Sie wollen sterben? Wir helfen Ihnen gern
20.10.2012 | AutorIn: Dr. Oliver Tolmein | Euthanasie
Katastrophal: Nach einem begleiteten Selbstmord leiden viele Angehörige und Freunde unter posttraumatischen Belastungsstörungen
Wenn die Abgeordneten des Deutschen Bundestages mit sich hadern und Gegenstand ihrer Entscheidung nicht gerade ein Problem mit nennenswerter volkswirtschaftlicher Bedeutung ist, wird oftmals der Fraktionszwang aufgehoben, und Gruppenanträge machen die Runde. Für Beobachter kann das spannend sein, weil die so entstehenden Konstellationen oft überraschend und politisch reizvoll sind. Es hat ja auch seinen Charme, wenn man nicht schon gleich zu Beginn einer Diskussion das Abstimmungsergebnis kennt.
Der Bundesrat, der eben stärker den Charakter einer Delegiertenversammlung hat, tut sich da schwerer, wie jetzt wieder zu beobachten war, als es um zwei Gesetzentwürfe ging, die sich beide zum Ziel gesetzt haben, den Schutz des menschlichen Lebens zu verbessern und der Werbung für Suizidbeihilfe oder der gewerbsmäßigen Förderung der Selbsttötung den Kampf anzusagen. Das Thema beschäftigt den Bundesrat schon einige Jahre länger als die Regierungskoalition – am Ende der langen Debatte stand aber als Ergebnis nur das Nichts: Der Gesetzentwurf des Landes Rheinland-Pfalz, der die Werbung für Suizidbeihilfe irgendwo zwischen der Unterstützung krimineller Vereinigungen und der Werbung für den Schwangerschaftsabbruch angesiedelt hat, wird nicht in den Bundestag eingebracht werden.
Zum Gesetzentwurf der Bundesregierung will der Bundesrat gleichwohl auch keine Stellung nehmen, und auch die letzte Abstimmungsoption wurde verworfen. Das Protokoll vermerkt dazu: „Wer dafür ist, gegen den Gesetzentwurf keine Einwendungen zu erheben (hebe die Hand). Das ist ebenfalls eine Minderheit. Damit hat der Bundesrat eine Stellungnahme nicht beschlossen.“
Die Frage, was aus dem aus dem Bundesjustizministerium stammenden, umstrittenen Gesetzentwurf zur Strafbarkeit der gewerbsmäßigen Förderung der Selbsttötung wird, muss nun also der Bundestag allein entscheiden. Betrachtet man die zurückliegenden bundespolitischen Debatten über bioethische Themen, dann überraschte es allerdings, wenn die Schaffung dieses neuen Straftatbestandes in der jetzt vorliegenden Form beschlossen werden würde.
Es wäre in der durch ein stetiges Zurückdrängen des Strafrechts geprägten Entwicklung seit langem das erste Mal, dass neue staatliche Eingriffsmöglichkeiten geschaffen würden. Zudem erscheint der Ansatzpunkt, wie sich in den Kontroversen der zurückliegenden Wochen und auch in der Bundesratsdebatte gezeigt hat, wenig überzeugend. Der rheinland-pfälzische Justizminister Jochen Hartloff hat das Problem des Entwurfs der Bundesregierung zugespitzt auf den Punkt gebracht: „Strafbar soll danach also schon werden, wer gewerbsmäßig etwas Erlaubtes tut.“ Das weitaus interessantere und wichtigere Problem für jemanden, der Leben schützen will, ist also: Warum wollen Menschen sich unter bestimmten Umständen selbst töten? Der niedersächsische Justizminister Bernd Busemann hat dazu eine bemerkenswerte Hypothese entwickelt: Weil Fehlschläge beim Suizid häufig sind und der Tod für Menschen, die sich selbst töten, oft schmerzhaft ist, ist die Hemmschwelle hoch. Wenn aber professionelle Suizidhelfer auf den Plan treten, sinkt die Hemmschwelle, weil ein Fehlschlag nicht droht.
Damit, so unterstrich Busemann in der Bundesratsdebatte, sei auch die Gefahr des Missbrauchs groß – was die Frage aufwirft, was er denn für den richtigen Gebrauch des Suizids hält. Vor allem aber stellt sich, so gesehen, die Frage, ob es eine angemessene Strategie ist, Unerwünschtes möglichst schmerzhaft und gefährlich erscheinen zu lassen, um so einen natürlichen Abschreckungseffekt erzielen zu können.
