Repräsentanten in der Zirkuskuppel

05.06.2002 | AutorIn:  Dr. Oliver Tolmein | Medizinethik allgemein

Die Enquetekommission Recht und Ethik der modernen Medizin ließ mit sich reden

Frankfurter Allgemeine Zeitung 5. Juni 2002: Die Enquetekomission "Recht und Ethik der Modernen Medizin" hatte ins Zentrum für Kunst- und Medientechnologie zum öffentlichen Dialog geladen. Irritationen sollten ausbleiben, deswegen mußten Naturwissenschaftler leider draußen bleiben.

Die Wahl des Ortes versprach Spannung. Die Bundestags-Enquetekommission Recht und Ethik der modernen Medizin hatte zu ihrer abschließenden Dialogveranstaltung "Das Parlament im biopolitischen Diskurs" ins "Zentrum für Kunst und Medien" (ZKM) in Karlsruhe geladen. Hier ist nicht nur Peter Sloterdijk ständiger und gern gehörter Gast. In der Ausstellung "Der anagrammatische Körper", die vor zwei Jahren im ZKM zu sehen war, präsentierte das Team um Peter Weibel moderne Kunst, die so radikal gestaltend Zugriff auf den Menschen nahm, wie es den Kommissionsmitgliedern, die den Bio-Technologien überwiegend erhebliche Bedenken entgegensetzen, schwerlich hätte gefallen können. Aber die Ausstellung ist längst geschlossen. Peter Sloterdijk blieb, statt über biopolitische Kirchenvolksbegehren zu polemisieren, nebenan im Rektorat seiner Hochschule für Gestaltung und die Öffentlichkeit, die gekommen war, suchte in dem überdimensionierten Vortragssaal weniger den Konflikt mit seinen Repräsentanten als Antworten und Bestätigung. Auch die Enquetekommission selbst hatte die Dialogveranstaltung so konzipiert, dass Irritationen ausbleiben mußten. Die drei großen Podien waren so besetzt, dass die geladenen Spezialisten weitgehend unter sich diskutieren konnten - unterbrochen nur von vereinzelten Fragen aus dem Publikum. Die vier Bundestagsabgeordneten ließen sich von den Journalisten Jan Ross (Die Zeit) und Christian Schwägerl (F.A.Z.) eine auch für das Parlament wenig repräsentative Zusammensetzung attestieren. Auch ihre im Abschlußberichtbericht zu Tage tretenden wenig visionäre und vorausblickende Perspektive wurde kritisiert. Wesentliches Anliegen der Abgeordneten war, Unterstützung für eine Enquete-Kommission zu biopolitischen themen auch in der nächsten Legislaturperiode zu werben.

In der Debatte über "Das Ende der Natürlichkeit", mit der die Tagung eröffnet worden war, räsonnierten die Geisteswissenschaftlerinnen unter sich über das Verhältnis von Traum, Alptraum und Gesellschaft. Und im abschließenden Diskussionsblock über die "Wechselwirkungen von Politik, Recht, Philosophie , Theologie und Kunst im biopolitischen Diskurs" blieben Kardinal Lehmann, der Philosoph Hans Lenk, die Verfassungsrechtlerin Gertrude Lübbe-Wolff und der Experte für Technikfolgenabschätzung Ortwin Renn ihrer jeweiligen Disziplin treu. Nur Peter Weibel, der Direktor des ZKM, brillierte interdisziplinär und brachte mit seinen eigenwilligen Deutungen juristischer Begriffe und computergestützter medizinischer Techniken seine Mitdiskutanden, nicht aber den souveränen Moderator Volker Stollorz, gelegentlich aus der Fassung. Weibel schlug mit seiner These, daß die Kunst den bioethischen Diskurs weit hinter sich gelassen habe, weil die Bilder moderner Maler wie Picasso und Bacon sich von der Vorstellung, es gebe einen natürlichen Körper verabschiedet hätten, auch den Bogen zur Debatte am Morgen. Da hatte der an der Universität Wien lehrende Theologe Ulrich Körtner noch davor gewarnt, dass die neue, gegen die Gentechnik gerichtete Begeisterung fürs Natürliche eine Art neuer Lebensreligiosität darstelle, die einen rationalen Diskurs verhindern könnte.

Aus einer anderen, die Gentechnik weitaus skeptischer betrachtenden Perspektive hatte sich auch hannoveraner Soziologin Barbara Duden kritisch mit dem ideologischen Gehalt des Naturbegriffes auseinandergesetzt. In ihrer feministisch geprägten Argumentation ordnete sie die Natürlichkeitskonzepte allerdings der Seite der Biotechnologen selbst zu und wies darauf hin, daß Natur im Gen-Diskurs stets als etwas verstanden werde, was nicht anders gedacht werden könne. Während traditionell die Rede davon sei, dass eine Person den Körper "habe", sage die Genetik mit Blick auf den Körper: "das bist du". Dabei werde aber ausgeblendet, dass prägend für den einzelnen Menschen nicht in erster Linie sein Körper selbst sei, sondern die Praktiken, wie mit diesem Körper verfahren und wie er behandelt werde. Der Bochumer Philosoph Walter Schweidler hielt dem entgegen, daß es durchaus auch eine vorgefundene Natürlichkeit gebe. Der Mensch könne sich von dieser Natur emanzipieren -aber nur indem er sie reflektiere.

Während die Facetten der philosophischen, kulturwisssenschaftlichen und soziologischen Diskussion über den Körper und seine Konstruiertheit so weitgehend ausbuchstabiert wurden, fehlte in der Debatte das naturwissenschaftliche Gegenstück vollständig. Biologinnen, Chemiker oder Medizinerinnen aus der Forschung waren in dieser Debatte über "Das Parlament im biopolitischen Diskurs" nicht präsent. Dabei hat gerade die aktuelle biopolitische Debatte um deren Zukunft es an diesem Tag ging auch eine Kontroverse in den Labors und naturwissenschaftlichen Fakultäten bewirkt, die so bislang nicht stattgefunden hatte. Die Kulturwissenschaftlerin Christina von Braun hatte am Vormittag konstatiert, dass im Abendland im Zuge des Säkularisierungsprozesses die Naturwissenschaften die Geisteswissenschaften und die Theologie als Leitwissenschaften abgelöst hätten. Die Enquete-Kommission, der Eindruck konnte am Montag entstehen, hat nun versucht der Allzuständigkeit der Naturwissenschaften dadurch zu begegnen, dass ihre Kompetenz für ethische Fragen negiert wird. Das Konzept ist nicht nur unklug, weil es im Ergebnis eher dazu führt, dass die Ethik marginalisiert wird, als die Naturwissenschaft. Es ist auch prinzipiell falsch, weil es die Aufspaltung von Forschung und Begründung, zu der die pragmatische Wissenschaft ohnedies tendiert, dann auch von Seiten ihrer prinzipiell argumentierenden Kritiker fortschreibt.

Weiterführende Links

    Enquetekommission Recht und Ethik der Modernen Medizin | http://www.bundestag.de/gremien/medi/index.html
    Zentrum für Kunst und Medientechnologie | http://www.zkm.de/

 

Zurück zur Übersicht