"Da haben alle mitgezogen"

12.04.1989 | AutorIn:  Dr. Oliver Tolmein | Revolutionäre Zellen

Veröffentlicht in: konkret 04 / 89, S. 15: Ein nachträglich veränderter Aktenvermerk, das Verschwinden eines Kontrollzettels, Widersprüche zwischen ZeugInnenaussagen und der Anklageschrift: Nach acht Verhandlungstagen im Prozeß gegen Ingrid Strobl ist die Bundesanwaltschaft in Beweisnot geraten

Am Morgen des achten Prozeßtages gegen Ingrid Strobl überrascht der Vorsitzende Richter des Staatsschutzsenats in Düsseldorf das Publikum: "Ich bin selbst seit vielen Jahren im Besitz eines Weckers der Marke Emes-Sonochron". Jovial lächelnd zieht Klaus Arend die giftgrüne Kleinigkeit aus der Tasche und bittet die Verfahrensbeteiligten zu sich, um ihnen zu demonstrieren, wie man den Wecker aufzieht, stellt und wie laut er bei Bedarf piepen kann - eine Prozedur, die sich über mehrere Minuten zieht: "Die lassen sich sonst wohl von ihren Ehefrauen wecken", raunt eine Frau im ZuhörerInnensaal ihrer Nachbarin zu. Arend, der sonst bei Gelächter oder Unmutsäußerungen aus dem Publikum stets "Da hau ich aber gleich dazwischen!" in den Saal brüllt und gleich am ersten Verhandlungstag kurzentschlossen die Räumung angeordnet hatte, strahlt jetzt, als das Geflüster hinter der Barriere im kleinen Gerichtssaal lauter wird: Ihm ist ein kleiner Coup gelungen, seine vier Beisitzer bewundern ihn. Gutgelaunt gibt Arend sich diesen Mittwoch mal ganz als Mensch: Sogar die Rosen, die der Angeklagten von den etwa sechzig Frauen an diesem Internationalen Frauentag mitgebracht worden sind, dürfen, dazu bedarf es einer Sondergenehmigung, in Wasser gestellt werden.

"Das Weckerprogramm" ist das Thema der vierten und fünften Prozeßwoche: Die BKA-Beamten, die es ausgetüftelt haben, werden als Zeugen vernommen, MitarbeiterInnen von Uhren-Wempe in Köln, wo Ingrid Strobl den Emes-Wecker für einen ungenannten Freund, sie nennt ihn "Mister X.", gekauft hat, sind geladen, und auch ein Angestellter der in Villingen-Schwenningen ansässigen Firma hat sich auf den weiten Weg nach Düsseldorf gemacht. Diese ZeugInnen-Vernehmungen sind für den Ausgang des Verfahrens wesentlich - schließlich ist der Kauf des Weckers, der anschließend von den Revolutionären Zellen bei einem Sprengstoffanschlag auf das Gebäude der Deutschen Lufthansa AG verwendet worden sein soll, das einzige Indiz für Ingrid Strobls angebliche "Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung", das die Bundesanwaltschaft in ihrer Anklageschrift aufführen konnte (KONKRET 3/88 und 6/88). Was dann stundenlang und ermüdend von Rolf Dieter Finkler, einem Kriminalhauptkommissar im BKA, geschildert wird, sagt allerdings vor allem etwas über Denunziantentum und dumpfe Obrigkeitshörigkeit in diesem Land aus.

