"Deutsches Finale"

12.12.1996 | AutorIn:  Dr. Oliver Tolmein | RAF

Veröffentlicht in: Konkret 12 / 96, S. 23: Birgit Hogefelds Verurteilung und Christoph Seidlers Comeback: zwei Spielarten der Staatssicherheitspolitik

Weil es es in Deutschland eigentlich nur noch gute Nachrichten gibt, die schlechte vorweg: Birgit Hogefeld ist von der Sonderstrafkammer des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main zu lebenslanger Haft verurteilt worden. Weil sie nach Meinung der Staatsschutzrichter durch ihre Beteiligung an der Ermordung des US-Soldaten Pimental sowie an dem Sprengstoffanschlag auf die US-Air-Base im August 1985, der zwei Menschenleben forderte, besonders schwere Schuld auf sich geladen hat, kann sie nicht, wie andere Lebenslängliche, nach 15 Jahren ihre "vorzeitige" Haftentlassung beantragen. Daß das nicht zur Deeskalation beiträgt und weder ein großzügiges Urteil noch ein gerechtes ist, wurde auch andernorts konstatiert.

Sonderstrafkammern, wofür gäbe es sie sonst, legen den Grundsatz "im Zweifel für die Angeklagte" bei tatsächlichen oder mutmaßlichen RAF-Mitgliedern eben auf ganz besondere Weise aus: Jeder Zweifel erhöht die Wahrscheinlichkeit eines Schuldspruchs für die Angeklagte. Und Zweifel gab es in diesem Verfahren nach der Beweisaufnahme überaus reichlich: an jedem Punkt der Anklageschrift nämlich. Zweifel an den Aussagen von Zeugen, die erst kurzsichtig waren und nach zehn Jahren plötzlich klare Vorstellungen von dem hatten, was sie ohne Brille gesehen haben wollen; Zweifel an der Zuordnung einer Handschrift, die dadurch ausgeräumt wurden, daß die Handschrift anderen noch schlechter zuzuordnen war als der Angeklagten; Zweifel daran, über wen man heute überhaupt spricht, wenn man RAF sagt. Insofern ist es bemerkenswert, daß Birgit Hogefeld nicht auch noch wegen der zweifelhaften Mittäterschaft am Tod des GSG-9-Mannes Newrzella in Bad Kleinen verurteilt worden ist. "Über die Todesumstände von Michael Newrzella war ich mir vor diesem Prozeß nicht im Klaren. Erst darüber, wie hier seitens des Senats auch zu dieser Frage durchgängig gemauert wurde, bin ich mir heute sicher, daß Michael Newrzella von seinen eigenen Leuten erschossen worden ist. Möglich, daß sie es nicht wissen, denn auch hier wurden Spuren systematisch verwischt, aber sie halten es für wahrscheinlich, und deshalb durfte diese Frage hier gar nicht erst verhandelt werden."

In ihrem Schlußwort hat Birgit Hogefeld unter anderem präzise beschrieben, worum es in den zwei Jahren ihres Verfahrens vor allem ging: Die Wahrheitsfindung über die Ereignisse in Bad Kleinen sollte auf jeden Fall verhindert werden. Daß sie zu diesem Punkt überhaupt angeklagt wurde, zeigt, daß auch die Staatsschutzjustiz ihre Möglichkeiten bisweilen falsch einschätzt: Trotz der verbreiteten Bereitschaft, den Tod von Wolfgang Grams als letztlich ungeklärten Betriebsunfall hinzunehmen, mochte die Öffentlichkeit doch nicht akzeptieren, daß nun ausgerechnet die einzige, die an diesem Tag keine Waffe in die Hand genommen hatte, wegen der tödlichen Schüsse in Bad Kleinen als Mörderin verurteilt werden sollte.

Der Vorsitzende Richter Erich Schieferstein hat sich in dieser Frage als Pragmatiker erwiesen. Den Juristen, der als engagierter Anhänger der Feindjustiz auch schon den Frankfurter Startbahngegner und Magistratsdirektor Alexander Schubarth wegen Landfriedensbruchs verurteilt und die Freilassung des lebensgefährlich erkrankten Linksmilitanten Ali Jansen auch gegen den Willen der Bundesanwaltschaft nach Kräften verzögert hat, wird das einige Überwindung gekostet haben. Aber politische Justiz fordert eben auch von denen, die sie praktizieren, ihren Preis: Nicht alle Ressentiments können nach Herzenslust ausgelebt werden. Die meisten aber doch: Der Frankfurter Staatsschutzjurist wird gewiß sehr befriedigt gewesen sein, daß er während des Verfahrens sogar Unterstützung durch das Bundesverfassungsgericht bekam, das seiner Auffassung beitrat, einer Gefangenen, die sich wie Birgit Hogefeld mit ihrer RAF-Vergangenheit auseinandersetzt, ohne sich selbst und andere zu denunzieren, dürfe auf gar keinen Fall ein Interview geben.

