Hermaphroditen: Akzeptieren statt therapieren

05.09.2002 | AutorIn:  Dr. Oliver Tolmein | Recht

Dr. med. Mabuse 137, 2002

Der Diskurs über Zwitter ist nicht nur für Mediziner problematisch, die Abweichungen schnell als Krankheit begreifen, die behandelt werden muß. Auch mit Debatten beispielsweise um Transsexualität oder die Konstruktion von Geschlechtern, wie sie im Gender-Bereich heute gängig sind, läuft das Engagement von Zwittern um ihre Anerkennung nicht selbstverständlich parallel: Für sie ist Geschlecht gleichzeitig nicht nur eine Frage von Konstruktionen, sondern durchaus auch eine biologische Wirklichkeit.

Das Bild zeigt ein Kind, nackt, vor eine Wand gestellt, im Hintergrund ein grobes Raster aus Quadraten. Von der Seite aufgenommen. Von vorne. Das Kind liegt, die Beine gespreizt. Die Vagina wird ins Bild gerückt. Nahaufnahme. Der Arzt, der das Blatt mit den Bildern in die Krankenakte packt, ist zufrieden. Die Körper-Proportionen stimmen. Der zehnjährige Patient passt ins Raster. "Betrifft: Kind Birgit Reiter" schreibt er im Arztbrief an seinen "sehr geehrten" Herrn Kollegen: "Sehr vitales, prächtig gediehenes Mädel, welches außer der Blutentnahme nichts fürchtet."

Der Chirurg hat Anlass stolz zu sein: Dass er das Kind als "prächtig gediehenes Mädel" weiterreichen kann, ist das Ergebnis seiner jahrelangen Behandlung. In der Geburtsurkunde bescheinigte das Standesamt den Eltern Reiter noch, einen Sohn geboren haben. Mit Namen "Michel". Aber ein richtiger Junge ist "Michel" eben nicht. Er hat, wie sich herausstellt den falschen Chromosomensatz, keinen Hoden, einen zu kleinen Penis. Der Eintrag in der Geburtsurkunde wird nach ärztlicher Beratung korrigiert, mit Stempel und Unterschrift des zuständigen Sachbearbeiters versehen. Aus "Michel" wird so von Amts wegen und mit Hilfe der modernen Medizin "Birgit". Und damit das Kind, dessen Geschlecht nach der Geburt nicht eindeutig zuzuordnen ist, wenigstens für den Rest seines Lebens unzweifelhaft als Mädchen und Frau durchgeht, legen die Ärzte im "Dr. von Haunerschen Kinderspital" schließlich bei dem vierjährigen Kind Hand und Skalpell an: "Neueinpflanzung der Vagina. und Klitoridektomie." steht im Krankenblatt. Der zu kleine Penis wird als zu große Klitoris entfernt, eine Vagina wird chirurgisch geschaffen. Als Frau ist Birgit Reiter nicht geboren worden, aber zur Frau wird sie gemacht. So einfach ist das. Und so mühselig. Über Jahre hinweg muss nachgebessert und kontrolliert werden. Immer und immer wieder wird die Vagina mit Metallstäben gedehnt und erweitert, Bougierung heißt diese schmerzhafte Behandlungsmethode. Birgit muss hochdosierte Hormone schlucken, damit sie nicht "vermännlicht". Nach zwölf Jahren intensiver Behandlung bilanzieren die Medizin-Männer: "Die Scheide ist mit zwei Fingern passierbar. Das anatomische Ergebnis dürfte nicht bei der Kohabitation hinderlich sein, eher eine fehlerhafte psychosexuelle Einstellung." Dagegen sind die Ärzte machtlos: Die Patientin, der sie die Attribute einer Frau verliehen haben, die sie für den Vollzug des Beischlaf zurechtoperiert haben, fügt sich nicht in ihre Rolle. In den Krankenblätter häuft sich die Kritik: "Die Kooperationsbereitschaft von Birgit ist im Augenblick mangelhaft"; "die Therapie wurde von der etwas aggressiven und nicht leicht zu führenden Patientin nicht regelmäßig durchgeführt"; "wie erwartet ist die Patientin zur vereinbarten Kontrolluntersuchung nicht erschienen".