1983 stellten die BKA-FahnderInnen fest, daß bei Brand- und Sprengstoffanschlägen der "Revolutionären Zellen" häufig der mechanische Reisewecker Emes-Sonochron als Zündzeitverzögerer verwendet worden war. Kurz darauf wurde mit der Herstellerfirma ein Vertrag geschlossen: Das BKA konnte danach die Ziffernblätter der noch zu bauenden Wecker nummerieren. Anschließend wurden 1400 nordrheinwestfälische Uhrengeschäfte besucht, um festzustellen, wo Emes-Sonochron-Wecker verkauft wurden. Die achtzig Geschäfte, die den Wecker im Sortiment hatten, forderte das BKA zur Zusammenarbeit auf: "Die haben alle mitgezogen" . Von diesen achtzig wurden dann dreißig aufgrund ihrer Größe und scheinbaren Anonymität besonders geeignet erscheinende Geschäfte direkt in die Fahndungsarbeit einbezogen. In den anderen Geschäften wurden von den BKA-Beamten sämtliche Wecker aufgekauft und aus dem Verkehr gezogen. Nach den GeschäftsinhaberInnen wurde in diesen dreißig Läden das gesamte Personal in die Anti-Terrorismus-Aktion eingeweiht und zur Mitarbeit verpflichtet: WeckerkäuferInnen sollten per hauseigener Überwachungsanlage aufgenommen, Personenbeschreibungen und bemerkenswerte Verhaltensweisen sowie die Nummer des verkauften Emes-Weckers notiert und dem BKA mitgeteilt werden. Die Wiesbadener Kommissare waren seit 1985, nachdem diese umfangreichen Vorbereitungsarbeiten abgeschlossen waren, ständig zu Gast in den entsprechenden Verkaufsstellen - und sie konnten befriedigt registrieren, "daß das Programm lief". Die in den siebziger Jahren spektakulär mithilfe von Fahndungsplakaten, Artikelserien und Flugblättern massenhaft mobilisierte Blockwartmentalität wird eben heutzutage gezielter, leiser und sehr viel wirkungsvoller eingesetzt. Ein Verdachtsmoment, ein diskret auf die Staatsinteressen hinweisender BKA-Beamter genügen, und hundert UhrenverkäuferInnen funktionieren perfekt als Teil der Überwachungsmaschinerie.

Wenige Verhandlungstage zuvor hatten andere BKA-Beamte über die nicht weniger reibungslose Zusammenarbeit mit Postdienststellen berichtet, die, wenn es um das Abfangen, Aussortieren und Umadressieren von "terroristischem" Schriftgut geht, den FahnderInnen wertvolle Dienste leisten. Ironischerweise hat im Verlauf der umfangreichen Überwachungsmaßnahmen (zu denen beispielsweise auch die Registrierung sämtlicher BezieherInnen einer Broschüre über die Geschichte der RZ 1985 zählt), die gegen angebliche RZ-Mitglieder und mutmaßliche SympathisantInnen seit 1984 ergriffen wurden, einzig die Freundin eines Beamten der Kölner politischen Polizei Zivilcourage bewiesen und durch eine Warnung an die "Emma"-Redaktion, daß Ingrid Strobls Telefon abgehört werde, die Überwachungsmaschinerie zum Knirschen gebracht.

So bedenkenlos hilfswillig dem Bundeskriminalamt Weckerhersteller und -Verkaufsfilialen zu Diensten waren, so reibungslos sich ein den gesamten Rhein-Ruhr-Raum überziehendes Überwachungsnetz knüpfen ließ, so eigentümlich schludrig und vom Pech verfolgt scheinen die RZ-FahnderInnen den Vernehmungen zufolge anschließend gewesen zu sein. Anderthalb Tage lang mußten sie, nach dem Anschlag der RZ am 28. Oktober 1986, "im Schulterschluß auf den Knien im Gras" suchen, um das nummerierte Wecker-Ziffernblatt zu finden. Die Frau, die diesen Wecker verkauft hatte, wurde erst über ein Jahr später, am 28. Januar 1988, ordnungsgemäß zeugenschaftlich vernommen. Von ihren Aussagen, in der Anklageschrift noch als wichtige Indizien gegen Ingrid Strobl aufgelistet, blieb vor Gericht wenig übrig. Die Frau mit der Lederjacke habe sich nur für die Marke, nicht aber für eine Erklärung der Funktionsweise und für die Farbe des Weckers interessiert. Außerdem habe sie geäußert, sie wolle den Wecker als Geschenk "für meinen Mann", führt die Anklageschrift an und deutet das als "konspiratives Verhalten". Denn: Verheiratet sei Frau Strobl nicht, und wer einen Wecker verschenken wolle, interessiere sich für dessen Farbe. Vielleicht habe Frau Strobl auch gesagt, der Wecker sei "für einen Mann" - die Verkäuferin konnte sich am achten Verhandlungstag auch nicht mehr genau daran erinnern, ob Ingrid Strobl nicht doch gezielt einen schwarzen Wecker ausgesucht hatte: "Es war halt ein ganz normales Verkaufsgespräch".