Was zu den guten Nachrichten überleitet: Während Birgit Hogefeld auf unabsehbare Zeit inhaftiert und damit gegenüber interviewinteressierten Journalisten zum Schweigen verurteilt ist, konnte der "Spiegel" einen anderen "most wanted"-Mann in aller Ruhe befragen. Das hat wohl damit zu tun, daß mindestens der auch KONKRET-Lesern bekannte "Herr Benz" (Heft 9/96), der Meinung ist, Christoph Seidler sei doch kein ganz so schlechter Deutscher, wie es das BKA seit Jahren vermutet hat. Denn Seidler hat, so sagt er jedenfalls selbst und wird darin vom Verfassungsschützer "Benz" unterstützt, gar nicht den Deutschen Bankier Alfred Herrhausen auf dem Gewissen, sondern wahrscheinlich nur ein paar Israelis. Ein wahrhaft "deutsches Finale" ("Spiegel"-Überschrift). Denn statt in der deutschen "Terrorsekte" RAF will der Linksradikale, der im "Spiegel"-Gespräch eröffnet, ihm sei "schnell klargeworden, daß das illegale Leben mich völlig überfordert", unter dem Kampfnamen "Ali" in der "Palästinensischen Befreiungsarmee" (PLA) aktiv gewesen sein: Der Mittdreißiger, der 1984 untertauchte, um der ständigen Überwachung durch die deutschen Staatsschützer zu entgehen, wäre zwar eigentlich lieber nach Lateinamerika gegangen, "weil ich mich mit dieser Region intensiver beschäftigt hatte. Aber letztlich war mir vor allem wichtig, in ein Land der Dritten Welt zu kommen und dort zu leben."

Und weil die Gelegenheit günstig ist und die "Spiegel"-Reporter zwar kein Herz für Terrorismus bzw. andere RAF-Aussteiger haben, dafür aber ein offenes Ohr für militanten Volkskitsch, darf Seidler noch ein wenig darüber plaudern, wie es denn an der Grenze zu Israel so zugeht: "Vertrieben, rechtlos und ständig in der bloßen Existenz bedroht" sind die Palästinenser dort, "das ist so bis heute". Seidler will sich deswegen überlegt haben, in einem medizinischen Projekt zu arbeiten, aber "das Projekt kam nicht zustande, weil der zuständige Arzt auswanderte, um seine Familie vor den ständigen israelischen Luftangriffen zu schützen. Dann habe ich hauptsächlich bei einer militärischen Einheit als Fahrer gearbeitet." Zeitweise war Seidler wohl auch "Führer einer kleinen Kampfeinheit" - und man möchte gerne wissen, was für führende Deutsche er denn sonst noch in diesen Befreiungskämpfen kennengelernt hat oder was er über die Ermordung des deutschen RZ-Mitgliedes Gerd Albatus durch die palästinensischen Genossen denkt: Taktvollerweise fragt der "Spiegel" nicht nach, und auch die Bundesanwaltschaft hat schlechteres zu tun, als zu erforschen, wie groß der Schaden ist, den ein Deutscher im Ausland anrichtet, weil er hierzulande den Druck der Illegalität nicht aushält.

Wie Seidlers Versuch ausgeht, sich mit Unterstützung des "Herrn Benz" wieder in Deutschland einzurichten, ist noch nicht klar: Seine Chancen stehen aber sicher besser, als es die von Birgit Hogefeld jemals waren. Pikant ist, daß der Mann, den das Bundesamt für Verfassungsschutz so nachhaltig fördert, ausgerechnet von einem V-Mann des Hessischen Landesamtes für Verfassungsschutz schwer belastet wird. Der psychisch außerordentlich labile Siegfried Nonne, der in einer betreuten Wohngemeinschaft lebt, hat seine Aussagen in den letzten Jahren allerdings selber so oft modifiziert, widerrufen und dann doch wieder bestätigt, daß selbst eine Sonderstrafkammer damit ihre Mühe haben dürfte. Schwerer wiegt wohl, daß die Kölner Verfassungsschützer einen erfolgreich aussteigenden Seidler brauchen, um ihr "Benz"-Programm zum erwünschten Erfolg führen zu können: Die gute Behandlung Seidlers wäre dann die Kehrseite des rigiden Vorgehens gegen Hogefeld. Wer sich stellt - das wäre die Botschaft an die verbliebenen Illegalen - , kann Glück haben; wer nicht vertrauensvoll "Benz" Hand ergreift, wird dagegen auf jeden Fall irgendwann erwischt und landet lebenslänglich hinter Gittern. Denn es geht in der Auseinandersetzung zwischen Staat und RAF längst nicht mehr darum, daß die einen Sieger, die anderen Besiegte sind - der Triumph des autoritären Selbstbewußtseins, das für kommende Aufgaben gefragt ist, erwächst nur aus der völligen Unterwerfung des Feindes.

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