Dazu kann man schlecht nein sagen!

16.11.2012 | AutorIn:  Dr. Oliver Tolmein | Recht

Bundesregierung präsentiert Regelungsentwurf für Zwangsbehandlungen im Betreuungsrecht

Eine andere Version dieses Textes erschien in der FAZ am 16.11.2012: Der Bundesgerichtshof hat festgestellt, dass es keine Rechtsgrundlage für Zwangsbehandlungen im Betreuungsrecht gibt. Die Bundesregierung bessert schnell und klammheimlich nach: eine "Formulierungshilfe" soll den Grundrechtseingriff in einem Gesetzentwurf über die internationale Geltendmachung von Unterhaltsansprüchen verstecken.

Es gibt Themen, die verlangen Öffentlichkeit. Die Frage, ob es erlaubt sein soll und wenn ja unter welchen Voraussetzungen, psychisch kranke oder demente Menschen gegen ihren Willen medizinisch zu behandeln, gehört sicher dazu. Ein Gesetzentwurf , den die Bundesregierung unter dem Namen „Formulierungshilfe für einen Änderungsantrag“ in eine geplanten Regelung über die internationale Geltendmachung von Unterhaltsansprüchen hineinschummelt, ist sicher nicht geeignet, die notwendige Diskussion über die denkbar schwersten Eingriffe in die Freiheitsrechte eines Menschen anzustoßen. Dass die Koalition dennoch versucht, die zeitweilige Aufhebung grundlegender Persönlichkeitsrechte nebenbei im gesetzgeberischen Sauseschritt zu regeln , irritiert und wirft die Frage auf, ob sich die Bundesjustizministerin Leutheusser-Schnarrenberger aus deren Haus der getarnte Gesetzentwurf stammt, für die Wahrung von Grund- und Menschenrechten nur interessiert, wenn es um Datenschutzbelange und Strafverfolgung geht.

Aber auch jenseits der vom Kabinett gewählten Form, die dazu führen könnte, dass die Legalisierung von Zwangsbehandlungen ohne Anhörung und gründliche parlamentarische Debatte durchgezogen werden würde, ist das Gesetzgebungsvorhaben bedenklich. So einfach, wie es der Gesetzentwurf suggeriert, sind die menschenrechtlichen Standards für die medizinische Behandlung von Menschen, die als einwilligungsunfähig gelten und die deshalb gesetzliche Betreuer haben, nicht zu wahren.

Das Bundesverfassungsgericht hat letztes Jahr in seinen beiden grundlegenden Entscheidungen zur Zwangsbehandlung von psychisch kranken Rechtsbrechern im Maßregelvollzug hohe Hürden für eine medizinische Behandlung gegen den Willen der Betroffenen errichtet – und der Bundesgerichtshof hat in diesem Jahr in mehreren Entscheidungen unterstrichen, dass diese Standards erst recht für Menschen gelten, die keine Gesetze gebrochen haben, denen das Betreuungsgericht nur attestiert hat, dass sie ihre gesundheitlichen Angelegenheiten nicht selbst regeln können. Den Karlsruher Richtern kam es in ihrer Entscheidung mit der sie die entsprechenden Regelungen des rheinland-pfälzischen Maßregelvillzugs-Gesetzes für verfassungswidrig erklärten, darauf an zu klären, dass es keine rhetorische Figur ist, die Zwangsbehandlung als „ultima ratio“ zu bezeichnen. Sie haben sich bemüht, diese routinierte Phrase mit Inhalt zu füllen. Vor allem muss versucht werden, den Patienten aufzuklären und zu überzeugen: „Der Zwangsbehandlung muss, soweit der Betroffene gesprächsfähig ist, unabhängig von seiner Einsichts- und Einwilligungsfähigkeit der ernsthafte, mit dem nötigen Zeitaufwand und ohne Ausübung unzulässigen Drucks unternommene Versuch vorausgegangen sein, die auf Vertrauen gegründete Zustimmung des Untergebrachten zu erreichen.“ Da auch Menschen, die angeblich nicht mehr in der Lage sind, selbst über ihre medizinische Behandlung zu entscheiden dennoch das Recht zusteht, sich wie andere unvernünftig zu verhalten, an der Gesundheit Raubbau zu betreiben und sich selbst zu schädigen, muss ein solches Gespräch auch ergebnisoffen geführt werden können: nicht nur der Betreute muss die Möglichkeit haben, seine Bedenken zu überwinden, auch der Arzt muss aber offen dafür sein, die Ablehnung der für indiziert gehaltenen Behandlung als Entscheidung des Patienten eventuell doch noch zu akzeptieren. Wie aufwändig und mühselig solche Gespräche mit Patienten sein können, die an fortgeschrittenen Demenzen oder Borderline-Störungen leiden, ist gut vorstellbar. Wer die Verhältnisse gerade auf den geschlossenen psychiatrischen Stationen kennt, weiß dass die Voraussetzungen für so viel Offenheit und Flexibilität hier kaum gegeben sind.

