Streit der Entwürfe

29.12.2006 | AutorIn:  Dr. Oliver Tolmein | Recht

Patientenverfügung bald im Bundestag

F.A.Z. 29.12.2006: Im Bundestag soll bald über Patientenverfügungen diskutiert werden. Die ersten drei Gesetzentwürfe präsentieren Lösungen, von denen keine ohne beachtliche Probleme ist.

Synopsen, Fallkonstellationen und Diskussionspapiere zum Thema „Patientenverfügung“ stapeln sich derzeit in den Büros der Rechtspolitiker im Bundestag. Die kurz vor der Auflösung des Bundestages 2005 auf parteipolitischer Ebene zum Erliegen gekommene Debatte ist wieder im Parlament angekommen und die meisten Beteiligten sind sich einig, dass diesmal nach Abschluss der Beratungen tatsächlich ein Gesetz verabschiedet werden soll – und sei es nur, weil das als dringender Wunsch aus der Bevölkerung angesehen wird. Während die Große Koalition sich üblicherweise bemüht, nach außen hin einen geschlossenen Eindruck zu vermitteln, ist in dieser bioethischen Debatte die Entscheidung für fraktionsübergreifende Gruppen-Anträge freigegeben. Bemerkenswerterweise stammen beide bereits vorliegenden, gegensätzlichen Entwürfe von SPD-Abgeordneten. Der rechtspolitische Sprecher der Sozialdemokraten, der ehemalige Richter Joachim Stünker, hat bereits im Mai 2005 einen sehr weitreichenden, radikal an einem formalen Autonomiekonzept orientierten Gesetzestext entworfen, der nun in der Debatte eine zentrale Rolle spielt. Stünkers Vorschlag, den die Justizministerin unterstützt, der aber auch in der FDP auf große Sympathien stößt, erkennt Patientenverfügungen, die schriftlich niedergelegt sein müssen, ohne Wenn und Aber bindende Wirkung zu, wenn „die Festlegungen auf eine konkrete Situation“ zutreffen. Andernfalls hat die Patientenverfügung indizielle Wirkung für die Ermittlung des mutmaßlichen Willens. Knüpft der Entwurf insofern an den zu irgendeinem Zeitpunkt tatsächlich vorhanden gewesenen Willen des aktuell entscheidungsunfähigen Menschen an, betrifft eine ergänzende Vorschrift Entscheidungen über das Ende des Lebens von unter Betreuung stehenden Menschen, die gerade keine Patientenverfügung formuliert haben. Lebenserhaltende Behandlungen sollen bei ihnen paradoxerweise unter der Flagge der Autonomie in jedem Stadium einer Krankheit ohne vormundschaftsrichterliche Kontrolle abgebrochen oder nicht ergriffen werden können, wenn zwischen Dritten, nämlich dem Betreuer und einem Arzt, Einigkeit darüber besteht, dass dies ihrem mutmaßlichen Willen entspricht.

Demgegenüber hat der SPD-Forschungspolitiker Rene Röspel, der in der letzten Legislaturperiode den Vorsitz der Enquetekommission Recht und Ethik der modernen Medizin führte, eine kombinierte Lösung von strafrechtlichen und zivilrechtlichen Regelungen ausgearbeitet, die stark am Lebensschutz orientiert ist. Röspels Vorschlag fügt sich aber auch systematisch besser ins Betreuungsrecht ein, das dem Betreuer als gesetzlichem Vertreter auferlegt die Wünsche des Betreuten zu befolgen, als auch dessen Wohl zu berücksichtigen. Im Zentrum des Gesetzentwurfes steht eine Regelung, was Patientenverfügungen sind und welche Konsequenzen sie haben. Eine Patientenverfügung ist demnach keine Dritte direkt bindende Willenserklärung, sondern eine Anweisung an den Betreuer an, der den Betreuten weiterhin verantwortlich nach außen vertritt. Der Betreuer hat der Verfügung, die den Abbruch oder die Nichtaufnahme einer lebenserhaltenden Behandlung vorsieht, entsprechend zu handeln. Voraussetzung für diese, den Betreuer bindende Wirkung ist, wie bei Stünker, dass die Verfügung schriftlich abgefasst ist, und anders als bei Stünker, dass eine „tödlich verlaufenden Grunderkrankung“ vorliegt „deren Fortschreiten durch ärztliche Kunst nicht aufgehalten werden kann“. Außerdem muss sich der Betreuer ein Urteil darüber bilden, dass der Verlauf der Erkrankung, die dadurch bewirkten Einschränkungen der Lebensqualität und der gegenwärtige tatsächliche Lebenswille des Patienten bei Erstellung der Patientenverfügung „zutreffend eingeschätzt wurden“. Schließlich muss Röspels Entwurf zufolge das Vormundschaftsgericht den zum Tode führenden Behandlungsabbruch bzw. die Nicht-Aufnahme der lebenserhaltenden Behandlung genehmigen. Ein neu geschaffener Paragraph 212a StGB sichert die Straflosigkeit der aus der Umsetzung einer Patientenverfügung resultierenden Handlungen und Unterlassungen ab.

