Im Rahmen des Üblichen

09.02.1992 | AutorIn:  Dr. Oliver Tolmein | Legale Linke

Veröffentlicht in: Konkret 02 / 92, S. 38: Von zionistischen Kräften, preußischen Bürokraten und der Kunst, eine Quellenangabe zu überprüfen

"Nahost-Aggressoren und ihre Bonner Sprachrohre: Die Machthaber Israels sind von der Tollwut der Aggressivität gepackt. Die bisher üblichen systematischen Verletzungen der Feuereinstellung vom Juni 1967 weiten sich immer mehr zu barbarischen Kriegshandlungen aus... Wiederholt sind die israelischen Machthaber vor dem Versuch gewarnt worden, mehr als 1,5 Millionen Araber gewaltsam dem israelischen Staat einzuverleiben. Jetzt zeigt sich immer mehr, daß dies nie gelingen kann. Kein Polizeiterror, keine Sondergerichte und Konzentrationslager vermögen den Freiheitswillen der Unterjochten zu brechen." ("Neues Deutschland", 9. August 1968)

Es sind, lehrt uns ein kommunistischer Klassiker, die einfachen Dinge, die schwer zu machen sind. Zu den einfachen Dingen gehört, sollte man meinen, das Zitieren: Ein Mensch liest einen Satz, findet ihn skandalös, großartig oder einfach nur bemerkenswert und fügt ihn, mit Quellenangabe, in einen eigenen Text ein. So ging es mir, als ich Bernd Sieglers kenntnisreiches Buch "Rechtsextremismus in der DDR" las und dabei in einem Abschnitt über den keineswegs nur latenten Antisemitismus in der DDR einen Satz aus einem Kommentar des "Neuen Deutschland" (ND) zum "Prager Aufstand" wiedergegeben fand: "In Prag regiert der Zionismus". Ich zitierte - und erwähnte den Kontext s. "Deutscher Herbst 91", KONKRET 11/91): Simon Wiesenthal hatte dieses und andere antisemitische Stereotype zum Anlaß genommen, eine Liste mit 39 zum Teil hochrangigen Mitarbeitern der DDR-Medien zu präsentieren, die im Deutschen Reich als nationalsozialistische Schreiber aktiv gewesen waren.

Die Reaktionen auf die Wiedergabe des von Wiesenthal angeführten ND-Zitats fielen erstaunlich aus: Der frühere KONKRET-Autor Uwe Klußmann, heute "Spiegel"-Korrespondent in Leipzig, fragte per Leserbrief (KONKRET 12/91) nach dem Datum der ND-Ausgabe, in der die "hochinteressante Äußerung enthalten" sei - nicht etwa, weil er sie tatsächlich interessant gefunden hätte: "Vielleicht kann dir bei deiner Suchaktion der Erfinder der Fälschung, H.M. Broder... ein wenig Gesellschaft leisten." Im "ak 337" beschäftigte sich dann in einer knappen Antwort auf den Leserbrief des "Spiegel"-Redakteurs hatte ich als Datum wie Wiesenthal den 25. August 1968 genannt - das Kürzel "kt.", unter dem einer der Cheftheoretiker des früheren KB schreibt, ausführlich mit dem Nachweis, daß meine Quellenangabe falsch sei und, schlimmer noch: "Die `Artikelüberschrift ist frei erfunden... Es gibt auch keine Aussage mit ähnlicher Tendenz im damaligen ND, weder in Überschriften noch in Artikeln und Kommentaren."

