Erst um das Leben kümmern, dann um die Sanktionen

08.04.2015 | AutorIn:  Dr. Oliver Tolmein | Recht

Entwurf für ein Hospiz- und Palliativgesetz liegt vor

Eine andere Fassung dieses Textes wurde im Feuilleton der FAZ vom 8.4.2015 veröffentlicht: Die aktuelle Debatte über Suizidbeihilfe hat zuerst ein Gesetz zur Verbesserung der Hospiz- und Palliativ-Versorgung (HPG) hervorgebracht. Das ist ein Fortschritt. Anfang November sollen der neue § 217 StGB und das HPG vom Bundestag beschlossen werden.

Am Anfang stand die Empörung über das was organisierte Sterbehilfevereine und in Sterbensangelegenheiten engagierte Einzelpersonen in Deutschland gerne erreichen: Gesellschaftliche Anerkennung für ihr Leistungsangebot, das die Selbsttötung professionalisieren und damit erleichtern sollte.

Der Versuch mithilfe des Strafrechts zu verhindern, dass sich in Deutschland nach Schweizer Vorbild Organisationen mit Namen wie „Exit“ oder „Dignitas“ ausbreiten und nicht nur Lobbyisten für die Möglichkeit vorzeitig aus dem Leben zu scheiden aktiv werden, sondern auch praktische Beihilfe zum Suizid leisten, ist nicht neu: 2006 wurde der erste Gesetzentwurf in den Bundesrat eingebracht. Die aktuelle Debatte hat einen anderen Verlauf genommen – mit dem überraschenden Ergebnis, dass dem Kabinett nun als erstes der Entwurf eines „Gesetzes zur Verbesserung der Hospiz- und Palliativversorgung“ vorgelegt wurde, der voraussichtlich Mitte Juni erstmals im Parlament debattiert werden wird. Die Abgeordneten, die fraktionsübergreifend Gruppenanträge formulieren wollen, die sich mit der Strafwürdigkeit organisierter Suizidbeihilfe und unter Umständen auch dem ärztlich assistierten Suizid befassen werden, wollen dagegen erst in etwa einem Monat erste Gesetz-Entwürfe vorstellen, die dann noch kurz vor der Sommerpause erstmals im Bundestag behandelt werden. Zusammengeführt werden sollen die Diskussionen dann mit der abschließenden 2. und 3. Lesungen beider Gesetzentwürfe Anfang November 2015, kurz vor dem Volkstrauertag.

Dass jetzt der 34-Seiten starke Referentenentwurf für den Ausbau der hospizlichen und palliativmedizinischen Versorgung den Auftakt in der Auseinandersetzung von Gesetzgeber und Exekutive mit organisierter Suizidbeihilfe bildet, zeigt einen Perspektivwechsel an, der erfreulich ist: die Politik nimmt zuerst die Lebensverhältnisse der Sterbenden, ihre Versorgungsmöglichkeiten in den Blick und versucht hier Verbesserungen herbeizuführen, bevor es diejenigen mit strafrechtlichen Sanktionen bedroht, die vermeintlich das Selbstbestimmungsrecht von Lebensmüden stärken, die tatsächlich aber sich selbst und ihren Organisationen eine solide Geschäftsbasis auf deren Verzweiflung aufbauen wollen. Der Gesetzentwurf, der den Ausbau der palliativmedizinischen und hospizlichen Leistungsangebote anstrebt, regelt erstmals, dass Krankenversicherte künftig einen Anspruch auf palliative Versorgung haben, die damit nicht mehr nur als medizinische Spezialdisziplin behandelt wird, sondern als übergreifendes Versorgungsangebot, ähnlich der Krankenhausbehandlung, der häuslichen Krankenpflege oder der Leistungen zur medizinischen Rehabilitation. Das trägt den Entwicklungen in der Palliativmedizin Rechnungen, die mittlerweile weitaus mehr will und leistet, als Menschen deren Krankheiten nicht mehr geheilt werden können, in den letzten Lebenstagen oder Lebenswochen so gut es geht, die Schmerzen zu ersparen. Eng damit verknüpft ist aber die Erfordernis, auch die wissenschaftliche Fundierung der Palliativmedizin zu stärken: Qualitätssicherung und Forschungsförderung sind deswegen unabdingbar; einen Paradigmenwechsel in der Palliativversorgung hin zu einer wissenschaftsbasierten Disziplin hat deswegen vor wenigen Wochen auch die Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina in ihrer ausführlichen Stellungnahme zum Thema gefordert.

Allerdings sollte man hier auch Grenzen ziehen und aus den Erfahrungen der kurativen Medizin lernen, der die Evidenz große Fortschritte beschert hat, aber eben auch Schwierigkeiten für die Patienten, deren Körper und Psyche anders reagiert und funktioniert, als evidenzbasierte Kriterien erwarten lassen würden. Neben guten wissenschaftlichen Standards muss es auch die Möglichkeit geben, bewusst krumme Wege und Seitenpfade zu beschreiten – gerade Schmerzpatienten und Menschen mit unheilbaren Krankheiten sind oft auf Behandlungen mit nicht zugelassenen Medikamenten, mit Medizinalhanf oder mit zugelassenen Medikamenten im sogenannten Off-Label-Use angewiesen. Die damit verbundenen Kostenübernahme-Probleme regelt das neue Gesetz nicht – obwohl in den vorangegangenen Eckpunkten und in öffentlichen Stellungnahmen des Bundesgesundheitsministers Handlungsbedarf anerkannt worden ist. Das Thema „medizinische Behandlung bei nicht heilbaren Erkrankungen“ wird uns also zwingend noch weiter begleiten.

Als nächstes werden aber die Abgeordneten des Bundestages mit den Gruppenanträgen zur Suizidbeihilfe auf den Plan treten: ihr Thema ist fachlich einfacher zu handhaben, als der Ausbau der Ausbau der medizinischen Versorgungsstrukturen, es ist aber auch deutlich stärker ideologisch belastet. Während die geplante Überführung der Palliativmedizin und Palliativpflege in die Regelversorgung vor allem Fragen der Finanzierung aufwirft, konzentriert sich der Streit angesichts der organisierten Suizidbeihilfe auf Fragen der Reichweite von Selbstbestimmung und Fragen nach der Gebotenheit oder sogar Notwendigkeit auch von Fürsorge gegenüber besonders labilen Patientengruppen. Wenn die Geselllschaft Menschen mit hohem Pflegebedarf, die schwierig zu behandeln und gar nicht zu heilen sind, allerdings signalisiert, dass ihr Leben auch nur in Maßen schützenswert ist, ist auch der Ausbau der für sie erforderlichen Versorgungsangebote nur eine halbherzige Tat. Auch einer gut flächendeckend vorhandenen und wissenschaftlich fundierten Palliativpflege und –medizin hilft der politische Appell an die Gesellschaft, Menschen in medizinischen und gesundheitlichen Krisen mit Nachdruck zum Weiterleben zu ermutigen, statt schnell verständig bereit zu sein, eine Absage ans Leben als endgültig und nachvollziehbar hinzunehmen. 

 

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