Raus Rede zur Bioethik

13.05.2001 | AutorIn:  Dr. Oliver Tolmein | Medizinethik allgemein

Veröffentlicht in: Jungle World, 23.5.2001

Gerhard Schröder war alles andere als begeistert. Während der Kanzler nach dem Auftritt des Bundespräsidenten die Biotechnologie als Schlüsseltechnologie des neuen Jahrhunderts verteidigte, kanzelte er die zweite "Berliner Rede" von Johannes Rau ab: "Das kommentiere ich nicht."

Schröders Reaktion auf Rau, der sich in allen wesentlichen Punkten auf die Seite der Kritiker der Biomedizin gestellt hat, ist aber nicht nur einfach eine beleidigte. Sie ist charakteristisch für den Umgang mit Reden von Bundespräsidenten. Handelt es sich dabei doch um repräsentative Auftritte, mit denen nicht Einfluss auf die tatsächliche Entwicklung der Verhältnisse genommen werden soll, sondern die einen bereits bestehenden demokratischen Diskurs symbolisch widerspiegeln.

Diesen Rahmen hat Rau mit seiner Rede nicht durchbrochen. Statt den bioethischen Diskurs in Deutschland zu analysieren, hat er Maßhalten gepredigt. Mit ungewöhnlich deutlichen Formulierungen allerdings: So stellte er fest, dass Menschenrechtsverletzungen nicht dadurch akzeptabel würden, dass sie sich rechneten. Auch wandte er sich dagegen, Experimente aller Art zu erlauben, nur weil "die anderen" das ebenfalls machten. Schließlich würden "andere" ja auch die Todesstrafe praktizieren, ohne dass sie hierzulande eingeführt werden sollte.

Schröder könnte sich Zurückhaltung trotzdem leisten. Denn Rau hat mit seinem ausdrücklichen, aber nicht näher spezifizierten Verweis auf gentechnische Forschung, die er für ethisch unbedenklich und erfolgreich hält, der biowissenschaftlichen Gemeinde ein Terrain abgesteckt, das sie nutzen kann. Die Formulierung, es sei "viel Raum diesseits des Rubikon", lässt den Bioforschern jedenfalls alle Möglichkeiten, die Rede absichtlich misszuverstehen.

Für die Biodisziplinen, die sich als Lebenswissenschaften feiern lassen, dafür aber der Lizenz zum selektiven Töten bedürfen, ist die Entwicklung der letzten Wochen dennoch wenig erfreulich, auch wenn die Angriffe Raus oder der früheren Gesundheitsministerin Andrea Fischer keine ernsthafte Bedrohung bedeuten. Die Verteilung ist noch zu eindeutig: Auf der einen Seite steht die Wissenschaftslobby, darunter die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG), die auf eine weit reichende Deregulierung der Forschung drängt. Sie kann ihre Mittel so streuen, dass gerade auch die ethisch bedenklichen Projekte gefördert werden. Auf der anderen Seite stehen die professionellen BedenkenträgerInnen, die dafür zuständig sind, den demokratischen Diskurs zu symbolisieren.

Von Schröder weiß man, dass er sich fürs Profitable allemal mehr interessiert als fürs Gute. Allerdings ist längst noch nicht alles entschieden. Das wurde deutlich, als der Senat der DFG Anfang Mai eine Empfehlung zur Förderung der Forschung mit menschlichen embryonalen Stammzellen verabschiedete, der DFG-Hauptausschuss die Entscheidung über das erste Projekt dieser Art aber um zwei Monate verschob. In den nächsten Monaten wird sich zeigen, ob es gelingt, den Preis für die fragwürdigen Gentechprojekte - dazu zählen gegenwärtig vor allem die Forschung an menschlichen embryonalen Stammzellen, die Erteilung von Patenten auf lebendige Materie und die Präimplantationsdiagnostik - höher zu treiben. Dazu könnte Raus Rede beigetragen haben.

Allerdings müssten dann auch Forschungsverbände oder die Bundestagsfraktion der Grünen in diesem Sinne Stellung beziehen. Ob das gelingt, ist nicht ausgemacht, allerdings ist bemerkenswert, dass die Debatte über die Projekte der Biomedizin sich verschoben hat. Zwar geben die ExpertInnen immer noch den Ton an, das Thema selbst ist aber kein Thema für SpezialistInnen mehr. In der Debatte über Biomedizin wird immer häufiger verhandelt, wie das Sozialgefüge der westlichen Gesellschaften strukturiert werden soll.

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