprechen, er ist aber nie bloß ausführendes Organ. Maßstab seines Handelns ist das Wohl des Betreuten. Was dessen Wohl umfaßt, ergibt sich zwar aus dessen Wünschen, also auch aus einer Patientenverfügung, aber die Ermittlung erfolgt jeweils konkret in der zur Entscheidung drängenden Situation und kann deswegen nicht zwingend vorgezeichnet sein. Zudem gibt es, meint Renesse und verweist dafür vor allem auf die Entscheidung des XII.Zivilsenats des Bundesgerichtshofes, eine Grenze: Betreuer oder Bevollmächtigte dürfen den Wünschen nur so weit Geltung verschaffen, wie es das Strafrecht erlaubt. In einem Aufsatz für die Zeitschrift "Betreuungsrechtliche Praxis" argumentiert sie deswegen: "Das Strafrecht ist der Ort, wo der Gesetzgeber einer Patientenverfügung Raum geben kann." Sie regt an, eine Vorschrift bei den Tötungsdelikten einzuführen, die regelt, daß straffrei bleiben soll, wer lebensverlängernde medizinische Hilfe unterläßt und so den durch ein Grundleiden drohenden Tod nicht verhindert - vorausgesetzt, der Patient hat einen solchen Willen klar, etwa durch eine Patientenverfügung, zum Ausdruck gebracht. Während bei einer Patientenverfügung, der bindende Wirkung zugeschrieben wird, ein Betreuer also in jedem Fall gezwungen wäre, den Tod durch Unterlassen der Behandlung herbeizuführen, soll durch eine derartige strafrechtliche Regelung lediglich sichergestellt werden, daß ein Betreuer oder Arzt nicht bestraft werden könnte, wenn er einer solchen Aufforderung folgte. Die Gefahr ist allerdings groß, daß gerade eine strafrechtliche Lösung, die notwendigerweise eine Ausnahme vom Tötungsverbot konstituiert, in der Folge erhebliche Weiterungen nach sich zieht, statt den Schutz des Lebens zu unterstreichen.

 

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