Euthanasie-Debatte in den USA lebt auf

20.05.2002 | AutorIn:  Dr. Oliver Tolmein | Euthanasie

WDR-Kritisches Tagebuch, 20. Mai 2002

Das öffentliche Sterben einer alten Frau, die vorgab an Blasenkrebs zu leiden, hat in Australien die Unterstützung für Euthanasie aufleben lassen. Nun ist Nancy Crick tot. Aber sie litt gar nicht an Krebs.

Ein Vierteljahr ist es her, da wußten die online-Medien weltweit von einer Geschichte zu berichten, die so dramatisch klang, wie viele Geschichte von Menschen, die am Ende ihres Lebens sterbenskrank nur noch eines wollen: ohne Schmerzen aus der Welt scheiden. Nancy Crick, fast siebzig Jahre alt, hatte ihre Geschichte besonders öffentlichkeitswirksam plaziert. Sie schrieb ein Internet-Tagebuch, in dem die krebskranke Frau, die nur noch 27 Kilo wog, von ihren täglichen Schmerzen und Leiden berichtete und von ihrem Kampf gegen die australische Rechtsordnung, die Tötung auf Verlangen unter Strafe stellt. „Spiegel-online“ resümierte damals: „Mit Nancy Crick tritt eine Zeugin für seine Sache an das Licht einer weltweiten Öffentlichkeit, der man weder akademische noch politische Motive unterstellen kann“. Mittlerweile, drei Monate später, ist Nancy Crick tot. Sie hat hat aber vorgesorgt: Auf der Homepage der 70jährigen Frau, können sich noch bis zum Jahr 2004 Menschen ins Gästebuch eintragen. Sie sollen damit das Engagement für die Legalisierung von Euthanasie in Australien unterstützen. Ob sich allerdings gerade die Geschichte Nancy Cricks so gut eignet um für Euthanasie zu werben erscheint mittlerweile recht zweifelhaft.

Die mehrfache Großmutter, die ihrem Leben ein Ende setzte, indem sie einen mit tödlichen Barbituraten versetzten Likör trank, wollte sterben weil sie Krebs hatte. Die Autopsie ihrer Leiche ergab jetzt allerdings, dass sie nicht an Krebs litt. Und nach Angaben einer Ärztin, die sie noch vor einem Monat konsultiert hatte, wußte Nancy Crick über ihren Zustand bescheid. Die Siebzigjährige, die in den letzten Jahren drei große Operationen hinter sich hatte, die unter chronischen Schmerzen litt und sie kaum noch gehen konnte, wog nach dem Obduktionsbefund auch nicht 27 Kilogramm, wie sie in ihrem Internet-Tagebuch angegegeben hatte, sondern 38 Kilogramm. Nach Auffassung von Palliativmedizinern bestand auch kein Anlaß für eine sterbebegleitende palliativmedizinische Behandlung, weil Nancy Crick bis zum Zeitpunkt ihres Todes nicht tödlich erkrankt war. Mitglieder der australischen Vereinigung für freiwillige Euthanasie, sind dennoch der Auffassung, dass es gute Gründe für die alte Frau gab, ihrem Leben ein Ende zu setzen: „Die ständigen Schmerzen haben ihr Leben unerträglich gemacht“ stellte der australische Arzt Philipp Nitschke fest.

Nitschke ist eine der Galionsfiguren der Euthanasiebewegung auf dem fünften Kontinent und hat 1995, als für kurze Zeit in einer australischen Provinz die Möglichkeit sich durch einen Arzt töten zu lassen legalisiert worden war, fünf seiner Patienten Gift nehmen lassen. In Australien ermittelt jetzt der Staatsanwalt wegen Nancy Cricks Tod gegen mehrere Mitglieder von Euthanasie-Vereinigungen, denn Beihilfe zum Selbstmord ist nach australischem Recht strafbar. Und bereits die Anwesenheit bei einem Selbstmord kann als Beihilfe gewertet werden. Dass 21, zumeist ältere Menschen anwesend waren, als Nancy Crick ihren tödlichen Coctail zu sich nahm, haben Philipp Nitschke und seine Mitstreiter mehrfach öffentlich erklärt. Wenn deswegen ein Gerichtsverfahren gegen sie eingeleitet würde, käme ihnen das gelegen: Sie könnten die Verhandlung als Forum für ihr anliegen nehemen und hoffen, dass sie freigesprochen werden. Nachdem der erste Versuch, ein Euthanasie-Gesetz im Parlament zu beschließen, 1997 nämlich gescheitert ist, erscheint der Vereinigung für freiwillige Euthanasie mittlerweile der Versuch aussichtsreicher, aktive Sterbehilfe von den Gerichten legalisieren zu lassen. Das Vorbild für diese Strategie sind die Niederlande, in denen auch erst viele Jahre nach den Gerichten, das Parlament ein Gesetz beschlossen hat, dass die Tötung auf Verlangen unter bestimmten Bedingungen erlaubt. Auch auf das australische Abtreibungsrecht verweisen die Euthanasiebefürworter gern: Obwohl der Schwangerschaftsabbruch strafbar ist, werden seit den 70er Jahren kaum noch Verfahren eingeleitet.

Die Gefahr, dass der Tod Nancy Cricks zum Präzedenzfall wird sehen auch australische Behinderten- und Lebensschützergruppe, zumal direkt nach dem Tod der vermeintlich krebskranken Frau nahezu 80 % der Australier in Meinungsumfragen für eine Abschaffung des Euthanasieverbots plädiert hatten. Deswegegn drängen die Kritiker einer Deregulierung des Lebensschutzes auf eine Verurteilung der 21 Unterstützer von Nancy Crick. Dass just in dieser Situation Rod Dent, der Sohn des ersten Mannes, dem Philipp Nitschke vor sechs Jahren, damals legal, Gift verschrieben hat, schwere Vorwürfe gegen den Arzt erhebt, weil dieser seinen Vater zum Selbstmord gedrängt haben soll, ist für die Sterbehilfebefürworter ein Rückschlag. Entmutigt zeigen sie sich aber nicht. Zumal ihnen gerade auch die Grünen als parlamentarischer Arm der Sterbehilfebwegung zur Seite gesprungen sind und angekünigt haben, in spätestens vier Wochen einen Gesetzentwurf zur Legalisierung der Euthanasie ins Parlament einzubringen.

Weiterführende Links

    Nancy Cricks Tagebuch (englisch) | http://www.protection.net.au/nancycrick/

 

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