Trau jedem Typ aus Kansas

15.04.2002 | AutorIn:  Dr. Oliver Tolmein | Recht

Denn hier ist ein Mann noch ein Mann: Sexualpolitische Weiterungen eines Erbschaftsstreits

Frankfurter Allgemeine Zeitung, 15.04.2002: Ist ein Mann-Frau-Transsexueller eine richtige Frau? Oder gilt in Sachen Heirat ewig das bei der Geburt vorgefundene Geschlecht? Und was hätte das für Konsequenzen für Zwitter? Ein Rechtsstreit vor dem Obersten Gerichtshof von Kansas mit weitreichenden Konsequenzen.

Es war ein Erbschaftsstreit wie viele: Der Sohn wollte das Erbe seines Vaters nicht mit dessen Witwe teilen und klagte auf Annullierung der 1998 geschlossenen Ehe. Ungewöhnlich allerdings war, daß sich in einem Verfahren um den Nachlaß vier wichtige amerikanische Bürgerrechtsorganisationen als amici curiae einschalteten. Ungewöhnlich war auch, mit welcher Begründung Joe Gardiner zuletzt vor dem Obersten Gerichtshof von Kansas vorbrachte, daß ihm die Immobilien im Wert von 2,5 Millionen Dollar alleine zustünden. J'Noel Gardiner, die vierundvierzigjährige Witwe, sei keine Frau, sondern ein Mann.

Die Fakten der Lebensgeschichte von J'Noel Gardiner und damit die Fakten des Falles waren gar nicht umstritten.J'Noel Ball ist in einer kleinen Stadt im Bundesstaat Wisconsin als Junge zur Welt gekommen. Mit dreißig Jahren hat er eine Geschlechtsumwandlung begonnen, die nach der Amputation des Penis und der chirurgischen Schaffung einer Vagina 1995 mit der Einsetzung von Brustimplantaten abgeschlossen war. Das Bezirksgericht von Outagamie Countie, Wisconsin, stellte der promovierten Finanzwissenschaftlerin 1994 eine neue Geburtsurkunde aus, auf der als Geschlecht "weiblich" eingetragen war. Auch alle anderen Urkunden wurden auf Beschluß des Gerichts geändert. Die Heirat zwischen J'Noel und Marshall Gardiner, die sich auf einem College-Bankett kennengelernt hatten, konnte deswegen 1998 in Kansas ohne Probleme geschlossen werden.

Allerdings hat der Gesetzgeber in Kansas als Antwort auf die Legalisierung gleichgeschlechtlicher Lebensgemeinschaften in manchen Bundesstaaten die Bestimmung geschaffen, daß eine Ehe nur von zwei Menschen "unterschiedlichen Geschlechts" geschlossen werden kann. Vor Gericht mußte deswegen entschieden werden, ob ein als Mann geborener Mensch, der eine Geschlechtsumwandlung zur Frau durchgeführt hat, im Sinne dieser Vorschrift ein anderes Geschlecht hat als ein Mann, der stets Mann geblieben ist. Oder, wie der Oberste Gerichtshof von Kansas unter Rückgriff auf ein 1999 in Texas ergangenes Urteil formulierte: "Kann ein Arzt mit Skalpell, Medikamenten und Beratung das Geschlecht eines Menschen verändern, oder ist das Geschlecht eines Menschen unveränderlich bei seiner Geburt durch unseren Schöpfer festgelegt?" Damit verkoppelt war auch die Frage, was Geschlecht überhaupt ausmacht. Sind es die Gene, die Genitalien, die Hormone, ist es die Psyche, die soziale Wahrnehmung, oder ist es ein Zusammenspiel all dieser Faktoren?

Der Court of Appeal, der als Vorinstanz entschieden hatte, daß die Ehe zwischen einer Mann-zu-Frau-Transsexuellen und einem Mann geschlossen werden kann, gelangte zu der Überzeugung, daß Geschlecht normativ, also etwas durch Gesetz Festzustellendes ist. Dabei, so die Auffassung der Richter dieser Revisionsinstanz, ist die sexuelle Identität der Betroffenen ein ebenso wichtiger Faktor wie ihre Chromosomen. Das sah der Oberste Gerichtshof von Kansas jetzt allerdings anders. In der Ende März veröffentlichten Entscheidung resümierten die höchsten Richter des konservativen Bundesstaates mit 2,7 Millionen Einwohnern, das Verständnis von Begriffen wie "Geschlecht", "männlich" und "weiblich" habe sich nach allgemeinem Verständnis und Sprachgebrauch zu richten: "Die schlichte, allgemeine Bedeutung des vom Gesetz verwendeten Begriffes ,eine Person anderen Geschlechts' bezieht sich auf einen biologischen Mann und eine biologische Frau, nicht auf Personen, die eine Geschlechtsumwandlung durchgemacht haben. Ein Mann-zu-Frau-Transsexueller ist in diesem Sinn nicht als Frau definiert."

Daß der Bundesstaat Wisconsin J'Noel eine neue Geburtsurkunde ausgestellt hat, die sie als Frau bezeichnet, ändert daran nichts, weil das Oberste Gericht der Auffassung ist, daß die Gesetze des Staates Kansas nur das biologische, durch die Chromosomen bestimmte Geschlecht anerkennen. Von Bürgerrechtsgruppen und von Initiativen transsexueller und intersexueller Menschen wurde die Entscheidung des Obersten Gerichtshofes von Kansas als biologistisch und eindimensional kritisiert.

