Ein Gesetz für 15 Tage

03.09.2004 | AutorIn:  Dr. Oliver Tolmein | Euthanasie

Eine neue Runde im Fall Terry Schiavo

Frankfurter Allgemeine Zeitung, 03.09.2004, Nr. 205 / Seite 40: Terry Schiavo liegt im Wachkoma und zwischen ihren Eltern und ihrem Mann tobt seit Jahren ein bitterer Kampf darüber, ob sie am Leben gehalten werden oder durch Entzug künstlicher Nahrung getötet werden soll. Jetzt wird vor gericht darüber gestritten, ob sich Floridas Governeur Jeb Bush für den Erhalt von Terry Schiavos Leben durch Verabschiedung eines Sondergesetzes einsetzen durfte.

Die Stimmung vor dem Obersten Gerichtshof des Bundesstaates Florida war gespannt. In dem Streit um Leben und Sterben der seit vierzehn Jahren in einem wachkomaähnlichen Zustand lebenden Terri Schiavo (zuletzt F.A.Z. vom 8. Mai) ging es diesmal vor allem um die Unabhängigkeit der Justiz, die Floridas Gouverneur Jeb Bush durch das Gesetz HB No. 35 E beeinträchtigt haben soll. Das im Oktober 2003 in einem Eilverfahren beschlossene Gesetz gibt dem Gouverneur die Möglichkeit, auf unbestimmte Dauer zu verhindern, daß einem Patienten im Wachkoma, der keine Patientenverfügung verfaßt hat, die künstliche Ernährung und Versorgung mit Flüssigkeit vorenthalten wird, wenn ein Familienmitglied sich gegen diesen Entzug ausgesprochen hat. Diese Voraussetzungen lagen im Fall Schiavo vor. Da das Gesetz aber nur fünfzehn Tage in Kraft war, so daß es auch nur in diesem einen Fall, in dem der Rechtsweg zu diesem Zeitpunkt ausgeschöpft war, Anwendung fand, hatte ein erstinstanzliches Gericht es als verfassungswidrig eingestuft. Es sei ein Einzelfallgesetz, das zudem noch die Gewaltenteilung suspendierte, indem es den Gouverneur ermächtigte, trotz eines abschließenden Urteils eine gerichtlich angeordnete Maßnahme, den Abbruch der Ernährung und Flüssigkeitsversorgung, zu suspendieren.

In der Revisionsverhandlung vor dem Obersten Gerichtshof fiel es Bushs Anwalt Kenneth Connor schwer, dem etwas entgegenzusetzen. Zwar wies er darauf hin, daß das Gesetz den Begnadigungsregelungen Floridas nachgebildet ist, die dem Gouverneur die Möglichkeit geben, einen zum Tode Verurteilten vor dem Vollzug der Todesstrafe zu retten, ohne daß dadurch das Urteil aufgehoben würde. Connor argumentierte, der Gouverneur müsse eine Suspendierung beschließen können, um sicherzustellen, daß in diesen Fällen, in denen es um Leben und Tod geht, nicht unumkehrbare Tatsachen geschaffen werden und möglicherweise der Grundsatz des ordentlichen Verfahrens verletzt wird. Auch Connors Einwand, daß das Gesetz nicht nur auf den Fall Schiavo anwendbar war, sondern auf alle Fälle, in denen es innerhalb der Familie Meinungsstreitigkeiten über den Erhalt des Lebens von Wachkoma-Patienten gibt, die vor Gericht ausgetragen werden, hat prinzipiell Gewicht. Daß HB No. 35 E nur fünfzehn Tage in Kraft bleiben sollte, war aber ein deutlicher Hinweis darauf, daß die drei knappen Absätze von vornherein nur dazu gedacht waren, in diesem vielbeachteten Verfahren zum Einsatz zu kommen. Der Versuch Connors, die enge zeitliche Begrenzung des Gesetzes damit zu erklären, man habe es ausprobieren wollen, um es dann zu verbessern, konnte vor allem deswegen nicht überzeugen, weil seitdem kein modifiziertes Gesetz beschlossen wurde. Zwar versuchte Ende letzten Jahres der republikanische Senator Wise einen Paragraphen 692 in Floridas Gesetzbuch einzufügen, der den Abbruch der künstlichen Ernährung und Flüssigkeitsversorgung bei allen einwilligungsunfähigen Patienten untersagen sollte, die keine Patientenverfügung verfaßt haben. Auf Druck auch aus seiner eigenen Fraktion zog Wise den Entwurf aber im Dezember zurück. Sowohl Gouverneur Bush als auch der Ehemann Terri Schiavos, der die Verfassungswidrigkeit des Gesetzes festgestellt wissen will, gaben zu verstehen, daß sie im Fall ihres Unterliegens vor den Obersten Gerichtshof der Vereinigten Staaten ziehen wollen. Eines der langwierigsten und heikelsten Verfahren in der amerikanischen Rechtsgeschichte geht also weiter.

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