"Frohe Ostern, RAF, RAF"
12.03.1989 | AutorIn: Dr. Oliver Tolmein | RAF
Veröffentlicht in: konkret 03 / 89, S. 38: Nachdem der Gesetzgeber den Paragraphen 129a zum 1.1.1987 verschärft hat, sind jetzt die "unabhängigen" Gerichte dabei, die Schraube weiter anzuziehen. Wer Mitglied in einer "terroristischen Vereinigung" ist, bestimmen künftig die Oberlandesgerichte
Als Eva Haule, verurteilt wegen "Mitgliedschaft in der RAF", Ende November 1988 in einem anderen, nach Paragraph 129a gegen Eric Prauss und Andrea Sieveking angestrengten Verfahren als Zeugin aussagte, muß es den Bundesanwälten in den Ohren geklingelt haben: Statt nur, wie von ihnen wohl erhofft, antiimperialistische Parolen und weitgehend an Insider gerichtete Erklärungen abzugeben, äußerte sich Eva Haule ganz konkret zu den Vorstellungen des Staatsschutzes von Organisation und Arbeitsweise der RAF und konfrontierte sie mit ihren eigenen Kenntnissen:
"Der Staatsschutz puscht immer massiver ein Organisationsschema, das mit der Wirklichkeit nichts zu tun hat. Er braucht dieses Schema, um die Repression gegen den radikalen Widerstand effektiver zu machen. Es gibt keine legalen Mitglieder (der RAF), es gibt keine Teilzeitmitglieder - wie es als neueste Variante zu den Kämpfenden Einheiten gebracht wird - , es gibt keine Beteiligung von Leuten außerhalb des Kollektivs an den Aktionen der RAF, wie es umgekehrt keine Beteiligung von Guerillas an Aktionen des Widerstands gibt. Seit vier Jahren wurde außer mir niemand aus der RAF gefaßt. Die zwölf Genossen aus dem Widerstand, die seitdem als angebliche Mitglieder verhaftet wurden, davon allein sechs aus der Kiefernstrasse, waren genausowenig in der RAF organisiert wie die Leute aus Stuttgart, gegen die jetzt neue Verfahren laufen."
Das Oberlandesgericht in Stuttgart-Stammheim tat der Bundesanwaltschaft den Gefallen, ihrem dürftig untermauerten Konstrukt einer "legalen" RAF mehr zu glauben als den Aussagen Eva Haules: Die beiden Angeklagten wurden wegen der behaupteten "mitgliedschaftlichen Betätigung" in der RAF und wegen ihrer angeblichen Beteiligung an dem Anschlag auf das Dornier-Werk 1986 zu jeweils neun Jahren Haft verurteilt. Auch in dem Anfang dieses Jahres vor dem Oberlandesgericht Düsseldorf zu Ende gegangenen Verfahren gegen vier DuisburgerInnen, die dem Urteil zufolge am Anschlag auf die BGS-Kaserne in Swisstal-Heimerzheim beteiligt gewesen sein sollen, konnten die jahrelangen Haftstrafen nur aufgrund dieser Konstruktion einer "legalen RAF" verhängt werden.
In beiden Verfahren sind die VerteidigerInnen in die Revision gegangen: Werden die Urteile allerdings bestätigt, wäre nach der Erweiterung der Straftatbestände des Paragraphen 129a durch den Gesetzgeber zum 1.1.1987 (KONKRET 4/88) dessen Anwendungsbereich durch die Rechtsprechung erheblich ausgeweitet. Die durch keinerlei Beweise gestützte, sondern im Gegenteil durch die Aussagen von Eva Haule widerlegte These von Verfassungsschutz und Bundesanwaltschaft, es gebe eine "legale RAF", würde infolge dieser Urteile in künftigen Verfahren als "gerichtsbekannt" vorausgesetzt werden können - die Schwelle für Verurteilungen mit gravierenden Folgen wäre erneut heruntergesetzt worden.
