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10.10.2003 | AutorIn:  Dr. Oliver Tolmein | Euthanasie

Der Fall Terry Schiavo und die Wägbarkeiten des Willens

Frankfurter Allgemeine Zeitung, 10.10.2003, Nr. 235 / Seite 40: Wer kann das Leben einer Frau im Wachkoma schützen, wenn ihr Mann behauptet, sie habe in so einem Fall sterben wollen?

Der Fall, den Bundesrichter Richard A. Lazzara heute in Tampa (Florida) verhandelt, ist wohl einer der dramatischsten um den Abbruch der künstlichen Ernährung, die es in den Vereinigten Staaten gegeben hat. In der seit 1998 juristisch ausgetragenen Kontroverse steht auf der einen Seite Terri Schiavos Ehemann Michael, der gesetzlicher Betreuer seiner Frau ist, seit sie vor dreizehn Jahren aus ungeklärter Ursache zusammengebrochen ist. Terri Schiavo ist seitdem schwer hirngeschädigt. Wie schwer, ist umstritten: Nach Auffassung des Betreuungsgerichts lebt sie im Wachkoma, nach Ansicht einiger Neurologen kann sie Menschen erkennen und in begrenztem Umfang durch Gesten und Mimik kommunizieren. Michael Schiavo hat beim zuständigen Betreuungsgericht einen Beschluß erwirkt, daß die Ernährung und Flüssigkeitszufuhr bei seiner Frau abgebrochen werden kann. Er behauptet, daß es ihr Wille wäre, so nicht weiterleben zu müssen. Diesen Beschluß versuchten Terri Schiavos Eltern aufheben zu lassen - erfolglos. Das Vormundschaftsgericht hat verfügt, daß am 15. Oktober Flüssigkeitszufuhr und Behandlung bei Terri Schiavo abgebrochen werden sollen.

Nun versuchen die Angehörigen, die angeboten haben, die Pflege selbst zu übernehmen, die Bundesgerichte ins Verfahren einzubeziehen. Sie genießen Unterstützung: Neben religiösen Konservativen und Abtreibungsgegnern sind es vor allem Behindertengruppen, aber auch einzelne Ärzteverbände, die sich als Lobby für Terri Schiavos Leben einsetzen. Vor wenigen Tagen ist sogar Floridas Gouverneur Jeb Bush dem Verfahren als amicus curiae beigetreten. Der republikanische Gouverneur weist in einer zwölfseitigen Stellungnahme darauf hin, daß zwar künstliche Ernährung als medizinische Behandlung abgebrochen werden kann, daß das aber bei "natürlicher" Fütterung mit Hilfe der Hände oder eines Löffels nicht gilt. Da auch Patienten mit schwersten Hirnschäden, selbst Patienten im Wachkoma, oftmals derart gefüttert werden könnten, verlangt Jeb Bush nun, daß das Gericht dem Abbruch der künstlichen Ernährung allenfalls unter einer Prämisse zustimmt: Mittels einer neurologischen Rehabilitation soll versucht werden zu erreichen, daß Terri Schiavo natürlich ernährt werden kann. Diese Überlegung, daß oftmals nur aus Gründen der pflegerischen Rationalisierung und wegen unzureichender Bemühungen um Rehabilitation künstlich ernährt und damit der Grundstein für eine vorzeitige Beendigung des Lebens gelegt wird, könnte auch für ähnlich gelagerte Fälle Wirkung haben.

Terri Schiavos Ehemann hat sich um eine solche Rehabilitation nicht bemüht. Das mag in Zusammenhang stehen mit einer Schadenersatzzahlung von annähernd 1,3 Millionen Dollar, die er in einem Kunstfehlerverfahren gegen das Krankenhaus erstritten hat, in dem Terri Schiavo nach ihrem Zusammenbruch behandelt worden war. Dieses Geld, das zu erheblichen Teilen für die medizinische Behandlung verwendet werden sollte, fällt Michael Schiavo nach dem Tod seiner Frau zu. Daß er seit einigen Jahren mit einer anderen Frau ein Kind hat und mit ihr zusammenlebt, wirft nach Auffassung von Terri Schiavos Familie bezüglich seines Bemühens zusätzliche Fragen auf. Der in der Hauptsache zuständige Betreuungsrichter des Landgerichts in Clearwater (Florida) sieht Michael Schiavo dennoch nicht in einem Interessenkonflikt. Für die Familie ist das nur ein weiteres Indiz, daß das Leben ihrer Angehörigen durch die Justiz nicht gut geschützt wird.

 

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