Sterben müssen auch alle Abgeordneten einmal

13.11.2014 | AutorIn:  Dr. Oliver Tolmein | Euthanasie

Im Bundestag wird am 13. November 2014 vier Stunden über Sterbebegleitung debattiert werden

Eine kürzere Fassung dieses Textes ist am 13.11.2014 im Feuilleton der FAZ erschienen. Eine Bundestagsdebatte, kein Gesetzentwurf, viele Positionen - was haben wir vom 13.11.2014 zu erwarten? Jedenfalls wird viel Betroffenheit geäußert werden - und die Palliativmedizin bekommt mehr Mittel.

Wenn die Tagesordnung des Deutschen Bundestages zuverlässig Auskunft darüber gibt, was in der bundesdeutschen Politik derzeit für besonders wichtig erachtet wird, dann können die Biopolitiker des Landes hochzufrieden sein. Mehr als vier Stunden haben die Abgeordneten für den morgigen Donnerstag eingeplant um über Sterbebegleitung zu diskutieren. Besonders erstaunlich: Es ist eine freie Debatte der kein einziger ausgearbeiteter Gesetzentwurf zugrunde liegt. Im besten Fall wird es also eine freie, offene Debatte; im schlechteren Fall bildet sie bloß die Beliebigkeit und Ziellosigkeit des öffentlichen Diskurses ab, in dem es zumeist nicht einmal gelingt, zwischen Sterbehilfe, Tötung auf Verlangen, Sterbebegleitung und Suizidbeihilfe zu unterscheiden.

Immerhin: im Vorfeld der morgigen parlamentarischen Diskussion hat es allerlei Positionsbestimmungen gegeben, zuletzt gestern [Dienstag] von den drei Unionsabgeordneten Michael Brand, Michael Frieser und Claudia Lücking-Michael, die erläutert haben, warum es zum Schutz der menschlichen Würde am Ende des Lebens ein strafrechtliches Verbot der organisierten Suizidbeihilfe, wie sie einzelne Sterbehilfevereine und Ärzte betreiben, geben muss. Einzelne Abgeordnete, wie der ebenfalls zur Union gehörende Bundestagsvizepräsidenten Peter Hintze haben in den letzten Wochen die Debatte gleich durch mehrere, recht unterschiedliche Stellungnahmen geprägt – und damit auf ihre Weise deutlich gemacht, wie schwierig es ist eine haltbare Position zu entwickeln: hatte Hintze ursprünglich Sympathien für den von vier Wissenschaftlern präsentierten Vorschlag erkennen lassen, Ärzten durch eine strafrechtliche Ausnahmevorschrift Suizidbeihilfe in bestimmten Fällen ausdrücklich zu gestatten, war er dann selber mit Eckpunkten an die Öffentlichkeit getreten, die ärztlich assistierten Suizid im Umfeld des Betreuungsrechts im Bürgerlichen Gesetzbuch legalisieren sollten. Seit Ende letzter Woche sieht er aber auch die Möglichkeit seine Vorstellungen durch eine Änderung des ärztlichen Standesrechts zu verwirklichen.

In einem sind sich die Autorinnen und Autoren der verschiedenen Positionsbestimmungen und Eckpunktepapiere und auch Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe, der die Debatte Anfang des Jahres vorangetrieben hat, einig: Die Hospiz- und Palliativversorgung der Bevölkerung in Deutschland muss deutlich verbessert werden. Weiße Flecken der Versorgung insbesondere im ländlichen Raum sollen gefüllt werden, die Leistungen selber sollen ausgebaut und die Qualität der Versorgung erhöht werden. Gegen den gegenwärtigen Trend auch in der Krankenversorgung den Rotstift anzusetzen und zunehmend selbst bei medizinisch sinnvollen Leistungen zu sparen, sollen in die Behandlung von Patienten am Lebensende deswegen auch zusätzliche Gelder fließen.

Das ist grundsätzlich erfreulich, auch wenn hier die paradoxe Möglichkeit aufscheint, dass Menschen erst am Ende ihres Lebens. Wenn ihnen kaum noch Zeit bleibt, die gute medizinische und pflegerische Behandlung erfahren könnten, die ihnen Jahre zuvor weitaus mehr Lebensglück beschert hätte. Das engagierte und positionsübergreifende Bemühen um eine gute medizinische Behandlung am Lebensende zeigt auch, dass es in der ansonsten äußerst kontrovers geführten Debatte um organisierte Suizidbeihilfe und den ärztlich assistierten Suizid nicht um einen Werte-Dualismus geht, in dem sich auf der einen Seite hartleibige Hardliner profilieren, die die Menschen für ein höheres Ideal am Lebensende leiden lassen wollen und auf der anderen Seite großmütige liberale Anhänger der Selbstbestimmung, die aufopferungsvoll für die Vermeidung von Qualen streiten. Wir werden nämlich alle einmal sterben und auch die Protagonisten der jeweiligen Positionen reden damit immer auch über Entwürfe und Möglichkeiten für den Fall, dass ihr eigenes Leben zu Ende geht oder in eine schwere Krise gerät. Die Vielzahl der Möglichkeiten Suizidbeihilfe gar nicht, ein bisschen, ein bisschen mehr, viel oder grundlegend rechtlich zu regulieren, die in den letzten Wochen sichtbar geworden sind und die die Abgeordneten des Deutschen Bundestages morgen in ihren Redebeiträgen vertreten werden, gibt so vor allem Auskunft darüber wie schwer, aber auch wie wichtig es ist hier Lösungen zu finden, die für die Gesellschaft insgesamt Geltung beanspruchen können – auch wenn alle, wie das Leben selbst, vermutlich unter dem deutlichen Vorbehalt der Endlichkeit stehen.

Im System unserer repräsentativen Demokratie ist diese umfassende und klare persönliche Betroffenheit derer, die Gesetzgeber sind, ungewöhnlich. Hilfreich kann sie nur werden, wenn es gelingt dieses besondere Moment der Debatte offen zu thematisieren und dennoch am Ende eine rechtliche Regelung zu finden, die die Verbindlichkeit und Allgemeingültigkeit für sich beanspruchen kann und will, die Gesetzen zu eigen sein muss, die einen Rahmen für den schon vielgestaltigen Normalfall gebe. Die zweifellos existierenden dramatischen Extremfälle zeigen nur, wie wichtig es ist auf jeden Fall auch eine Reaktion für Ausnahmen parat haben zu müssen, als Grundlage für allgemeine Regeln taugen sie dagegen nicht.

 

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