Die wahrscheinlichen Konsequenzen deuten sich in der gerade fertiggestellten Anklageschrift der Bundesanwaltschaft gegen Uli Winterhalter an. Winterhalter wurde am 9. September 1988 im Verlauf einer, in deutlichem Zusammenhang mit der Anti-IWF-Kampagne stehenden, Durchsuchungsaktion des badenwürttembergischen Landeskriminalamtes im Großraum Stuttgart verhaftet. Daß in seiner Wohnung eine größere Menge des Betäubungsmittels Ketanest sowie Wanderkarten gefunden wurden, in die, so die Bundesanwaltschaft, "Punkte zur Ausspähung amerikanischer Militäreinheiten" eingezeichnet waren, lieferte den Grund, ein Verfahren wegen "Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung" gegen ihn einzuleiten: "Das Vorrätighalten dieses Medikaments ist in Zusammenhang mit den Aufgaben des Beschuldigten in der RAF zu sehen ... Alles spricht dafür, daß auch das von dem Beschuldigten Winterhalter vorrätig gehaltene Ketanest im Rahmen einer Entführungsaktion der RAF verwendet werden sollte", behauptet der Haftbefehl und führt damit die in den gerade gefällten Urteilen angesetzte Linie weiter.
Diesmal hat die Bundesanwaltschaft allerdings nicht einmal mehr eine konkrete geplante oder gar durchgeführte Tat parat, die sie dem Beschuldigten zur Last legen könnte, und schon garnicht verfügt sie über irgendwelche ihre Version belegenden Fakten: Daß bei angeblichen Mitgliedern der "Action Directe" ebenfalls Ketanest gefunden wurde, ist alles, was von den ursprünglich behaupteten Indizien bleibt, nachdem sich die Wanderkarten als ein Relikt aus den Zeiten der Friedensbewegung erwiesen haben. Wie in den laufenden Ermittlungen gegen angebliche Mitglieder der "Revolutionären Zellen" der Wecker der Marke "Emes sonochron", dient in dem Verfahren gegen Uli Winterhalter das Ketanest als Mittel, um den Anschein, es gehe tatsächlich um eine materielle Beweisführung gegen mutmaßliche Straftäter, aufrechtzuerhalten. Dazu paßt, daß auch in der Anklageschrift nichts gegen die von Winterhalter in einem Brief gelieferte Erklärung vorgebracht wird, das bei ihm gefundene Ketanest sei für eine Medikamentensammlung von medico international für Palästinenserlager gedacht gewesen.
Das Kalkül der Bundesanwaltschaft scheint ein anderes zu sein: Sie konzentriert sich auf die Darstellung des politischen Hintergrunds des seit nunmehr sechs Monaten in Untersuchungshaft Gehaltenen. Daß Winterhalter an einer Demonstration nach dem Tod von Günter Sare und an einer anderen zum Hungerstreik der RAF-Gefangenen teilgenommen hat, daß er in Briefkontakt mit politischen Gefangenen stand und einige Veranstaltungen zum Paragraphen 129a besucht hat, wird in der Anklageschrift gegen ihn verwandt: Alle in einen linksradikalen Zusammenhang hineinzuinterpretierenden Aktivitäten (andere werden grundsätzlich nicht registriert) bilden die "subjektive Tatseite". Eine Urlaubsfahrt nach Bayern, der gemeinsame Einkauf mit mehreren Leuten in einem Supermarkt und die Parkplatzsuche in der Hamburger Hafenstraße komplettieren die Indizienliste der Bundesanwaltschaft: Der legal lebende Winterhalter hat sich damit konspirativen Verhaltens schuldig gemacht.
Das Muster dafür wurde 1981, während der zweieinhalb Monate des Hungerstreiks zahlreicher politischer Gefangener, entwickelt: In dieser Zeit überzog die Bundesanwaltschaft die sich solidarisierende Linke mit 133 Verfahren wegen "Werbung für eine terroristische Vereinigung". War der "Straftatbestand" des "Werbens" bei den Bundestagsberatungen des Paragraphen 129a eindeutig auf die Werbung von Mitgliedern für eine "terroristische Vereinigung" ausgelegt, wurde 1981 zum ersten mal in größerem Maßstab die bis dahin nur in Einzelfällen praktizierte Rechtsprechung, nach der der Begriff des Werbens auch die "Sympathie-Werbung" umfaßt, durchgesetzt.
