Kein Einzelfall aber ein Einzelfall-Gesetz

21.03.2005 | AutorIn:  Dr. Oliver Tolmein | Euthanasie

Terry Schiavo, das Recht, die Politik

DLF, Kultur heute 21.3.2005: US-Präsident Bush hat in einem Eilverfahren ein Gesetz beschliessen lassen, dass den Bundesgerichten im Fall Schiavo Internventionsmöglichkeit einräumt.

Die Bush-Administration hat es vollbracht. Der Kongreß hat das Gesetz verabschiedet, das das neue Zuständigkeiten anordnet und den Eltern von Terry Schiavo erlaubt, vor ein Bundesgericht zu ziehen, um das Leben ihrer Tochter zu retten. Mit dieser Entscheidung, die nach Auffassung us-amerikanischer Kommentatoren eine "neue Kultur des Lebens" einläuten soll, ist eine neue Runde in der sich seit Jahren mit immer neuen Höhepunkten dahinziehenden Auseinandersetzung eingeläutet worden- selbst Spezialisten überschauen nicht mehr, die wievielte es ist. Gewiss ist aber eines: Auch das Gesetz mit dem die Bundesmannen von Präsident Bush in Washington D.C. den Unterstützern des Gouverneurs Bush in Florida zur Hilfe eilen sollen, wird das Verfahren nicht zu einem guten Ende führen können: Es wird voraussichtlich auch dagegen geklagt werden und so wird die Auseinandersetzung noch weiter weg von dem geführt, worum es geht: Der Klärung, wer entscheiden darf, ob ein Mensch, der selbst nicht mehr entscheiden kann, weiterleben kann oder muss oder ob er sterben muss oder darf.

Das größte Handicap des neuen Gesetzes ist, dass es ein zur Regelung eines Einzelfalls ist. Aus der Sicht der römischen Rechtstradition sind Einzelfall-Gesetze ein schlimmer Rückfall hinter die Zeit der Aufklärung. Sie verstoßen gegen den Grundgedanken des modernen Rechts, das Menschen vor dem Gesetz gleich behandelt werden sollen. Nun herrscht in den USA das common law, ein Recht, das gerade durch Einzelfall-Entscheidungen von Richtern weiterentwickelt wird. Aber die Kongreßabgeordneten und der Präsident sind keine Richter und das Betreuungsrecht ist auch in den USA in den letzten Jahrzehnten in Gesetze gegossen worden, die das Richterrecht in allgemein akzeptierte Bahnen lenken sollen. Gerade in den USA gibt es auch ein umfassendes Antidiskriminierungsrecht gibt, in dem der Gleichbehandlungsgrundsatz im juristischen Alltagsleben eine erheblich wichtigere Rolle spielt, als in der Bundesrepublik, ist ein Einzelfall-Gesetz nicht hinzunehmen. Ein Einzelfall-Gesetz ist da schwer hinzunehmen.

Dass dennoch nicht nur Republikaner, sondern auch viele Demokraten ein Einzelfall-Gesetz verabschiedet haben, ist aber zu erklären: Es geht in diesem Streit um das Leben eines Menschen. Über dieses Leben will ein Richter im Zusammenspiel mit dem Ehemann von Terry Schiavo in recht selbstherrlicher Manier verfügen: Die Behauptung, Frau Schiavo habe geäußert nicht an Schläuchen leben zu wollen, reicht ihm aus, den Abbruch der lebenserhaltenden künstlichen Ernährung anzuordnen. Es stehen also die Interessen des Rechtsstaats gegen die eines Einzelnen. Eine befriedigende Lösung in so einem Konflikt ist, zumindest auf politischer Ebene, nicht zu finden - schon gar nicht für Betrachter von einem anderen Kontinent.

Nun wird aber auch in Deutschland über die Verabschiedung neuer Gesetze diskutiert und auch hier kann und wird es Situationen geben, wie in Florida im Fall Schiavo, wo sich Ehemann und Familie uneins über das sind, was Terry Schiavo selbst jetzt wollen würde. Es kommt deswegen darauf an, Sorge dafür zu tragen, dass eine neue Regelung hier auch so schwierige Fälle befriedigend lösen kann. Für den Vorschlag, wie er nach der Vorstellung der Justizministerin Zypries sein soll gilt das sicher nicht. Die Ergänzung dass, eine Patientenverfügung schriftlich zu erfolgen habe, würde auch nur wenig ändern, denn im Fall Schiavo geht es nicht um eine Patientenverfügung, sondern um einen mündlich geäußerten Wunsch, der Grundlage für einen richterlichen Beschluss nach den Maßgaben des Vormundschaftsrechts bildet. Ausgeschlossen wäre ein Fall Schiavo in Deutschland allerdings, wenn das neue Gesetz regelte, dass der Abbruch der künstlichen Ernährung grundsätzlich nur erfolgen kann, wenn es eine entsprechende schriftliche Patientenverfügung gibt - aber das geht den Befürwortern einer Deregulierung der Sterbehilfe als Einschränkung des Selbstbestimmungsrechts zu weit. Ob im Fall Schiavo aber der Tod durch Abbruch der künstlichen Ernährung, den der Mann Terry Schiavos und der Vormundschaftsrichter partout durchsetzen wollen, als "Wahrung der Patientenautonomie am Lebensende" durchgehen könnte, erscheint allerdings höchst zweifelhaft. Insofern ist das, was sich im fernen Florida abspielt auch ein Lehrstück für die deutsche Debatte.

 

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