Ähnlich vage wirken auf mehrfaches Nachfragen der Verteidigung auch die Aussagen des BKA-Beamten Finkler. Es geht vor allem um die "Gegenkontrollen": Wie präzise hat das BKA kontrolliert, daß beim Verkauf eines Weckers auch die richtige Ziffernblattnummer aufgeschrieben und Verwechslungen ausgeschlossen wurden? Ein eigens zu Kontrollzwecken angefertigter, mit den jeweiligen Ziffernblattnummern versehener Aufkleber ist ausgerechnet bei dem angeblich von Ingrid Strobl gekauften Wecker mit der Nummer 6547, und nur bei diesem, verloren gegangen. Finkler verweist auf einen handgeschriebenen Zettel, der die Nummer des an Frau Strobl verkauften Weckers festhalte, und erinnert an einen Aktenvermerk, der besagt, daß ständig Gegenkontrollen stattgefunden hätten. Nur ausgerechnet dieser Satz, der letzte des entsprechenden Schriftstücks, ist mit einer anderen Schreibmaschine geschrieben und offensichtlich nachträglich, nachdem nämlich seitens der Verteidigung beim Haftprüfungstermin auf das Fehlen solcher Gegenkontrollen hingewiesen worden war, angefügt worden.

Während die ZeugInnen vernommen werden, kauen die Bundesanwälte, gelangweilt in ihre Ledersessel zurückgelehnt, auf ihren Kugelschreibern. Ihre Anwesenheit ist in diesem Prozeß überflüssig: Der Vorsitzende Richter hat die Rolle des Staatsanwalts schon lange mitübernommen. Die auffälligen Ermittlungslücken, die Widersprüche zwischen ZeugInnenaussagen und Anklageschrift, die von der Verteidigung aufgedeckt werden, interessieren Arend nur am Rande. Daß er, wenn sich nur irgendeine Möglichkeit bietet, verurteilen will, hat er im Vorfeld der Prozeßeröffnung, aber auch schon in früheren Staatsschutzverfahren deutlich gemacht.

Arend ist der erste Richter in der Bundesrepublik, der, keine zwei Jahre ist es her, Buchhändler wegen "Werbung für eine terroristische Vereinigung" zu Haftstrafen verurteilt hat: Als "Beweis" dafür, daß sie die Zeitschrift "radikal" Nr. 132 verkauft hätten, reichten ihm ein paar dürftige Indizien, die in anderen Bundesländern noch nicht einmal zur Anklageerhebung geführt hatten. In diesem Jahr hat sich Arend im Verfahren gegen vier Duisburger Angeklagte, die er als Mitglieder der Bundesanwaltschaftserfindung "legale RAF" zu jahrelangen Haftstrafen verurteilte, hervorgetan: "Dieser Fall 'Kämpfende Einheit Gallende'", formulierte die "Frankfurter Allgemeine" zur Prozeßeröffnung ihre Erwartungen an den Ausgang der Verhandlung, "ist für die Bundesanwaltschaft ein neues Verfahren in der sich wandelnden Terrorismusszene. Sie will nachweisen, daß die 'Kämpfenden Einheiten', die man aus zahlreichen Sprengstoffanschlägen der letzten Jahre kennt, direkte Untergruppierungen der RAF sind. Wenn es der Bundesanwaltschaft gelingen würde, in diesem Prozeß ein Urteil herbeizuführen, in dem diese 'illegalen Militanten' als Gruppen innerhalb der RAF definiert würden, dann wären Terroristen in diesen Tatbereichen künftig auch von vornherein als 'terroristische Vereinigung' zu erfassen und anzuklagen. Dieses Organisationsdelikt wiegt schwerer als ein beliebiges Sprengstoffvergehen". Und es ist, muß ergänzt werden, auch viel leichter "nachzuweisen". Dem Richter Arend, der in der mündlichen Urteilsbegründung besonderen Wert darauf legte, daß die Angeklagten "uneinsichtig, verblendet und unbeugsam" seien, reichte als Indiz für die RAF-Mitgliedschaft der Briefwechsel zwischen den Angeklagten und der einsitzenden Gefangenen aus der RAF, Sieglinde Hofmann sowie der Besitz von Schriften der RAF und der Roten Brigaden aus.