Die Vorstellungen des CDU/CSU-Rechtspolitikers Wofgang Bosbach, die noch nicht in einen Gesetzeswortlaut übersetzt sind, weisen einige Übereinstimmungen mit denen Röspels auf – allerdings will Bosbach auf keinen Fall an strafrechtlichen Vorschriften rühren. Einig sind sich der CDU-Rechtspolitiker und Röspel in der Überzeugung, dass eine Patientenverfügung, die in bestimmten Konstellationen lebenserhaltende Behandlungen ablehnt, eine sogenannte Reichweitenbegrenzung haben soll, dass ihr also nur für den Fall bindende Wirkung zukommt, dass die Grunderkrankung einen irreversibel tödlichen Verlauf genommen hat. Allerdings will Bosbach Ausnahmen von diesem Grundsatz zulassen: Bei Menschen in einem „über lange Zeit klinisch stabilen Wachkoma“ oder mit weit fortgeschrittenen Demenzen, die höchst wahrscheinlich „das Bewußtsein niemals wieder erlangen“ soll der Abbruch lebenserhaltender Behandlungen bei Vorliegen einer entsprechenden Patientenverfügung möglich sein, obwohl dieses keine Krankheiten sind, die dem Bild einer „Krankheit mit irreversibel tödlichem Verlauf“ entsprechen.

Bosbach hält auch eine vormundschaftsrichterliche Kontrolle von Entscheidungen über den Abbruch oder die Nichtaufnahme lebenserhaltender Behandlungen grundsätzlich für wünschenswert. Allerdings gibt es auch hier bei ihm Einschränkungen: Wenn ein Konsil in dem neben den Ärzten auch die Pflege und der Betreuer vertreten sind, einig ist, dass der Patientenverfügung gefolgt werden soll, ist eine vormundschaftgerichtliche Genehmigung nicht erforderlich. Bosbach will bis Ostern einen Gesetzentwurf vorlegen können. Vorher wird es wahrscheinlich auch Abstimmungen mit Abgeordneten anderer Fraktionen geben, denn vor allem die Gegner einer einseitig formale Autonomiekonzepte Rechnung tragenden Regelung wollen verhindern, dass am Ende mehr als zwei oder maximal drei Entwürfe auf dem Tisch liegen. Röspel und Bosbach sind beide davon überzeugt, dass die Konzentration auf einen gemeinsamen Gegenentwurf die Chance erheblich erhöht, die Durchsetzung des als bedenklich empfundenen Stünker-Vorschlags zu verhindern.

Allerdings wirft Bosbachs Vorschlag eine gewichtige Frage auf. Die Idee, dass eine Reichweitenbegrenzung für Patientenverfügungen prinzipiell gelten soll, allerdings nicht für Menschen im langandauernden Wachkoma oder im Stadium fortgeschrittener Demenz, stellt den Gedanken des Lebensschutzes gerade für zwei Gruppen besonders verletzlicher, schwerstbehinderter Menschen zurück. Das geschieht mit Verweis auf den höchstwahrscheinlich andauerenden Bewußtseinsverlust dieser Patienten. Dieses Argument blendet aus, dass Bewußtsein nicht einfach ein medizinisch diagnostizierbares Symptom ist. Überdies ist umstritten, was und wie Menschen auch im langandauernden Wachkoma oder fortgeschrittenen Stadien der Demenz wahrnehmen.

Bosbach, der im Gespräch betont, dass er persönlich mit dieser Abstufung des Lebensschutzes durchaus Probleme habe, hält sie für vertretbar, weil sie auch Überlegungen der EKD entspricht. Vor allem hält er sie für erforderlich, um mit seinem Gesetzentwurf eine breite Mehrheit zu erhalten. Das Dilemma dass er damit schafft ist berührt aber verfassungsrechtliche Prinzipien: Um dem allgemeinen Lebensschutz breiteren Raum zu geben, nimmt der Vorschlag die Diskriminierung einer besonders schutzbedürftigen Gruppe von Patienten gerade wegen ihrer schwersten Form von Behinderung in Kauf. Angesichts einer solchen, dann gesetzlich verbrieften Diskriminierung einer Gruppe Schwerstbehinderter, die zudem erhebliche Konsequenzen auch in anderen rechtlichen Bereichen haben könnte, erscheint das Konzept einer keine Unterschiede machenden Preisgabe des Lebensschutzes zugunsten einer einseitig das Prinzip einer formalen Autonomie bevorzugenden Lösung, wie sie der Stünker-Vorschlag enthält, das kleinere Übel zu sein.

Dagegen ist die von Bosbach in sein Konzept integrierte Idee, das bei vorliegender Patientenverfügung ein Konsens im Konsil vormundschaftsgerichtliche Entscheidungen über den Abbruch oder die Aufnahme lebenserhaltender Behandlungen entbehrlich machen könnte, ein geeigneter Schritt einer zunehmenden Verlagerung von Entscheidungen über Leben, Tod und medizinische Behandlungen auf die juristische Ebene entgegenzuwirken.

Dass mit den vorliegenden Konzepten und Gesetzesentwürfen die Probleme im Bereich der Patientenverfügungen, die heute noch bestehen, gelöst würden erscheint allerdings zweifelhaft. Die Entwürfe lassen eher vermuten, dass alte Probleme durch neue ersetzt werden. Insofern hat der Beschluss der Grünen Bundestagsfraktion vom 7. November 2006 zum Thema einen gewissen Charme, der sich nicht für einen konkreten Regelungsvorschlag stark macht, sondern darauf hinweist, dass die wünschenswerte Stärkung des Selbstbestimmungsrechts der Patienten dringend Verbesserungen in der Qualität und dem Umfang der ambulanten und stationären palliativmedizinischen Versorgung erfordert. Dieses Thema droht angesichts der neuerlichen Debatte um die gesetzliche Regelung von Patientenverfügungen ins Hintertreffen zu geraten.

 

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