Wie erwartet - für das Team aus Endokrinologen, Pädiater. Gynäkologen und Psychologen ist der Ausbruch der Patientin aus dem System von Behandlung und Kontrolle ein Scheitern ihrer Patienten, keines ihres Konzeptes. Der auf den us-amerikanischen Sexualmediziner John Money zurückgehende Therapieoptimismus erweist sich heute noch als weitgehend ungebrochen. Die verschiedenen Formen der Intersexualität glauben die damit befassten Ärzte durch Zuweisung der Kinder zu einem Geschlechts, meist aus Gründen der besseren chirugischen Ergebnisse dem weiblichen, "therapieren" zu können. "Nach dem dritten/vierten Lebensjahr soll aus sozialpsychologischen Gründen das bürgerliche Geschlecht grundsätzlich nicht mehr geändert werden. Operative Korrekturen werden im Interesse einer geradlinigen psycho-sexuellen Entwicklung frühzeitig (bis zum zweiten Lebensjahr) durchgeführt." fasst der Rechtswissenschaftler Andreas Wacke das Vorgehen der Mediziner und Juristen zusammen. Ihre Überzeugung, daß es erstens nur zwei Geschlechter geben könne und dass das Geschlecht, das jemand in frühester Kindheit bekommt, auch auf jeden Fall gelebt werden kann, ist allerdings in den letzten Jahren zunehmend in die Kritik geraten. Zum einen hat sich herausgestellt, dass John Moneys Musterpatient John, der nach einer geschlechtszuweisenden Operation als Joan aufwuchs, später mit dem zugewiesenen weiblichen Geschlecht nicht leben wollte und heute ein verheirateter Mann ist. Zum anderen haben sich aber auch erst in den USA und seit einigen Jahren auch verstärkt in Deutschland Zwitter an denen geschlechtszuweisende Operationen durchgeführt wurden zu Wort gemeldet und haben diese Eingriffe scharf kritisiert.

Michel Reiter ist noch weitergegangen: Er hat beim Standesamt München beantragt, in seinem Geburtsbuch als das anerkannt zu werden, was er ist: Als Zwitter. Das Standesamt hat die Angelegenheit ans Amtsgericht München weitergeleitet, das im Herbst letzten Jahres dann entschieden hat, dass der Antrag abgelehnt werden müsse, weil das deutsche Recht nur zwei Geschlechter anerkenne: Männlich und weiblich. Dem einschlägigen Gesetz, dem Personenstandsgesetz, das mußte der Münchner Amtsrichter eingestehen, ist diese Beschränkung allerdings nicht zu entnehmen. Dort ist nur ganz allgemein vom "Geschlecht" die Rede, das festzustellen ist. Das Amtsgericht argumentierte dann mit dem Stand der medizinischen Erkenntnis, den er aus der 256. Auflage des Psychrembel nahm. Geschlecht ist demnach die "Zuordnung von Individuen zweigeschlechtlicher Spezies zum männlichen oder weiblichen Geschlecht nach unterschiedlichen Kritierien". Damit wird nun allerdings nichts bewiesen, sondern nur das zu beweisende erneut behauptet. Zudem ist fraglich, ob die Festlegung von Geschlecht, die ein normativer Vorgang ist, überhaupt von Ärzten vorgenommen werden sollte. Michel Reiter geht nun in die nächste Instanz- und er wird voraussichtlich bis zum Bundesverfassungsgericht oder dem Europäischen Gerichtshof gehen. Aussichtlos ist sein Unterfangen allerdings nicht, denn das Zweigeschlechtlichkeit keineswegs ein zwingendes Konzept ist, ergibt nicht nur ein Blick in andere Kulturen. Auch in der naturwissenschaftlichen und rechtswissenschaftlichen Debatte der letzten Jahre mehren sich die Stimmen, die den Geschlechterdualismus nicht mehr akzeptieren möchten. Die feministische Biologin Anne Fausto-Sterlin beispielsweise, die an der Brown-Universität lehrt, plädert beispielsweise für ein fünf-Geschlechter-System, in dem neben Männer und Frauen auch Herms (echte Hermaphroditen), Merms (eher männliche Pseudohermaphroditen) und Ferms (eher weibliche Pseudohermaphroditen) ihren Platz haben. Andere Autoren können sich auch vorstellen, dass es überhaupt kein System festgelegter Geschlechter mehr gibt - eine Überzeugung, die angesichts der zunehmend geringeren Bedeutung, die die Kategorie "Geschlecht" für die rechtliche Struktur des Zusammenlebens hat, vorstellbar wird: In Deutschland beispielsweise ist mit der Anerkennung der eingetragenen Lebenspartnerschaft nur noch der Wehrdienst eine gesellschaftlich verbindliche Intitution, für die strikt zwischen Mann und Frau unterschieden wird.

