Die Ablehnung hat Gründe

13.12.2011 | AutorIn:  Oliver Tolmein | Medizinethik allgemein

Ein brisantes Gutachten des Deutschen Krankenhausinstituts für die Deutsche Stiftung Organtransplantation zur Organspendebereitschaft wird unter Verschluss gehalten

Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 13.12.2011 Seite 31: Viele Menschen werden aus guten Gründen keine Organspende: Statt auf der Intensivstation für hirntot erklärt zu werden, wollen sie auf einer Palliativstation ohne maschinelle Beatmung sterben.

Das Gutachten umfasst 164 Seiten, trägt einen nüchternen Titel und müsste, wenn es die Abgeordneten des Bundestages läsen, bevor sie über die Reform des Transplantationsgesetzes beschließen, den Gang der parlamentarischen Debatte in andere Bahnen lenken. Der dieser Zeitung vorliegende „vertrauliche Zwischenbericht“ des Forschungsgutachtens „Inhousekoordination bei Organspenden“, den das Deutsche Krankenhaus Institut für die Deutsche Stiftung Organtransplantation (DSO) in Zusammenarbeit mit 112 Krankenhäusern der Schwerpunkt- und der Maximalversorgung erstellt hat, führt vor Augen, wieso sich die Zahl der Organtransplantationen mit den bislang vom Gesetzgeber ins Auge gefassten Mitteln auch nicht annähernd in dem von den Befürwortern der Änderungen für erforderlich gehaltenen Umfang erhöhen lässt: Es gibt offenbar keineswegs ein erhebliches Potential an Spendern in den Krankenhäusern, die nur aus organisatorischen Gründen nicht erreicht werden.

In der Praxis führen im Gegenteil die festere Verankerung der Palliativmedizin sowie ein durch die Debatte um Patientenverfügungen verstärkt zutage getretenes Interesse an Therapiebegrenzungen dazu, dass viele Menschen so behandelt werden, dass sie von vornherein für eine spätere Organentnahme ausscheiden. Offensichtlich ist auch der Anteil von Angehörigen, die eine Organentnahme bei Verstorbenen ablehnen, erheblich höher, als sich den Zahlen entnehmen lässt, die in den Jahresberichten der DSO ausgewiesen werden. Im Untersuchungszeitraum wurden von den teilnehmenden Krankenhäusern gut zweihundert „Todesfälle mit nachgewiesenem Hirntod“ der DSO nicht gemeldet, „überwiegend weil bereits eine Ablehnung der Angehörigen oder des Verstorbenen zu Lebzeiten vorlag“. Im selben Zeitraum gab es lediglich 189 Fälle, in denen eine Hirntoddiagnostik sinnvoll gewesen wäre, um potentielle Organspender zu identifizieren, dann aber tatsächlich unterblieben ist.

Das Potential von „möglichen Spendern“ liegt nach Erkenntnissen des Deutschen Krankenhaus Instituts bei allenfalls 30 Prozent, von denen ein erheblicher Teil zudem älter als 75 Jahre ist. Und nur bei einem Teil der „möglichen Spender“ wären im Ernstfall die medizinischen oder rechtlichen Voraussetzungen zur Organspende tatsächlich gegeben. Die Warteliste, auf der 12 000 Menschen stehen sollen, ließe sich auch bei Ausschöpfung dieses Potentials nicht drastisch verkürzen.

Der Zwischenbericht stellt fest, dass „auch bei den Patienten mit schweren Hirnschädigungen die fehlende Zustimmung zu bestimmten intensivtherapeutischen Maßnahmen einen wesentlichen Grund dafür“ bildet, „dass es zu keiner Abklärung oder Durchführung einer Organspende kam“. Insbesondere die Entscheidung für palliativmedizinische Maßnahmen statt für eine Intensivtherapie mit Beatmung bei infauster Prognose führt dazu, dass Patienten an anderen Ursachen als an einem Hirntod versterben und mithin gar nicht mehr als Organspender in Betracht kommen. Unter dem Stichwort „Mitarbeiterqualifizierung“ wird dargelegt: „Sehr frühe Eröffnung einer infausten Prognose führt offensichtlich zu verfrühtem Angehörigenwunsch nach Einstellung der Intensivtherapie.“ Empfohlen werden deshalb „Einzelgespräche der Inhouse-Koordination mit den Intensivoberärzten mit dem Ziel eines modifizierten Eingangsgesprächs“. Während in der Öffentlichkeit die Gefahr gesehen wird, dass eine Erklärung, mit der man sich als Organspender zur Verfügung stellt, dazu führen könnte, dass man vorzeitig nicht mehr ausreichend behandelt wird, ist in Wirklichkeit anscheinend das Gegenteil ein Problem: Wer seine Bereitschaft zur Spende erklärt, droht als beatmeter Patient auf einer Intensivstation zu landen, obwohl es dafür keine medizinische Indikation mehr gibt, außer dem Ziel, die Organe des Betreffenden zu erhalten.

Wohl auch angesichts dieser wenig publikumswirksamen Ergebnisse wurde die Studie des Deutschen Krankenhaus Instituts, die eigentlich im Sommer 2011 hätte abgeschlossen werden sollen, bis Ende 2011 fortgeführt. Der Abschlussbericht soll nun im Frühjahr 2012 vorgelegt werden – also zu einem Zeitpunkt, da der Gesetzgeber seine Änderungen des Transplantationsgesetzes bereits beschlossen haben will. Im Zwischenbericht heißt es zudem noch zurückhaltend: „Praktische Schlussfolgerungen (...) sollen hier im Zwischenbericht noch nicht weiter diskutiert werden.“ Dabei liegen Konsequenzen auf der Hand: Es zeigt sich, dass die Bereitschaft zur Organspende in vielen Fällen mehr verlangt als nur die Bereitschaft, sich nach festgestelltem Hirntod Organe entnehmen zu lassen. Organspender müssen bereit sein, sich in ihrer letzten Lebensphase nicht palliativmedizinisch behandeln zu lassen, sondern auf der Intensivstation inklusive einer Beatmung bis über den Tod hinaus.

Es geht also um eine Entscheidung, die nicht nur die postmortalen Persönlichkeitsrechte betrifft, sondern die Einwilligung in Behandlungsmaßnahmen vor dem Tod. Ohne eine gute und unabhängige Beratung und Aufklärung wird das schwerlich gehen – und auch nicht ohne Abstimmung von Transplantationsgesetz und Patientenverfügungsrecht. So tiefgreifende Gesetzesänderungen lassen sich aber nicht im Hauruckverfahren ohne angemessene öffentliche Diskussion verwirklichen und auch hoffentlich nicht im kleinen Kreis der Fraktionsvorsitzenden steuern.

 

Zurück zur Übersicht