Lebensrettung als Körperverletzung

18.02.2004 | AutorIn:  Dr. Oliver Tolmein | Euthanasie

Ein Wachkoma-Fall

Frankfurter Allgemeine Zeitung, 18.02.2004, Nr. 41 / Seite 40: Wieso gegen einen Ergänzungsbetreuer Strafanzeige gestellt wurde, nachdem er der Neuverlegung einer Nahrungssonde zugestimmt hatte.

Eine auf den ersten Blick bizarr anmutende Strafanzeige hat die Staatsanwaltschaft Traunstein auf dem Tisch: Ein Rechtsanwalt soll wegen Körperverletzung angeklagt werden, weil er als Ergänzungsbetreuer eines schwer hirnverletzten Patienten dem Austausch von dessen Magensonde zugestimmt hat, nachdem dessen Betreuer die Einwilligung verweigert hatte. Das Verfahren könnte Rechtsgeschichte schreiben, sollte am Ende tatsächlich eine Maßnahme, die ein Menschenleben erhalten hat, als Straftat bewertet werden. Zwischen dem Pflegeheim in Kiefersfelden und dem als Betreuer eingesetzten Vater wird schon länger gestritten. Letztes Jahr hatte das Oberlandesgericht München entschieden, daß der Vater das Heim nicht zwingen kann, die künstliche Ernährung einzustellen - gegen diesen Beschluß ist der Vater, den der als Verfechter der Sterbehilfe profilierte Münchner Anwalt Wolfgang Putz vertritt, in die Revision zum XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes gegangen, der die Revision zugelassen hat und darüber voraussichtlich im März oder April 2004 verhandeln will.(Zum OLG-Urteil finden Sie auf dieser Homepage meinen Test "Heime müssen künstliche Ernährung nicht abbrechen" vom 14.02.2003)

In der Strafanzeige gegen den Ergänzungsbetreuer behauptet der Vater nun, die Neuverlegung der Sonde habe dem Willen seines Sohnes widersprochen, deswegen hätte der vom Vormundschaftsgericht nur für diese Entscheidung eingesetzte Ergänzungsbetreuer seine Einwilligung nicht geben dürfen. Sein Sohn, der seit einem Suizidversuch im Wachkoma liegt, habe eine Vorausverfügung getroffen, daß er im Fall eines irreversiblen Komas nicht durch invasive Maßnahmen am Sterben gehindert werden wolle. Allerdings existiert diese angebliche Verfügung nicht schriftlich, sie ergibt sich aus Aussagen von Freunden und Verwandten.(1) Vertreterinnen des Heims halten dagegen, daß ihr Bewohner auf seine Umwelt reagiere und keineswegs im Sterben liege. Was er gegenwärtig wolle, könne niemand wissen, aber sein Lebenswille sei offensichtlich, denn er habe die Abschaltung des Beatmungsgeräts in der Klinik, aber auch eine spätere schwere Lungenentzündung überlebt.

Jetzt muß sich die Staatsanwaltschaft Klarheit darüber verschaffen, ob die Sondenverlegung tatsächlich dem Willen des Patienten widersprach und welche rechtlichen Pflichten ein Betreuer in so einer Lage hat. Im Rahmen eines früheren Ermittlungsverfahrens, das gegen den Vater eröffnet worden war, weil er versucht hatte, die künstliche Ernährung abzubrechen, hatte die Staatsanwaltschaft in ihrem Einstellungsbeschluß festgestellt, "daß der angeordnete Behandlungsabbruch dem mutmaßlichen Willen des Patienten" entspreche, "Anhaltspunkte für Zweifel am Wahrheitsgehalt der vorgelegten schriftlichen Äußerungen von Verwandten bestehen nicht". Dieses Ergebnis eines früheren, gegen einen anderen Beschuldigten gerichteten Ermittlungsverfahrens ist für das jetzige Verfahren nicht bindend. Strafrechtlich gesehen, ist jedenfalls die Veranlassung eines medizinischen Eingriffs ohne oder sogar gegen den Willen des Betroffenen tatsächlich als Körperverletzung zu bewerten. Das Betreuungsrecht verlangt dagegen vom Betreuer, zwar die Wünsche des Betreuten zu berücksichtigen, es zieht aber dort eine Grenze, wo diese Rücksichtnahme dessen Wohl zuwiderläuft. Das Gesetz läßt jedoch offen, wie das Wohl festzustellen ist. Zudem ist der mutmaßliche Wille des Patienten, den die Staatsanwaltschaft festgestellt haben will, gerade nicht dessen tatsächlicher Wille. Und während ein tatsächlicher Wille einer Betreuerentscheidung in diesen Fragen nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs wohl vorgehen müßte, ist das bei einem nur mutmaßlichen Willen keineswegs klar.(2)(3)

(1) Der Rechtsprechung des BGH zufolge macht es keinen Unterschied, ob eine solche Verfügung mündlich oder schriftlich ergeht. Allerdings sind mündliche Verfügungen schwerer zu beweisen. In der Praxis spielt das angesichts der geringen Beweisanforderungen vieler Vormundschaftsgerichte allerdings eine untergeordnete Rolle. Die Auffassung des BGH ist dennoch nicht akzeptabel. Denn es geht hier nicht um irgendeine Willensäußerung und es kann kaum überzeugen, dass ein Testament, das die Aufteilung des Vermögens regelt, eine strenge Form einhalten muß, eine Patientenverfügung, die den Tod beschleunigt herbeiführen soll aber völlig formfrei ist.

(2) Legt man die gegenwärtige Rechtsprechung zugrunde, muss also geklärt werden, ob die Äußerungen des Patienten eine eigenständige Verfügung darstellen, oder ob sie nie nur Anhaltspunkte für die Ermittlung eines mutmaßlichen Willen darstellen, der allerdings angesichts des Betreuerhandelns hier keine nennenswert Bedeutung hätte. Für eine Verfügug spräche, wenn der Patient sehr konkret gerade für diese Situation des Wachkomas den Abbruch der künstlichen Ernährung gewünscht hätte.

(3)Nachtrag: Ende Februar hat die Staatsanwaltschaft Traunstein beschlossen, von der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens gegen den beschuldigten Rechtsanwalt abzusehen: „Mit der Genehmigungserteilung hat sich der Beschuldigte für den zur Lebenserhaltung notwendigen Eingriff entschieden. Ein willkürlicher Gebrauch oder evidenter Missbrauch seiner Stellung und Befugnisse als Ergänzungsbetreuer ist nicht ersichtlich.“ Sodann weist die Staatsanwaltschaft daraufhin, dass der Strafanzeige eine langjährige, im Betreuungsrecht wurzelnde Auseinandersetzung zugrundeliege, in deren Rahmen zivilrechtlichen Ansprüche auf Unterlassung der künstlichen Ernährung gegen den früher erklärten Willen des Patienten vor den Zivilgerichten geltend gemacht werden. Wörtlich heißt es weiter: „Mit vorliegender Strafanzeige sucht der Anzeigeerstatter offensichtlich seine Rechtsansicht auch unter Zuhilfenahme der Strafjustiz durchzusetzen. " Gegen die Verfügung hat der Anzeigeerstatter unterdessen Beschwerde bei der Generalstaatsanwaltschaft München erhoben.

 

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