So wenig es erforderlich sein müßte, Geschlecht heute rechtlich festzulegen oder gar auf zwei Kategorien zu begrenzen, so wenig ist der Umgang der Gesellschaft mit Geschlecht und seinen Normierungen ein Thema am Rande. Der Diskurs um die Behandlung von Zwittern gewinnt vielmehr gerade im Kontext der bioethischen Debatte, in deren Zentrum die Frage nach dem Verständnis von Mensch-Sein und die Akzeptanz von Differenzen steht, an Bedeutung. Wie mit Menschen verfahren wird, die keine eindeutig männlich oder weiblich ausgeprägten Geschlechtsmerkmale haben, deren Körper also in einem als zentral empfundenen Bereich nicht den Erwartungen entspricht, dokumentiert einerseits, wie Bio-Normen festgesetzt, zum anderen, wie sie durchgesetzt werden. Anders nämlich als viele menschliche Abweichungen vom Normalbild, die als Behinderungen qualifiziert werden, lässt sich Zwittertum unsichtbar machen und, nach den Vorstellungen zumindest der Medizin und der Jurisprudenz, heilen. Gleichzeitig besteht, lässt man die normativen Vorstellungen davon außer acht, wie Menschen geschlechtlich beschaffen zu sein haben, an sich bei diesen "Krankheitsbildern", die immerhin nach Schätzungen von Pädiatern und Medizinsoziologen 1 von 2000 Kindern betreffen, kein Behandlungs- jedenfalls kein Geschlechtszuweisungsbedarf.

Der fehlende Bedarf steht in krassem Gegensatz zur Invasivität der Eingriffe, die von den Betroffenen oft genug als Verstümmelung wahrgenommen werden: Die Verkleinerung der Klitoris oder gar deren Amputation, das Einsetzen einer Neovagina, die Entfernung von Hoden oder die Verlegung der Harnröhre. Da die Eingriffe im Kleinkindalter vorgenommen werden, können die Patienten in diese irreversiblen und folgenreichen Behandlungen nicht selbst einwilligen. Rechtsgrundlage für die folgenreichen Eingriffe, die meist mit Hormontherapien kombiniert werden, die Vermännlichung oder Verweiblichung verhindern sollen, ist deswegen das elterliche Sorgerecht aus § 1626 BGB. Das Sorgerecht ist allerdings nicht Ausdruck der elterlichen Macht über das Kind, sondern soll dem Bedrüfnis der Kinder nach Schutz und Hilfe Rechnung tragen und ihnen helfen, sich zu eigenverantwortlichen Persönlichkeiten innerhalb der sozialen Gemeinschaft zu entwickeln. Folglich findet das elterliche Sorgerecht seine Grenzen dort, wo es zweifelhaft erscheint, ob es dem Kind nützt. Für medizinische Maßnahmen gibt es beispielsweise § 1631c BGB als Ausnahme, der die Sterilisation des Kindes verbietet, weil sich, wie aus den Gesetzgebungsunterlagen hervorgeht, die Erforderlichkeit und die Auswirkungen der Sterilisation bei Minderjährigen schwer beurteilen lassen (BT-Drucksache 11/4528)

Bislang sind in der deutschen juristischen und medizinischen Fachliteratur die im Zuge der Geschlechtszuweisung vorgenommenen Eingriffe nicht grundlegend problematisiert worden. Die Literatur setzt als selbstverständlich voraus, dass sie der Entwicklung des Kindes nützen. Selbst die Einschränkung der ärztlichen Aufklärungspflicht über den Anlaß und das Ausmaß der Behandlung gegenüber älteren, zumindest teilweise einsichtsfähigen Kindern oder Jugendlichen wie sie sich in der medizinischen Literatur findet, wird von Juristen kommentarlos akzeptiert: "Es wäre verfehlt sie (Patienten mit sog. testikulärer Feminisierung, Anm. O.T.) über die Art ihrer Anomalie aufzuklären, weil man dann aus einem gesunden Menschen einen kranken, von Zweifeln gequälten machen würde. Sie ist lediglich über ihre ... unwiderrufliche Sterilität zu unterrichten, welche man am besten mit dem Fehlen des Uterus begründen kan. Damit finden sie sich meist ab." (Kern, Gynäkologie)