Der Gesetzentwurf des Bundeskabinetts befasst sich mit solchen Problemen in der realen Welt der Kliniken nicht, sondern begnügt sich damit zu verordnen, was in kritischen Fällen - ob es um Telefonüberwachung, nicht freiwillige Sterilisation oder Blutentnahme geht - immer verordnet wird: ein Richtervorbehalt. Damit ist aber für die Grundrechte der Betroffenen wenig gewonnen – nicht nur weil auch die Betreuungsgerichte zunehmend überlastet sind und damit kaum in der Lage zu prüfen, ob wirklich alles versucht wurde, eine Zwangsbehandlung zu umgehen. Schon heute steht die zwangsweise Unterbringung nach Paragraph 1906 BGB unter einem Richtgervorbehalt. Genau diese Vorschrift wurde bislang aber ohne weitere Umstände - wie der Bundesgerichtshof jetzt festgestellt hat rechtswidrig - als Grundlage für die Genehmigung von Zwangsbehandlungen genommen. Der Gesetzgeber will also nichts wirklich ändern, er will nur die bisherige Praxis durch eine Formulierungsänderung im Gesetz für die Zukunft absichern. Der Gesetzgeber trickst hier also mit Formulierungen, statt zu versuchen, die programmatischen Aussagen der höchstrichterlichen Rechtsprechung aufzugreifen und umzusetzen. Der Bundestag darf diesen Weg nicht mitgehen. Auch und vielleicht gerade weil er so schnell und effizient beschritten werden kann. Das Thema Zwangsbehandlung, das allein im Betreuungsrecht jedes Jahr zehntausende Menschen betrifft, Menschen, die aufgrund ihrer schweren Erkrankungen und Behinderungen auch in besonderem Maße schutzbedürftig sind, läßt sich nicht mal eben nebenbei erledigen. Die Grünen haben das in einer kritischen Stellungnahme zum Kabinettsentwurf deutlich formuliert: „(Um) Zwangsbehandlungen künftig weitestgehend zu vermeiden sind auch Veränderungen im psychiatrischen Alltag erforderlich.“

Es geht hier nicht um das Betreuungsrecht allein. Die gegenwärtige Lage, die Zwangsbehandlungen grundsätzlich unmöglich macht, ist sicher für die Kliniken unbefriedigend. Wenn aber behauptet wird, dass sich ohne die Möglichkeit zur Zwangsbehandlung nur eine Verwahrpsychiatrie machen lässt, signalisiert das zu allererst, wie Ernst die Lage in den Kliniken und wie dringend erforderlich ein Umsteuern ist. Freiheit ist schließlich ein Gut, das nicht nur Menschen zusteht, die gesund und fit für sich selbst entscheiden können. Gerade angesichts der stetig wachsenden Zahl von Menschen, die gesetzlicher Betreuung bedürfen erscheint die Achtung von deren Würde und Rechte eine Aufgabe, über deren Erfüllung eingehend und mit mehr Kreativität diskutiert werden muss, als sie die Bundesregierung hier bewiesen hat.

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Weiterführende Links

    Die Formulierungshilfe der Bundesregierung | http://www.bmj.de/SharedDocs/Downloads/DE/pdfs/Formulierungshilfe_Gesetzes_zur_Durchfuehrung_des_Haager_Uebereinkommens.pdf?__blob=publicationFile
    Einer der entscheidenden Beschlüsse des Bundesgerichtshofes | http://juris.bundesgerichtshof.de/cgi-bin/rechtsprechung/document.py?Gericht=bgh&Art=en&sid=f66a5de29ed3de8f5c1a538ce76445ac&nr=60970&pos=2&anz=9
    Auflistung der Rechtsprechung des BGH zu Zwangsbehandlung | http://juris.bundesgerichtshof.de/cgi-bin/rechtsprechung/list.py?Gericht=bgh&Art=en&sid=f66a5de29ed3de8f5c1a538ce76445ac

 

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