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27.08.2004 | AutorIn:  Dr. Oliver Tolmein | Kultur

Transsexuelle bei Olympia

Frankfurter Allgemeine Zeitung, 27.08.2004, Nr. 199 / Seite 44: In Athen durften erstmals bei den Olympischen Spielen auch Transsexuelle starten. Für Hermaphroditen gibt es aber immer noch keine Starterlaubnis.

Heute, da der Krieg keine Bastion der Männer mehr ist und selbst die Kampftruppen der meisten Staaten Männer und Frauen in gemischten Teams aufs Schlachtfeld schicken, stehen die Olympischen Spiele mit ihrem strikten Reglement der Geschlechtertrennung etwas altbacken da - wenn auch nicht mehr so archaisch wie in ihrer neuzeitlichen Gründungsphase, als Pierre de Coubertin noch selbstbewußt feststellte: "Olympische Spiele sind ein Ausbund männlicher Athletik, und der Beifall der Frauen ist deren Lohn." Längst kassieren nun ganz selbstverständlich auch Frauen Beifall - und Medaillen. Mit der Teilnahme von Frauen wuchs in der Herrenriege des Internationalen Olympischen Komitees aber die Sorge, betrogen und getäuscht zu werden: Um zu verhindern, daß Männer als Frauen getarnt Medaillen ergattern, die ihnen eigentlich nicht zustehen, wurden 1968 Geschlechtstests eingeführt, die die Goldmedaillengewinnerin im Modernen Fünfkampf, Mary Peters, als "die härteste und demütigendste Erfahrung meines Lebens" empfand.

Den standardmäßigen gynäkologischen Untersuchungen fiel die Bronze-Medaillengewinnerin über 100 Meter von Tokio, Ewa Klobukowska, zum Opfer: Wegen eines nachträglich bei ihr festgestellten xxy-Chromosomensatzes mußte sie ihre Medaille zurückgeben. Der Geschlechtstest wurde nach jahrelanger Kritik vor den Olympischen Spielen 2000 in Sydney abgeschafft. Dieses Jahr entschloß sich das IOC nun auf Drängen vor allem seiner Medizinischen Kommission zu einer weitgehenden Liberalisierung: In Athen dürfen erstmals in der Geschichte der Olympischen Spiele ganz offiziell auch transsexuelle Sportler und Sportlerinnen starten. Damit sind die Organisatoren der Spiele, die der Völkerverständigung dienen sollen, wenigstens in Sachen Geschlechterpolitik vielen nationalen Verbänden weit voraus. Die Voraussetzungen der sogenannten Stockholmer Übereinkunft sind aber außerordentlich streng: Wenn der Wechsel des offiziellen Geschlechts nach der Pubertät vorgenommen wurde, müssen sämtliche geschlechtsangleichenden Operationen, einschließlich der Entfernung der Hoden beziehungsweise Eierstöcke, durchgeführt worden sein, außerdem muß eine mindestens zweijährige Hormontherapie stattgefunden haben, und das neue Geschlecht muß rechtlich anerkannt worden sein - ein Verfahren, das in vielen Ländern noch gar nicht geregelt ist.

Auch wenn die Entscheidung des IOC von transsexuellen Sportlern wie beispielsweise der kanadischen Mountainbike-Fahrerin Michelle Dumaresq grundsätzlich begrüßt wird, kritisieren andere, daß für die Starterlaubnis auch die Operationen erforderlich sein sollen, deren Ergebnisse oft als unbefriedigend empfunden werden. Maßgeblich für die Leistungsfähigkeit sei schließlich nicht der genitalienangleichende chirurgische Eingriff, sondern der Hormonspiegel der Sportler, merkte die Bodybuilderin und Transgenderaktivistin Loren Cameron an. Gravierender ist aber, daß der Beschluß des IOC, der die Diskriminierung transsexueller Sportler verhindern soll, an der Diskriminierung intersexueller Athleten nichts ändert. Die polnische Sprinterin Ewa Klobukowska hätte mit ihrem xxy-Chromosomensatz in Athen sowenig an den Start gehen dürfen wie die spanische Hürdenläuferin María José Martinez Patino, die 1986 in Spanien wegen ihres mit dem Adrenogenitalen Syndrom verbundenen xy-Chromosomensatzes lebenslang für Sportveranstaltungen gesperrt wurde.

 

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