Interessant wäre aber zu sehen, wie ein Gericht, das so nachdrücklich darauf beharrt, entscheidend für das Geschlecht eines Menschen sei das, was bei der Geburt vorzufinden ist und nicht das, was Menschenhand später daraus machen, mit Intersexualität umgeht. Denn bei Intersexuellen wird bei Geburt ja regelmäßig keines der beiden anerkannten Geschlechter eindeutig vorgefunden. Deswegen sind auch in den Vereinigten Staaten geschlechtszuweisende Eingriffe noch die Regel und damit von Menschenhand durchgeführte Manipulationen, wie sie der Oberste Gerichtshof von Kansas gerade ablehnt. Unterbleiben diese medizinischen Interventionen aber, kann nicht mehr die Rede davon sein, daß es nur zwei gegensätzliche Geschlechter gibt, was für die Umsetzung der so interpretierten rechtlichen Vorschriften zur Ehe aber Voraussetzung wäre.

Auch auf das chromosomale Geschlecht abzuheben, wie es das Urteil aus Kansas nahelegt, hilft wenig weiter, weil es Menschen gibt, die auch mit nur einem X-Chromosom (wie beim Turner-Syndrom) leben oder mit einer XXY-Chromosomen-Variante (dem sogenannten Klinefelter-Syndrom). Das Urteil aus Kansas erweist sich insofern nicht nur als Ausdruck einer konservativen Sichtweise der Geschlechter-Welt, sondern bringt einen Selbstwiderspruch dieser Sichtweise ans Licht.

Auch andere Gerichte anderer Bundesstaaten hatten jüngst mit vergleichbaren Fragen zu kämpfen; die rechtliche Debatte über das Verständnis von Geschlecht kommt gerade erst richtig in Bewegung. Denn daß auch den höchsten Richtern von Kansas, das als Staatsmotto den lateinischen Wahlspruch "Per aspera ad astra" führt, nicht ganz wohl ist mit ihrer Entscheidung, wird aus den letzten Sätzen ihrer Entscheidung deutlich, in denen sie Verständnis für die Lage J'Noels signalisieren: "Wir sind nicht blind für den Streß und die Qualen, die jemand erleidet, der als Mann geboren wird, sich aber als Frau empfindet. Wir wissen auch, daß es Menschen gibt, die nicht in die traditionellen Vorstellungen von männlich und weiblich passen. Aber die Gültigkeit von J'Noels Heirat mit Marshall ist eine Frage der Politik, die deswegen auch vom Gesetzgeber thematisiert werden muß und nicht von diesem Gericht."

Daß der Gesetzgeber in diesem Bereich gefragt sein könnte, gilt übrigens auch für Deutschland, wo das Transsexuellen-Gesetz und der rechtliche Status von Intersexuellen ebenfalls seit geraumer Zeit in der Diskussion sind, weil das rechtliche Konzept von Geschlecht nicht hinreichend klar ist. Eine Klage, die hier etwas Licht ins Grau bringen könnte, wird gerade in Hamburg vorbereitet. Hier haben zwei transsexuelle Frauen, die seit langem in einer lesbischen Beziehung leben, am 5. April standesamtlich geheiratet. Paragraph 7 des Transsexuellen-Gesetzes sieht aber vor, daß transsexuelle Menschen, die nur ihren Vornamen haben ändern lassen, ohne sich einer geschlechtsangleichenden Operation und der damit verbundenen Änderung ihres Personenstandes zu unterziehen, nach einer Eheschließung wieder ihren alten Namen tragen müssen. Ohne Karin-Nicole H.s Personenstandsänderung konnte das homosexuell lebende Paar auch keine eigentragene Lebenspartnerschaft eingehen. Nachdem Karin-Nicole H. und Ina-Nora T. vors Standesamt gezogen waren, mußte Karin also wieder ihren alten Vornamen Kai annehmen und ist in ihren Dokumenten nun wieder Herr T. Gegen diese Behandlung, die deutlich macht, daß die Entscheidung transsexueller Menschen für ihr neues Geschlecht nur bedingt anerkannt wird, werden die beiden, vertreten durch die in Sachen Transsexualität erfahrene Rechtsanwältin Sabine Augstein einen Musterprozeß führen.

Die Chancen, daß ihr Rechtsweg dafür bis zum Bundesverfassungsgericht führen wird, stehen nicht schlecht. Und in Karlsruhe wurden schon mehrmals die Weichen für eine Liberalisierung der Vorstellungen vom Geschlecht gestellt.

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Weiterführende Links

    Entscheidung des Court of Appeal/Kansas | http://www.kscourts.org/kscases/ctapp/2001/20010511/85030.htm
    Entscheidung des Supreme Court of Kansas in Re Gardiner | http://www.kscourts.org/kscases/supct/2002/20020315/85030.htm
    Kritik von Bürgerrechtsgruppen an der Gardiner Entscheidung des Supreme Court of Kansas | http://www.lambdalegal.org/cgi-bin/iowa/documents/record?record=1025
    Die Homepage von Karin-Nicole H. und Ina-Nora T. | http://www.osnanet.de/inka/

 

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