Angesichts der Schwere und der Irreversibilität der Eingriffe im Zuge der Geschlechtszuweisung ist diese Zurückhaltung schwer verständlich: Wenn bei Kindern die Sterilisation, die zwar folgenreich, die aber zugleich ein vergleichsweise leicht durchzuführender, einmaliger Eingriff ist, verboten wird, ist nicht einzusehen, wieso die vollständige oder teilweise Entfernung der Klitoris, oder die mit zahlreichen, psychisch erheblich belastenden Folgeeingriffen verbundene Einsetzung einer künstlichen Vagina erlaubt sein soll, wenn nur die Eltern zustimmen. Diese naheliegenden Bedenken werden durch Äußerungen von Betroffenen, die zunehmend in den USA, vereinzelt aber auch in der Bundesrepublik gegen diese Eingriffe protestieren, unterstrichen. Das Urteil des Amtsgerichts München, das sich mit Michel Reiters Antrag auf Zuerkennung des Geschlechts "Zwitter" beschäftigt hat, zeigte sich über die medizinische Behandlungspraxis ebenfalls besorgt und plädierte in einer für die Entscheidung von Reiters Antrags allerdings nicht unmittelbar bedeutsamen, Passage für ein Verbot der geschlechtszuweisenden Eingriffe im Kleinkindalter analog dem Sterilisationsverbot des § 1631c BGB. Dieser Weg wird auch in anderen Rechtskulturen beschritten. Der Verfassungsgerichtshof von Kolumbien hat in einer sepktakulären Entscheidung 1999 intersexuelle Menschen als Minderheit anerkannt, die besonderen Schutzes bedürfen und hat geschlechtszuweisende Operationen nichteinwilligungsfähiger Patienten deswegen in weitem Umfang untersagt. In den USA ist in der rechtswissenschaftlichen Literatur letztes Jahr in die Diskussion gebracht worden, daß Zwitter deren Genitalien durch solche Eingriffe verstümmelt worden sind, Schadenersatzansprüche gegen die behandelnden Ärzte zugestanden werden müßten.

In der Bundesrepublik ist die rechtliche Stellung von Zwittern und ihre Behandlung durch die Ärzte in den letzten zwei Jahren wiederholt auf die politische Agenda gesetzt worden. Für die PDS-Fraktion hat Christina Schenk mit Anfragen versucht, das Thema in die Debatte zu bringen - ist damit bei der Bundesregierung aber auf wenig Resonanz gestossen: "Solange keine gesicherten Erkenntnisse vorliegen, ob eine Nichtfestlegung des Geschlechtes dem Wohle der Betroffenen dient, ist eine Änderung des Rechtes nicht erforderlich." Dass Anfang dieses Jahres nun aus der Regierungskoalition selbst, von den grünen Abgeordneten Irmingard Schewe-Gerigk und Volker Beck von "Bündnis 90/Die Grünen", eine erste Initiative zum Dialog mit Interessengruppen gestartet wurde, zeigt, dass die Debatte um das Thema "Geschlecht" in Gang kommt. Nach einem ExpertInnen-Gespräch kann sich Schewe-Gerigk, die frauen- und familienpolitische Sprecher ihrer Fraktion ist, vorstellen, dass das Personenstandsgesetz reformiert werden muss, wenngleich sie nicht sicher ist, ob sie wirklich für die Schaffung der offiziellen Geschlechtsbezeichnung "Zwitter" eintreten soll, wusste sie im Gespräch mit der "FAZ" doch immerhin zu sagen, dass die Verhältnisse jedenfalls nicht so bleiben könnten, wie sie sind.