"kt." verwies darauf, daß der Streit um das Zitat bereits einige Jahre währt. Henryk M. Broder hatte es, leicht variiert ("In Prag regieren die Zionisten"), in der Wochenzeitung "Das Parlament" vom 12. Juni 1976 veröffentlicht - "um die Affinität von faschistischem Antisemitismus und linkem Antizionismus zu veranschaulichen", wie "kt." mitzuteilen wußte, denn Broder hatte damals darauf hingewiesen, daß der "Völkische Beobachter" am 9. August 1938 mit der Schlagzeile "In Prag regieren die Juden!" erschienen war. Einige Monate später bemühte sich ein weiterer Autor abermals in der Beilage zum "Parlament" um den Nachweis, daß es den von Broder ohne Quellenangabe zitierten Satz im ND nicht gebe. Im Kontext einer Rezension des Broder-Buches "Der ewige Antisemit" (in dem dieses ND-Zitat allerdings nicht enthalten ist) griff "kt." im Dezember 1986 ("Arbeiterkampf" Nr. 277) schließlich auf den Fälschungsvorwurf zurück - und weil er nun schon mal beim Rehabilitieren war, warf er sich auch gleich noch für den "Völkischen Beobachter" in die Bresche: Auch die Schlagzeile "In Prag regieren die Juden!" habe es nicht gegeben.

Der philologische Streit ums richtige Zitat war zu einem politischen geworden. Die wiederholten Bemühungen, die "freie Erfindung" des inkriminierten Zitates nachzuweisen, waren offensichtlich mit der Hoffnung verknüpft, daß mit seiner Nicht-Existenz auch die politische Kritik am sich antizionistisch gebärdenden Antisemitismus der Linken hinfällig würde. Anders läßt sich kaum erklären, warum der wesentliche, unbestreitbar wahre Inhalt der bereits erwähnten, 1968 von Wiesenthal vorgelegten Dokumentation über ehemalige Nazi-Schreiber in DDR-Medien "Die gleiche Sprache: Erst für Hitler - jetzt für Ulbricht" von Linken keineswegs als Skandal wahrgenommen worden ist, sondern, im Gegenteil, die Dokumentation auch 1991 noch als ein Produkt des kalten Krieges, das "grobschlächtige, primitiv zusammengeschusterte Propagandagags" enthalte, denunziert wird: "Daß heute ein linker Buchautor, der sich dankenswerterweise des anspruchsvollen Themas `Rechtsextremismus in der DDR annimmt, nicht selbst in die Lektüre des ND einsteigt, sondern sich bequem aus einer tendenziösen Dokumentation des Kalten Krieges bedient, paßt zum Zeitgeist. Daß ein vielbeschäftigter linker Publizist, der dann ein solches Buch zu rezensieren hat, eine haarsträubende `Schlagzeile gutgläubig abschreibt, die er wahrscheinlich keiner westdeutschen Zeitung zutrauen würde, wohl aber eben dem SED-Zentralorgan, bewegt sich ebenfalls im Rahmen des heute üblichen. Unverständlich bleibt aber, daß Tolmein nicht nach der erwähnten Zuschrift, in der das `Zitat explizit als Fälschung bezeichnet wurde, zur eigenen Sicherheit in der Carl von Ossietzky-Bibliothek vorbeigeschaut hat... Schlechter zu recherchieren als ein `Spiegel-Redakteur ist kein Radikalitätsbeweis, sondern nur Faulheit."

Das habe ich mir natürlich zu Herzen genommen - womit wir wieder beim Einfachen wären, das anscheinend wirklich schwer zu machen ist: dem Überprüfen einer Quellenangabe. "kt." und der "Spiegel"-Redakteur haben insofern recht, als das "Zitat" tatsächlich nicht, wie mitunter, aber nicht von Simon Wiesenthal, fälschlich behauptet wurde, als Schlagzeile erschienen ist. Der Wortlaut ist auch, das muß ebenfalls konzediert werden, nicht exakt wiedergegeben worden. Frei erfunden oder auch nur gefälscht ist er aber noch weniger. Mit der Hälfte der Mühe, die "kt." und Klußmann auf das Schreiben von Artikeln und Leserbriefen bereits verwendet haben, hätten sie auf Seite 2 des ND vom 25. August 1968 den Leitkommentar dieser Seite finden können. Verfaßt wurde er von einem "W.K.". Unter der Überschrift "Parteitag ohne Arbeiter" heißt es dort: "In die Methodik, mit deren Hilfe die konterrevolutionären und revisionistischen Kräfte in der CSSR sich die Macht zu ergaunern dachten, gestattet das Geheimtreffen vom 22. August einen tiefen Einblick. Um die Parteimitglieder der KPC und das tschechoslowakische Volk zu täuschen, gaben sie die illegale Zusammenkunft als außerordentlichen Parteitag der KPC aus... Wie die Zusammensetzung der illegalen Zusammenkunft, so sieht auch das von ihr als neues ZK und Präsidium der Partei erklärte Gremium aus. In ihm gibt es keine Arbeiter. Die Schriftsteller, die seit Monaten aus ihrer Vorliebe für imperialistische Sender und ihrer Abneigung gegen die Prinzipien des Marxismus-Leninismus keinen Hehl machen, bilden die Mehrheit. Leute, die zu den Verfassern der konterrevolutionären Plattform `2000 Worte gehören, sind darin aufgenommen. Zionistische Kräfte haben die Führung übernommen."

