Und tot bist du

18.04.2001 | AutorIn:  Dr. Oliver Tolmein | Euthanasie

Veröffentlicht in: Jungle World, 18.4.2001: Ein Gesetz zur Sterbehilfe in den Niederlanden

Dass das Euthanasiegesetz in den Niederlanden auch von der zweiten Kammer verabschiedet werden würde, verwunderte nach dem Parlamentsbeschluss vom Ende des vergangenen Jahres kaum. Dass mehr als 3 000 NiederländerInnen gegen das Gesetz demonstrieren würden, war allerdings überraschend. Denn während der letzten zwei Jahrzehnte, in denen sich in den Niederlanden der Neoliberalismus vor allem in den Verfügungsmöglichkeiten über das eigene Leben Bahn gebrochen hat, regte sich wenig Protest gegen die so genannte aktive Sterbehilfe. Die nur langsame Formierung einer Opposition gegen die Legalisierung der aktiven Tötung Schwerstkranker durch den Arzt verdeutlicht, wie wirkungsvoll eine von emanzipatorischen Inhalten entleerte Selbstbestimmungsrhetorik sein kann.

Dass die Opposition mit der Ausdehnung und Institutionalisierung der Sterbehilfe zunimmt, zeigt aber auch, dass die Routine, mit der der letzte Lebensabschnitt medizinisch unter Kontrolle genommen und einem abrupten Ende durch die Todesspritze zugeführt werden soll, keine zufriedenstellende Lösung für die hier im wahren Sinn des Wortes existenziellen Notlagen sein kann.

Bedenklich stimmt dagegen die Reaktion in der Bundesrepublik. Die Vehemenz, mit der sich die Ärzteschaft, die Kirchen und Teile der Bundesregierung gegen das niederländische Modell wenden, könnte nur dann Optimismus aufkommen lassen, wenn sie mit einer kritischen Reflexion der seit einigen Jahren entwickelten bundesrepublikanischen Sterbehilfepraxis einhergegangen wäre. Der Bundesgerichtshof (BGH) hat am 7. Februar mit einem Urteil zur Selbstmord-Begleitung die 1994 begonnene Serie seiner Entscheidungen zur Liberalisierung der Sterbehilfe fortgesetzt. Er verurteilte einen Sterbebegleiter, der wie schon 50 andere Deutsche zuvor einer an Multipler Sklerose erkrankten und gelähmten Frau ein tödlich wirkendes Barbiturat besorgt hatte, wegen Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz lediglich zu einer Verwarnung mit Strafvorbehalt - der niedrigsten Sanktion, die das deutsche Strafrecht zur Verfügung hat.

Bedenklicher als dieses Urteil, bei dem es immerhin um den von der erkrankten Frau selbst gewollten Tod ging, ist die Entscheidung der deutschen Justiz im so genannten Kemptener Fall. Der BGH beurteilte den Abbruch der künstlichen Ernährung bei Patienten im Wachkoma wegen ihrer mutmaßlichen Einwilligung als gerechtfertigt. Damit ist das Lebensrecht einer ganzen Gruppe von Patienten bedroht, die zu einer Einwilligung gar nicht in der Lage sind.

Die bundesdeutsche Reaktion auf das niederländische Gesetz ist gleichzeitig Ausdruck davon, dass auch hierzulande die Ablehnung der aktiven Patiententötung durch Ärzte keineswegs mehr selbstverständlich ist. Dazu passt, dass der dringend erforderliche Ausbau des Pflegeangebots für schwerkranke und sterbende Patienten, die nicht ins Krankenhaus eingeliefert werden wollen, allen hehren Worten von Ärzteschaft und Gesundheitspolitikern zum Trotz, ausbleibt.

Während in den biomedizinischen Sektor investiert wird und zur Intensivierung bioethischer Debatten über die Zulässigkeit neuer Verfahren wie der Präimplantationsdiagnostik sogar ein Nationaler Ethikrat eingerichtet werden soll, gibt es für eine intensivere Pflege der Menschen am Lebensende kaum eine Lobby. Der 63. Deutsche Juristentag hat zwar in seinem Gutachten gefordert, die "Absicherung der Patientenautonomie am Ende des Lebens" zu verbessern. Damit war allerdings auch nur ein Gesetz gemeint, das den zum Tode führenden Behandlungsabbruch erleichtern soll. Das ist auch billiger als eine pflegeintensive und medizinisch hochwertige Versorgung.

Dateien:

Logo Adobe PDF

1153118017.pdf(PDF Dokument, 7,49 Ki Größe)

 

Zurück zur Übersicht