Auch in Sachen Revolutionäre Zellen hat Arend einschlägige Erfahrungen: 1985 verurteilte er Friedhelm Beine wegen "Unterstützung der terroristischen Vereinigung Revolutionäre Zellen" zu einer sechsmonatigen Haftstrafe. Beines Delikt: Er hatte einem Freund vier von den RZ gefälschte Nahverkehrsfahrkarten und ein Flugblatt "Viel Spaß beim Nulltarif" in die Hand gedrückt.

Ob allerdings Arends Wille zum Schuldspruch für eine Verurteilung von Ingrid Strobl ausreicht, ist noch nicht ausgemacht. Das öffentliche Interesse und damit auch die öffentliche Kritik an dem Verfahren sind groß. Als "Menschenrechtsverletzung" hat beispielsweise die SPD-Bundestagsabgeordnete Monika Ganseforth die 14monatige Untersuchungshaft kritisiert und in einem Interview mit der Prozeßzeitung "clockwork 129a" festgestellt, daß die Unterschiede zu politischen Prozeßen in der Türkei sehr viel geringer sind, als sie gedacht habe. Eine Gruppe von ProzeßbeobachterInnen, darunter die ProfessorInnen Elmar Altvater und Helga Grubitzsch, haben den, angesichts der massiven Sicherheitsvorkehrungen und des viel zu kleinen Verhandlungssaals faktischen Ausschluß der Öffentlichkeit gerügt. Daß bei den Einlaßkontrollen die Personalausweise kopiert werden und vom Autoschlüssel bis zum Plastikkamm alles verdächtig scheint, selbst eine Banane in den Gerichtssaal nur mit List und Tücke an den mit AIDS-Handschuhen versehenen SicherheitsbeamtInnen vorbeigeschmuggelt werden muß, läßt sogar dpa-MitarbeiterInnen an der Seriosität der bundesanwaltschaftlichen Gefahrenanalysen zweifeln und die Argumentation der Verteidigung aufmerksam verfolgen.

Deshalb stehen die Chancen gut, daß der Beweisantrag zugelassen wird, mit dem die AnwältInnen widerlegen wollen, daß die als "gerichtskundig" vorausgesetzte Organisationsstruktur der Revolutionären Zellen auch tatsächlich existiert. Und nur für den Fall, daß die RZ so strikt abgeschottet agiert, wie das Gericht es als wahr voraussetzt, macht der zentrale Satz in der Anklageschrift Sinn, daß "aus der Tatsache, daß die Angeklagte ein wichtiges Tatmittel für einen Anschlag der RZ besorgt hat, gefolgert werden (muß), daß sie selbst Mitglied dieser Vereinigung ist". "Die unter Beweis gestellten Tatsachen", argumentieren dagegen Strobls VerteidigerInnen in einem umfangreichen Schriftsatz, "werden belegen, daß die RZ in einer Vielzahl von Fällen Personen, die nicht Mitglieder waren, um die Beschaffung, Aufbewahrung und das Verbergen von Tatmitteln bat. Die angesprochenen Personen wurden teilweise darüber aufgeklärt, welcher Organisation sie halfen, teilweise auch nicht". Läßt sich das belegen, ist angesichts der monatelangen ergebnislosen Observation alles, was Ingrid Strobl vorgeworfen werden kann, daß sie einen Wecker gekauft und weitergegeben hat. Und: "Ein Weckerkauf allein", das mußte selbst der Vorsitzende Richter Arend dem BKA-Kommissar Finkler vorhalten, "ist wirklich noch kein Straftatbestand".

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