"Zionistische Kräfte haben die Führung übernommen": Nun ist auch gründlicher recherchiert zu haben als ein "ak"-Redakteur kein Radikalitätsbeweis, so wenig wie die von "kt." gestellte Frage, ob "nun eigentlich die DDR rechtsradikaler (war) als die BRD oder war es umgekehrt oder wie oder was?" dadurch beantwortet werden kann, daß die angeblich "frei erfundene" Textstelle jetzt endlich gefunden (und korrekt wiedergegeben) ist. Die Wahrheit ist eben, so oder so, nicht allein in den Zitaten zu finden. Trotzdem wäre interessant zu erfahren, was einen Kommunisten dazu bringt, einerseits über Jahre penibel wie ein preußischer Bürokrat Zitate zu verwalten und bis in die Datumsvarianten auf ihren angeblichen Fälschungsgehalt zu untersuchen, andererseits aber die entscheidenden Textstellen und Argumentationsstrukturen einfach zu übersehen.

"Wenn man sich die NDs vom August und September 1968 insgesamt durchsieht, wird man sehen, daß dort der Begriff `Zionismus überhaupt nicht verwendet wurde, weder im Zusammenhang mit Israel, noch, wie von Wiesenthal und seinen Zweit- und Drittabschreibern unterstellt wurde, im Sinne einer `jüdischen Verschwörung in Prag oder sonstwo", schreibt "kt.". Tatsächlich wimmelt es im "Neuen Deutschland" im angegebenen Zeitraum nur so von verschwörungstheoretischen Artikeln, in denen mal Imperialisten, mal die Organisatoren der Kafka-Konferenz von 1963 wie "Goldstücker, einer der Hauptverantwortlichen", und mal die Intellektuellen in toto als "geistige Vorreiter der Konterrevolution" bzw. als deren Anstifter enttarnt werden: Die Rhetorik ist, auch wenn nicht ausdrücklich "Zionisten" oder "Juden" als "Drahtzieher" benannt werden, über weite Strecken antisemitisch - was auch für die Berichterstattung über Israel gilt.

Bleibt nachzutragen, daß schon die Vorlage der Dokumentation durch Simon Wiesenthal nicht so recht ins Bild des "Kalten Kriegers" paßt, das "kt." gezeichnet hat. Wiesenthal ging es nämlich ausdrücklich vor allem darum, auf den Unterschied aufmerksam zu machen, der zwischen der Berichterstattung über den 6-Tage-Krieg in den Medien der DDR und der in anderen Warschauer-Pakt-Staaten bestand: "Die in der DDR verwendeten Ausdrücke, Begriffe und ideologischen Denkmodelle schienen nicht kommunistischen Ursprungs zu sein. Sie erinnerten sofort viel stärker an den `Völkischen Beobachter, den `Stürmer und das `Schwarze Korps... Diese auffallenden Parallelen führten von der ideologischen Ebene weg - hier mußte nachgeforscht werden, wie weit etwa Werkstatt und Personen mit jenen der NS-Ära identisch sind... Das Ergebnis hat alle Erwartungen - oder Befürchtungen - übertroffen."

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