Der dritte Entwurf
13.11.2008 | AutorIn: Dr. Oliver Tolmein | Recht
An die Stelle der Selbstbestimmung tritt in der Debatte um Patientenverfügungen unversehens die medizinische Vernunft: Der Entwurf von Wolfgang Zöller und Herta Däubler-Gmelin
Gesetze zu formulieren ist eine Kunst. Die Normen sollen verständlich sein und gleichzeitig schwer durchdringliche Sachverhalte dauerhaft regeln. Wenn der Bundestag jetzt Regeln dafür zu finden versucht, wie Behandlungsentscheidungen getroffen werden sollen, in denen es um Leben und Tod geht, überrascht die Vielfalt der Ansätze nicht.
Der Entwurf des "Gesetzes zur Änderung des Betreuungsrechts" (Stünker, Kauch) ist ein Regelwerk, das durch Einfachheit besticht. Es behandelt den von anderen erschlossenen mutmaßlichen und den früher einmal tatsächlich geäußerten Willen gleich. Es kennt auch kaum Schutzbestimmungen. Rechtssicherheit erscheint als beherrschendes Ziel, zurück tritt das Bestreben, das Selbstbestimmungsrecht in jedem Fall zu wahren. Der mutmaßliche Wille kann tatsächlichen früheren Vorstellungen zuwiderlaufen.
Der später eingebrachte, mittlerweile von neunundsechzig Abgeordneten (darunter Wissenschaftsministerin Schavan, die Fraktionsvorsitzende der Grünen Künast und Bundestagsvizepräsident Thierse) getragene Entwurf des "Gesetzes zur Verankerung der Patientenverfügung im Betreuungsrecht" (Bosbach, Röspel) orientiert sich anders: Das Selbstbestimmungsrecht wird durch Beratung und Aufklärung gestärkt, ein tatsächlich geäußerter Wille stärker gewichtet als ein nur vermuteter. Zudem wird dem Gedanken, dass der Staat Leben schützen soll, Raum gegeben. Die Lösung ist klar, aber differenziert und damit nicht mehr so einfach. Jetzt ist ein dritter Entwurf eingebracht worden, von Wolfgang Zöller (CSU), Herta Däubler-Gmelin (SPD) und Monika Knoche (Linke).
Im neu zu schaffenden Paragraphen 1901b des Bürgerlichen Gesetzbuches hebt das "Gesetz zur Klarstellung der Verbindlichkeit von Patientenverfügungen" hervor, dass "Erklärungen zur Behandlung und Entscheidungen über die Einwilligung oder Nichteinwilligung" in medizinische Behandlungen auch nach Verlust der Einwilligungsfähigkeit fortwirken. In der Gesetzesbegründung locken die Autoren mit niedrigen Anforderungen, die sie an Patientenverfügungen stellen: "Der Verfasser muss sich keiner medizinischen oder juristischen Fachterminologie bedienen. Es ist ausreichend, wenn der Sinn im Wege der Auslegung in Anwendung des Rechtsgedankens des § 133 BGB ermittelt werden kann." Das hat seinen Preis. Der neu geschaffene § 1901d BGB teilt mit: "Der Arzt prüft, welche Behandlungsmaßnahme indiziert ist, und erörtert diese unter Berücksichtigung des verbindlichen Patientenwillens mit dem Betreuer." Die Auslegungsbedürftigkeit macht die Patientenverfügung zum Verhandlungsgegenstand zwischen Dritten: "Die Ermittlung des Patientenwillens ist ein dialogischer Prozess zwischen behandelndem Arzt und rechtlichem Vertreter des Patienten. An der Spitze steht die Feststellung der medizinischen Indikation durch den Arzt."
An die Stelle des versprochenen Selbstbestimmungsrechtes tritt unversehens die medizinische Vernunft: nicht unbedingt ein schlechteres, aber ein ganz anderes Konzept. Gesetze zu formulieren ist nicht nur eine Kunst. Es ist auch eine Aufgabe: Gesetze sollen ihr Anliegen offen vertreten. Wer die Rolle des Arztes am Lebensende stärken möchte, sollte das nicht in einem "Patientenverfügungsverbindlichkeitsgesetz"
Alle Gesetzentwürfe und mehr Material zum Themenkomplex Patientenverfügung vom grünen Abgehordneten Dr. Harald Terpe
Wenn Sie selbst überlegen eine Patientenverfügung oder Vorsorgevollmacht zu entwerfen, dann wenden Sie sich an die Kanzlei Menschen und Rechte.