In Australien dürfen Mädchen Jungen werden

23.04.2004 | AutorIn:  Dr. Oliver Tolmein | Recht

Frankfurter Allgemeine Zeitung, 23.04.2004, Nr. 95 / Seite 48: Ein australisches Familiengericht hat gestattet, dass sich eine 13jährige Jugendliche einer hormonelle Geschlechtsumwandlung unterzieht.

Weder die Namen der beteiligten Anwälte noch die des Antragstellers sind bekannt, selbst das Aktenzeichen der Gerichtsentscheidung wird nicht veröffentlicht. Dabei geht es in dem Verfahren, das vor wenigen Tagen vor einem australischen Gericht verhandelt und entschieden wurde, nicht um organisierte Kriminalität und Zeugenschutz. In Re Alex wird erörtert, was einen Jungen zum Jungen macht - und ob ein Kind das Recht hat, sein biologisches, erkennbares Geschlecht zu verändern. Die dreizehnjährige Alex, die nur Hosen trägt, eine gewisse Meisterschaft im Armdrücken entwickelt hat, seit ihrer Einschulung nur auf Jungentoiletten geht und die sich, wie sie in den Gerichtsverhandlungen und gegenüber Sachverständigen betonte, vor allem sexuell zu Mädchen hingezogen fühlt, dabei aber keineswegs als lesbisch gelten will, darf sich nach dem Urteil eines australischen Familienrichters einer mehrstufigen irreversiblen Hormontherapie unterziehen. Das Wachstum der Brüste und die Menstruation werden unterdrückt, Alex wird eine tiefe Stimme bekommen, ihre Körperbehaarung soll sich verstärken, ihre Klitoris vergrößern, und sie werde, versicherte ein medizinischer Sachverständiger, der sich dafür aussprach, Alex in drei Jahren Testosteron-Implantate einzusetzen, "durchsetzungsfähiger und aggressiver werden und ausgeprägtere sexuelle Bedürfnisse entwickeln". Richter Nicholson, der nicht nur Mediziner, sondern auch Verwandte von Alex, Lehrer und den Behindertenbeauftragten ins Verfahren einbezogen hat, beruft sich in seiner Entscheidung vor allem auf das Internationale Übereinkommen über die Rechte des Kindes, das in seinem Artikel 8 die Identität unter besonderen Schutz stellt. Zur Identität, argumentiert Nicholson, der mit seiner Entscheidung juristisches Neuland betritt, gehöre gerade auch das auf sein Geschlecht bezogene Selbstverständnis des Kindes. In nationalstaatlichen gesetzlichen Regelungen und Entscheidungen anderer Gerichte wird die Geschlechtsumwandlung bei transsexuellen Menschen meist erst mit beginnender Volljährigkeit für zulässig erachtet. Als Ergebnis des australischen Verfahrens wird zudem nicht nur die Behandlung selbst, sondern auch die Änderung des Namens und der Geburtspapiere von Alex zugelassen. Nach dem deutschen Transsexuellengesetz, das wegen der entsprechenden Bestimmungen auch kritisiert wird, ist dagegen die gerichtliche Feststellung der neuen Geschlechtsidentität erst nach einem operativen Eingriff möglich und wenn der Antragsteller nachgewiesen hat, daß er keine Kinder mehr zeugen oder bekommen kann. Rechtlich problematisch war in dem australischen Verfahren, daß Wünsche und Reife des Kindes aus zwei unterschiedlichen Perspektiven betrachtet werden mußten. Das Gericht hatte einerseits, um seine Zuständigkeit zu begründen, festzustellen, daß Alex nicht in der Lage ist, die Entscheidung für eine Therapie selbst zu treffen, da sie die Tragweite der Behandlung noch nicht vollständig erfaßt. Andererseits aber war es zur Legitimation des so folgenreichen Eingriffs bei einer Jugendlichen am Beginn ihrer Pubertät erforderlich herauszuarbeiten, daß deren Wünsche und Vorstellungen konsistent sind und sich ihre Entscheidung, künftig als Mann leben zu wollen, voraussichtlich auch nicht mehr ändern wird.

Hinweis: am 27.4. zeigt das ZDF in der Reihe 37 Grad die Reportage "Ein Junge namens Nina - Jugendliche im falschen Körper"

Weiterführende Links

    Die Entscheidung des Family Court | http://www.familycourt.gov.au/judge/2004/pdf/realex.pdf
    Die Geschichte des Films "Ein Junge namens Nina" | http://www.transsexuality.info/db/db.php?i=59.1233&l=a

 

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