Die Polizei beteiligte sich in einem solchen Umfang an der Kriminalisierungskampagne, daß selbst Generalbundesanwalt Rebmann sich zu ihrer Domestizierung veranlaßt sah. In einem, seither stets in Urteilsbegründungen als wesentliche Orientierungsmarke erwähnten Aufsatz in der "Neuen Zeitschrift für Strafrecht" nannte er als Voraussetzung für ein strafbares Werben, daß "der Durchschnittsadressat die Erklärung als Werbung für eine terroristische Vereinigung in ihrer strafbaren Zielsetzung empfindet", und er konkretisierte: "Schmierereien wie ... FROHE OSTERN RAF, RAF werden vom Durchschnittsadressaten nicht als Werbung, sondern als Unsinn empfunden".
Mit der im gleichen Aufsatz getroffenen Feststellung, daß "das Wissen des Durchschnittsadressaten allerdings der Veränderung unterliegt", hat Rebmann die Voraussetzungen dafür geschaffen, den Begriff des "Werbens", und damit auch den des vergleichbar unbestimmt definierten "Unterstützens", je nach politischem Bedarf ausweiten beziehungsweise eingrenzen zu können. Der Bundesgerichtshof hat in einem Beschluß vom 28.12.1984 dieses Opportunitätsprinzip in der Anwendung des Paragraphen 129a bestätigt. Während im Verfahren gegen Uli Winterhalter versucht wird, den Begriff der "Mitgliedschaft in der RAF" ähnlich weitläufig zu definieren, wie seit 1981 den Begriff des "Werbens", wird in dem gerade in Frankfurt begonnenen Prozeß gegen Leute aus der Anti-Startbahn-Bewegung angestrebt, den Begriff der "terroristischen Vereinigung" möglichst weit auszudehnen. Seine Brisanz erhält das Frankfurter Verfahren dadurch, daß die Angeklagten Andreas Eichler und Frank Hoffmann beschuldigt werden, in der Nacht des 2.11.1987 an der Startbahn-West zwei Polizisten erschossen zu haben. Diese beiden Morde lastet die Bundesanwaltschaft allerdings nur den beiden an - nicht der Gruppe insgesamt, zu der sechs weitere Angeklagte gehören sollen.
Die von der Bundesanwaltschaft behauptete Konstruktion der "terroristischen Vereinigung" ist überaus kompliziert. Die in den Jahren 1986 und 1987 begangenen Taten sollen in wechselnder Besetzung begangen worden sein. Gewechselt hat, von Anschlag zu Anschlag, auch die Organisationsbezeichnung in den Bekennerschreiben: Mal nannte sich, den Vorstellungen der Bundesanwaltschaft zufolge, ein und dieselbe Vereinigung "Kommando Säg weg den Scheiß", mal "Revolutionäre Heimwerker", "Revolutionäre Zellen" oder gar "Kommando Joschka Fischer". Alle Taten, die 1987 begangen worden sein sollen, legen die Bundesanwälte konkret nur Frank Hoffmann und Andreas Eichler zur Last. Aber die beiden hätten, behauptet die Anklage weiter, bei diesen Sabotageaktionen jeweils als Mitglieder der Vereinigung gehandelt. Dieser juristische Kniff ist notwendig, um auch gegen die sechs Mitangeklagten nach Paragraph 129a verhandeln zu können.
So überaus bemüht die Anklage konstruiert ist, so gravierend sind die Folgen, wenn sich das Gericht dieser Argumentation anschließt: Wenn Voraussetzung für eine "terroristische Vereinigung" nicht einmal mehr ist, daß sie kontinuierlich einen Namen verwendet und gemeinsam agiert, eröffnen sich der Bundesanwaltschaft nahezu beliebige Möglichkeiten, Leute, die, wie locker auch immer, in einem Zusammenhang agieren, mit dem 129a als "Mitglieder einer terroristischen Vereinigung" zu kriminalisieren.
Daß Leuten, die aufgrund ihrer radikalen politischen Betätigung in den letzten Jahren wegen Unterstützung einer "terroristischen Vereinigung" verfolgt wurden, jetzt vermehrt die "Mitgliedschaft" in einer solchen angelastet und damit ein weitaus höheres Strafmaß angedroht wird, macht die qualitative Verschärfung in der Anwendung des 129a in den letzten anderthalb Jahren aus. Setzt sich dieses Vorgehen durch, wird in der Folge automatisch auch der Kreis der Leute vergrößert, gegen die Ermittlungen und Verfahren wegen "Unterstützung" und "Werbung" eingeleitet werden können.
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