Ein Dritter Weg?

21.01.2005 | AutorIn:  Dr. Oliver Tolmein | Euthanasie

Grüne Bundestagsfraktion erörtert Patientenverfügungen

Frankfurter Allgemeine Zeitung, 21.01.2005, Nr. 17 / Seite 40: Die Grünen veranstalteten einen fraktionsoffenen Abend um sich über die widerstreitenden Positionen zu Sterbehilfe und Patientenverfügungen klar zu werden. Er war schlecht besucht, führte aber weiter.

In der Auseinandersetzung über Sterbehilfe geht es nach dem Eindruck der grünen Bundestagsabgeordneten Christa Nickels so zu wie in der Debatte über Schulpolitik: "Jeder hat seine Erlebnisse und glaubt deswegen kompetent mitreden zu können." Dabei würde aber vernachlässigt, so Nickels, die auf 15 Jahre Berufspraxis in Kliniken zurückschauen kann von denen sie viele Jahre auf Intensivstationen als Schwester gearbeitet hat, dass auch die Diskussion dieses sehr komplexen Themas einiges Fachwissen verlange: "Niemand würde die Vorlagen des Haushaltsausschusses umschreiben und sich dabei auf seine Erfahrungen als Steuerzahler berufen." Auf einem sogenannten fraktionsoffenen Abend haben die Grünen nun versucht, ihre Positionen zur Patientenautonomie am Lebensende weiterzuentwickeln. Vier Experten waren geladen: der ehemalige Vorsitzende Richter am Bundesgerichtshof Klaus Kutzer, die frühere SPD-Bundestagsabgeordnete Margot von Renesse, der Palliativmediziner Christoph Müller-Busch und die Ärztin Jeanne Nicklas-Faust vom Bundesvorstand der Lebenshilfe. Trotz dieser Bündelung fachlicher Kompetenz kamen kaum mehr als ein Dutzend Abgeordnete und etwa zwanzig Mitarbeiter. Die grünen Minister fehlten ganz. Und das könnte sich durchaus als Problem erweisen. Denn noch hat Bundesjustizministerin Zypries vor, ihren Gesetzentwurf zur Legalisierung vieler Formen von Sterbehilfe durch eine Änderung des Betreuungsrechts als Vorschlag des Kabinetts ins Parlament einzubringen - mit der Konsequenz, daß die fachlich in dieser Frage nicht vorgebildeten grünen Minister als erste darüber abstimmen müßten.

Auch wenn die vergleichsweise geringe Präsenz der Abgeordneten bei der vom Fraktionsvorstand organisierten Sitzung nahelegt, daß das Thema nicht ins Zentrum der grünen Befindlichkeiten trifft, weckt es bei den Wählern doch so viele widerstrebende Gefühle, daß die Abgeordneten auf jeden Fall auf einem Vorschlag aus der Mitte des Parlaments bestehen werden. Das gilt insbesondere, weil die mit Abgeordneten besetzte Enquetekommission "Recht und Ethik der modernen Medizin" eine ganz andere Position zu den Möglichkeiten und Grenzen der Patientenverfügung vertritt als das Justizministerium. Die Beratung am "offenen" Abend wird angesichts dieser gerade für eine Regierungspartei schwierigen Konstellation von den Exponenten der unterschiedlichen Positionen in der Bundestagsfraktion als wichtiger Schritt nach vorn bewertet, nach dem auch die Antagonistinnen der Debatte einen gemeinsamen fraktionsübergreifenden Vorschlag für einen Gesetzentwurf zumindest nicht mehr völlig ausschließen wollen. Vor allem der Vortrag von Margot von Renesse, einer früheren Richterin, wird von Teilnehmern der Diskussion als überaus wichtig bewertet.

Frau von Renesse hat mit Blick auf die auseinanderdriftenden Vorschläge aus dem Bundesjustizministerium und der Enquetekommission angeregt, einen dritten Weg zu gehen. Die Lösung für die Frage, wann ein Behandlungsabbruch oder die Nichtaufnahme einer lebensrettenden Behandlung zulässig sein soll, kann ihrer Ansicht nach nicht im Betreuungsrecht, sondern nur im Strafrecht angesiedelt werden, weil das Strafrecht die Regelungsmaterie dafür ist, was in unserer Gesellschaft ethisch zulässig sein soll. Diese Idee wollen die grünen Rechtspolitiker, aber auch die Mitglieder der Arbeitsgemeinschaft Gentechnik sowie die Gesundheitspolitiker nun prüfen.

 

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