Gewerbsmäßige Hilfe zum Suizid verbieten?

02.08.2012 | AutorIn:  Dr. Oliver Tolmein | Recht

Ein Referentenentwurf aus dem Bundesjustizministerium und eine verwirrte öffentliche Debatte

Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 2. August 2012: Die Bundesregierung will gewerbsmäßige Beihilfe zum (erlaubten) Suizid unter Strafe stellen. Das Gesetz schafft einen bedenklich weiten Tatbestand. Nebenbei kollidiert es mit dem ärztlichen Berufsrecht, das die Beihilfe des Arztes zum Suizid untersagt. Kein Gold fürs BMJ.

Die gute Nachricht ist: die eigenverantwortliche Selbsttötung bleibt erlaubt. „Dieses Regelungskonzept hat sich grundsätzlich bewährt“ heißt es im gerade an die Öffentlichkeit gedrungenen Referentenentwurf des Bundesministeriums der Justiz, für ein „Gesetz zur Strafbarkeit der gewerbsmäßigen Förderung der Fremdtötung“ der (Bearbeitungsstand 18.7.2012, 12:27 Uhr) dieser Zeitung vorliegt. Wie die schlechte Nachricht lautet, die mit diesem Gesetzentwurf zusammenhängt ist, derzeit dagegen höchst unklar. Während manche Medien sich freuen, dass künftig ganz allgemein „Sterbehilfe für Ärzte straffrei“ sein soll, empört sich der Präsident der Bundesärztekammer, der Gesetzentwurf schaffe, statt wie im Koalitionsvertrag geplant, die gewerbsmäßige Sterbehilfe zu verbieten, die gesetzliche Grundlagen für Ärzte als Sterbehelfer. Die Patientenschutzorganisation Deutsche Hospizstiftung stellt dagegen nüchtern fest, mit dem Gesetzentwurf habe das Bundesjustizministerium einen Kommunikationsgau ausgelöst, weil niemand mehr wisse, was unter Strafe stehen und was straffrei bleiben soll.

Das seit langem geplante Gesetz ist eine Reaktion vor allem auf die Arbeit von Sterbehilfeorganisationen wie „Exit“ und „Dignitas“ in der Schweiz und „SterbehilfeDeutschland“ des ehemaligen Hamburger Justizsenators Roger Kusch (damals CDU). Ihm liegt die Vorstellung zugrunde, dass durch den Einsatz des Strafrechts verhindert werden kann und muss, dass Menschen in einer momentanen nur vermeintlich ausweglosen Lage durch Sterbehilfeorganisationen veranlasst werden, unumkehrbar in den Tod zu gehen. Dass es ein solches Gesetz geben soll, ist auf Drängen der CDU in den Koalitionsvertrag geschrieben worden. Es gab schon mehrere Entwürfe von Bundesländern für dieses Thema, die nicht durchsetzbar waren.

Der jetzt an die Öffentlichkeit gelangte Referententwurf schafft einen neuen Paragraphen 217 Strafgesetzbuch. Der Entwurf der neuen Vorschrift umfasst lediglich zwei Sätze, die allerdings voll juristischem Zündstoff stecken. Kernstück ist das Verbot einem anderen „gewerbsmäßig die Gelegenheit zur Selbsttötung“ zu gewähren, zu verschaffen oder zu vermitteln. Damit ist der Anwendungsbereich in einer Hinsicht enger als es sich manche gewünscht haben, die bereits gegen „geschäftsmäßige“ Sterbehilfe vorgehen wollte: für eine geschäftsmäßige Betätigung reicht, dass sie regelmäßig ausgeübt werden soll, gewerbsmäßig handelt dagegen nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes nur, wer sich durch wiederholte Taten dieser Art auch eine fortlaufende Einnahmequelle „von einiger Dauer und einigem Umfang“ verschaffen will, wer also in irgendeiner Weise kommerziell handelt. Das nachzuweisen wird nicht einfach sein, auch wenn der Referentenentwurf in seiner Begründung vielfältige Szenarien skizziert, was gewerbsmäßig konkret bedeuten könnte. Dass beispielsweise „SterbehilfeDeutschland“ ein eingetragener Verein ohne Gewinnerzielungabsicht ist, soll eine Strafbarkeit nicht ausschließen: gewerbsmäßig sei es auch, wenn die potenziellen Suizidkandidaten Mitgliedsbeiträge an einen Verein zahlen, der dem Suizidhelfer aus diesen Mitteln ein Honorar zahlt. Das überzeugt den Göttinger Medizinrechtler Professor Gunnar Duttge nicht, der in einem Aufsatz in der „Zeitschrift für Lebensrecht“ einwendet: „Aus dem Kontext der medizinischen Forschung an Menschen ist hinlänglich bekannt, dass zwischen bloßer „Aufwandsentschädigung“ und „echter Vergütung“ nur schwer unterschieden werden kann.“