Möglicherweise als Reaktion auf diese Ansätze, das Thema verstärkt auf politischem und rechtlichem Terrain zu diskutieren, macht sich nun künftig auch die Wissenschaft verstärkt Gedanken über Zwitter. An der Medizinische Universität zu Lübeck fördert die Deutsche Forschungsgemeinschaft ein auf mindestens drei Jahre angelegtes Projekt "Intersexualität - Vom Gen zur Geschlechtsidentität." Im Rahmen dieses Vorhabens, für das 1,5 Millionen Euro zur Verfügung stehen, werden vier Arbeitsgruppen biologische Grundlagenforschung betreiben. Professor Olaf Hiort, der Sprecher der Forschergruppe, will herausfinden, wie die Genitalentwicklung im Detail abläuft und welche Wirkung vor allem die männlichen Hormone auf einzelne Gene haben. Damit, so hofft der Wissenschaftler, lässt sich dann nicht nur erklären, warum es Intersexuelle gibt. Er hofft auf Erkenntnisse, die grundsätzlich erklären, können, warum Mann und Frau so unterschiedlich sind, wie sie nach seiner Auffassung sind. Zwei weitere Arbeitsgruppen, von denen eine die Hamburger Sexualwissenschaftlerin Professor Hertha Richter-Appelt leiten wird, sollen sich mit epidemiologischen Fragen und der psycho-sozialen Seite der Intersexualität befassen. So sollen Kriterien entwickelt werden, anhand derer sich "Lebensqualität" intersexueller Menschen erfassen lässt. Es soll in klinischen Follow-Up Studien auch nachgezeichnet werden, was aus behandelten intersexuellen Menschen geworden ist. Auch Projektleiter Professor Hiort sieht als entscheidendes Problem der Mediziner derzeit das "Nicht-Wissen" an. Dieses Nicht-Wissen hält er allerdings für ein durch Ansammlung neuer medizinischer Erkenntnisse zu lösendes Problem. Dass sich durch eine gesellschaftliche Anerkennung von Zwittern auch die Situation für die Medizin grundsätzlich verändern könnte, dass aus Patienten dann Menschen ohne Behandlungsbedarf würden, kann sich Hiort nicht vorstellen.

Auch deswegen stehen manche Zwitter dem Interesse der Wissenschaft an ihnen skeptisch gegenüber. Denn die Forschung, die sich darauf konzentriert die hormonellen und genetischen Mechanismen im Detail zu erkunden, kann für eine auf Anerkennung und gegen Diskriminierung gerichtete Strategie durchaus kontraproduktiv sein. Und das nicht nur, weil hier individuelle Besonderheiten vor allem als Krankheiten ins Visier genommen werden. Gravierender ist, dass bei so viel Konzentration aufs biologische Detail die grundlegende Frage aus dem Blick gerät: Was ist das "Geschlecht" von dem hier Abweichungen konstatiert werden? Die Reflektion des normativen Gehalts auch von biologischen und medizinischen Voraussetzungen ist nicht Gegenstand der Forschung von Hiort und seiner Gruppe. In einer aktuellen Presseerklärung der Medizinischen Universität zu Lübeck wird der Mediziner denn auch mit der schönen Erkenntnis zitiert: "Intersexuelle haben eine echte biologische Auffälligkeit. Ansonsten sind sie Menschen wie du und ich. Sie fallen nicht als schrille Vögel auf, sondern versuchen ihr normales Leben zu führen."

Aber der Diskurs über Zwitter gerät nicht nur in Konflikt mit einem medizinischen Diskurs, der Abweichungen schnell als Krankheit begreift, die behandelt werden muß. Auch mit anderen Debatten beispielsweise um Transsexualität oder die Konstruktion von Geschlechtern, wie sie im Gender-Bereich heute gängig sind, läuft das Engagement von Zwittern um ihre Anerkennung nicht selbstverständlich parallel: Sie beharren ja nicht nur darauf, dass die herrschenden Vorstellungen von Geschlecht hinterfragt werden müssen, für sie ist Geschlecht gleichzeitig nicht nur eine Frage von Konstruktionen, sondern durchaus auch eine biologische Wirklichkeit, die allerdings nicht in das strikt duale Schema paßt, in die sie derzeit gerastert wird. Werden Zwitter also als dereinst als Zwitter anerkannt müssen wahrscheinlich nicht nur die Bewahrer konservativer Vorstellungen von Mann und Frau umdenken, sondern auch etliche ihrer Kritiker.

 

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