Die etwas moderatere Begründung hielt der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesjustizministerium, Max Stadler, bereit, der den Gesetzentwurf der Bundesregierung so begründete: „Wenn ein kommerzielles Angebot Menschen dazu verleiten könnte, sich selbst zu töten, die dies ohne ein solches Angebot nicht getan hätten, lässt sich eine strafrechtliche Verbotsregelung sehr wohl begründen.“
Das klingt selbst beim ersten Hören nicht besonders einleuchtend. Einmal abgesehen davon, dass höchst unklar ist, was „verleiten“ in diesem Zusammenhang meint, bleibt völlig offen, wieso dann nicht auch ein nichtkommerzielles Angebot verboten sein soll, etwa eine Streitschrift oder Internetseite, die Menschen dazu verleitet, sich selbst zu töten, die es sonst nicht getan hätten.
Das alles heißt nicht, dass keine Grenzen und Maßstäbe gesetzt werden sollen. Das geltende Recht und auch die Musterberufsordnung der Ärzte enthalten sinnvolle und, wie sich in extremen Einzelfällen gezeigt hat, auch handhabbare Regelungen. Grundsätzlich kommt es aber vor allem darauf an, die gesellschaftliche Auseinandersetzung mit Fragen des Suizids und der Sterbehilfe zu führen.
In Oregon beispielsweise, wo ärztlich assistierter Suizid seit 1998 legal ist, geben 36,1 Prozent der Patienten, die sich getötet haben, vorher an, dass ein wesentliches Motiv für ihren Suizid sei, ihren Angehörigen und Freunden nicht zur Last fallen zu wollen. 90,9 Prozent der Patienten geben allerdings auch an, sie hätten Angst davor, ihre Autonomie zu verlieren. Wie sind solche Angaben zu interpretieren? Und wie reagiert die Gesellschaft darauf? Nimmt sie die Angaben als positiv hin? Oder wertet sie die Bereitschaft zu sterben, um anderen nicht zur Last zu fallen, als Zeichen fehlender Selbstbestimmung? Deutlich wird an diesen Zahlen jedenfalls, dass auch die Entscheidung für einen Suizid nicht isoliert von erwarteten und tatsächlichen Reaktionen der Umwelt getroffen wird. Wobei sich auch hier die Frage stellt: Wie kann die Belastung von Familien oder Freunden durch schwere Erkrankungen wie beispielsweise Demenz verringert werden?
Und was hat es für Konsequenzen, wenn man angesichts solcher Zahlen feststellt, wie eine Forschergruppe um die an der Universitätsklinik Leipzig beschäftigte Psychologin Birgit Wagner, dass nach der Begleitung eines assistierten Suizids dreizehn Prozent der Angehörigen und Freunde unter einer vollentwickelten posttraumatischen Belastungsstörung leiden und weitere 6,5 Prozent einzelne Symptome einer posttraumatischen Belastungsstörung aufweisen? Das sind Werte, die ähnlich hoch sind wie die Werte von Katastrophenhelfern nach Einsätzen in Krisengebieten oder von Infanteristen nach mehrmonatigen Einsätzen im Irak oder in Afghanistan.
Für Birgit Wagner, die sich selbst eine neutrale Haltung gegenüber Sterbehilfe attestiert, sagen die Zahlen allerdings nichts darüber aus, ob Suizidbeihilfe gut oder schlecht ist. In ihrer Studie, die soeben in der Druckausgabe der Zeitschrift „European Psychiatry“ veröffentlicht wurde, wird empfohlen, dass die Sterbehilfeorganisationen die Angehörigen ihrer Mitglieder besser über die möglichen Folgen einer Suizidbegleitung informieren und professionelle psychologische Betreuung für traumatische Folgen in der Zeit nach der Begleitung anbieten. Nicht weniger plausibel erscheint freilich die Überlegung, ob der Suizid den von manchen schwerkranken und wohl auch verzweifelten Menschen erhofften Effekt, ihre Familien zu entlasten, auch wirklich hat.
Eine verbesserte palliativmedizinische Pflegestruktur oder andere Modelle der Kostenübernahme, die Pflegebedürftige nicht um alles bringen, was sie erspart und aufgebaut haben, retten Menschen vor dem Suizid – sicher aber nicht alle, denn, auch das hat Birgit Wagner herausgefunden: Gut ein Drittel der Menschen, deren Suizid die Sterbehilfeorganisation Exit begleitet hat, hatte zwar eine Krankheit, die aber noch längst keinen tödlichen Verlauf genommen hatte.
Weiterführende Links
- Mehr zur Studie von Birgit Wagner im Biopolitik-Blog des Autors | http://biopolitikblog.de/