Sollte die „Gewerbsmäßigkeit“ eines Handelns ersteinmal nachgewiesen werden können, greift die Vorschrift im Übrigen außerordentlich weit: so kann beispielsweise ein Vertreter eines Vereins bestraft werden, der jemandem Räumlichkeiten vermittelt, in denen er sich töten kann. Auch wer einem Menschen nur die Adresse eines anderen vermittelt, der ihm dann seinerseits Medikamente zur Selbsttötung verschafft, macht sich im Rahmen der neuen Vorschrift, so der Plan, strafbar. Die Straftat „gewerbsmäßige Suizidbeihilfe“ kann dabei schon begangen worden sein, wenn, so der Gesetzentwurf in seiner Begründung, „die äußeren Bedingungen für die Selbsttötung günstiger gestaltet worden sind.“ Es muss also nicht einmal jemand ernsthaft geplant haben, sich gerade jetzt umzubringen, schon gar nicht ist es erforderlich, dass tatsächlich jemand Hand an sich legt. Die Fälle in denen in 2008 Roger Kusch durch eine Polizeiverfügung rechtskräftig lediglich untersagt worden ist, Menschen gegen Zahlung eines Honorars von 8000 EUR beim Suizid zu unterstützen, hätten unter mit einem solchen Paragraphen 217 Strafgesetzbuch zusätzlich noch als Straftat verfolgt werden können. Verhindert werden konnte das Handeln von Kusch auch damals. Und heute hat er sein damals noch recht schlichtes kommerzielles Suizidbegleitungskonzept grundlegend verändert und einen Verein gegründet, der nach eigenen Angaben „begleitete Suizide bei Mitgliedern unterstützt“ anbietet, aber den Anschein des kommerziellen zu vermeiden sucht.

Das Handeln von Ärzten wird in dem jetzt öffentlich diskutierten Referenten-Entwurf, auch wenn die öffentliche Debatte etwas anderes vermuten ließe, im Gesetzestext selbst gar nicht erwähnt. Es geht dort ausdrücklich nicht um die erlaubte allgemeine Sterbehilfe durch beispielsweise den Abbruch lebenserhaltender Behandlungen und auch nicht um die in einem rechtlich und tatsächlich ganz anderen Zusammenhang umstrittenen, ärztlichen Suizidbeihilfe, die durch die neue ärztliche Musterberufsordnung auf Bundesebene ausgeschlossen wird.

Ärzte und Pflegekräfte führt der vorliegende Referentenentwurf in ganz anderem Zusammenhang und auch nur in der Begründung auf. Wird gewerbsmäßige Suizidbeihilfe unter Strafe gestellt wirft das nämlich auch die Frage auf, was mit Menschen geschieht, die ihren Angehörigen helfen, eine Sterbehilfevereinbarung mit einem solchen Verein durchzuführen. Der Gesetzentwurf sieht vor, dass Angehörige oder eine andere, dem sterbewilligen „nahestehende Person“ straffrei bleiben soll. Das ist sinnvoll. Allerdings ist auch verständlich, dass sich Frank Montgomery, der Präsident der Bundesärztekammer darüber empört, dass in der Gesetzesbegründung auch Ärzte und Pflegekräfte als Beispiele für mögliche „nahestehende Personen“ angeführt werden. In der Debatte um ärztliche Suizidbeihilfe spielt genau dieser Aspekt nämlich eine Rolle: ein Arzt ist, auch wenn er einen Patienten gut und lange kennt, kein „quasi-Angehöriger“, sondern ein Profi , der sich um die Gesundheit besorgen soll und zu dessen ärztlichen Aufgaben es nicht gehört, seinen Patienten an gewerbsmäßig handelnde Sterbehilfeorganisationen weiter zu vermitteln. Wenn der Gesetzgeber das in einer Gesetzesbegründung nun anders darstellt, regelt er damit auch ins ärztliche Berufsrecht hinein.

Im Ergebnis lässt sich sagen: Es bestehen ernsthafte Zweifel, dass der vorliegende Referentenentwurf sein Ziel erreichen kann, tatsächlich Sterbehilfeorganisationen zu stoppen. Ein Gerichtsverfahren in dem all die heiklen rechtlichen Fragen erörtert werden, die er aufwirft, möchte man sich lieber nicht vorstellen: es dürfte den organisierten Sterbehelfern eher nützen als schaden – und auch sein Ausgang wäre offen. Mit einem liberalen Strafrecht ist der Entwurf in der aktuellen Fassung, die die Strafbarkeit weit ins Vorfeld auch nur einer konkreten Gefahr für ein Menschenleben hinein verlagert, auch nur schwer vereinbar. Dass er zudem mit seiner Begründung die Weichen in einer anderen Debatte, der um die ärztliche Suizidbeihilfe in die falsche Richtung stellt, macht ihn vollends zu einem Ärgernis.

Die Gesellschaft muss sich damit abfinden, dass Menschen, den Tod durch eigene Hand für einen Ausweg halten. Der Schlüssel dafür, dass deren Zahl gering bleibt, liegt sicher nicht im Strafrecht, sondern in der medizinischen Versorgung. Solange das Bundessozialgericht beispielsweise gequälten sterbenskranken Menschen die Kostenübernahme für lindernde Medikamente verweigert, nur weil diese für ihre ganz spezielle Indikation keine Zulassung haben und das damit begründet, dass hier nicht die Krankheit geheilt sondern nur die Symptome bekämpft würden, müssen wir uns über den Wunsch eines solchen Patienten, dass er sein Leben abkürzen möchte nicht wundern.

 

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