Legal, Illegal, Radikal

12.01.1990 | AutorIn:  Dr. Oliver Tolmein | Legale Linke

Zeitungsproduktion und Zensur in der BRD

Veröffentlicht in: konkret 01 / 90, S. 47: Seit mehreren Jahren versucht der Staatsapparat, die linke Zeitschrift "radikal" zum Schweigen zu bringen. Warum das bislang nicht gelungen ist und welchen Sinn eine illegale Zeitschrift in der BRD macht war Thema des Gesprächs, das Oliver Tolmein mit Nina und Hajo von "radikal" führte

KONKRET: Nach der letzten Prozeßwelle gegen "radikal" haben viele Linke befürchtet, der Staatsapparat habe es geschafft, die Zeitung zu zerschlagen. Es hat sich in den letzten Monaten aber gezeigt, daß "radikal" nach dieser Repressionswelle häufiger als früher erscheint. Ist das noch die alte "radikal" von vor der Repressionswelle? Ihr selber schreibt mal, daß es heute andere Leute seien, die euch lesen, als vor 5 Jahren.

Hajo: Die alte "radikal" war mehr eine Bewegungszeitung. Nach dem Prozeß 84 gab es keine Bewegung mehr, das hat sich zeitlich praktisch überschnitten, der Prozeß, und die Abräume der Häuser. Danach war der Inhalt der radi nicht mehr so an der Bewegung oder an einem bestimmten politischen Bereich orientiert. Sie hat einerseits ein größeres Spektrum angesprochen, und heute sind eine Menge neue und jüngere Leute dabei.

KONKRET: Wieso hat sich das verändert?

Hajo: Weil die Zeitung nicht so spezialisiert war auf bestimmte Themen, aber viele GenossInnen haben sich über die Jahre auf einen bestimmten politischen Bereich spezialisiert, wo sie sich besonders gut auskennen und die kontinuierliche Arbeit tragen. Außerdem haben mehrere Ausgaben nach dem Prozeß auf einer Ebene angesetzt, wo erstmal ganz einfache Sachen vermittelt und geklärt wurden. Das ist jetzt ähnlich. Viele, die die radi in die Hand nehmen, haben Erfahrungen nicht gemacht, und da kannst du nicht auf einem oberrevolutionären Bewußtsein aufbauen.

KONKRET: War das eine bewußte Entscheidung zu sagen, wir machen jetzt eine Zeitung, die in der politischen Theoriebildung von vorne anfängt?

Hajo: Am Anfang nicht. Die Leute, die die Zeitung nach dem Prozeß weitergemacht haben, waren einfach so drauf. Wir hatten nicht die großen politischen Erfahrungen. Mittlerweile ist es aber ziemlich bewußt, so eine Zweiteilung. Einmal versuchen wir zu hinterfragen und offene Probleme in der radikalen Linken möglichst genau darzustellen. Der zweite Teil sind Hintergrundinfos und Zusammenfassungen, damit viele Leute überhaupt blicken, worum es z.B. bei einem Streit geht. Du kannst spezielle Themen oder genaue Diskussionen vielen Leuten nur dann verständlich machen, wenn du am Anfang beginnst und nicht zuviel voraussetzt.

In der Metropole ist allgemein ein anderer Erfahrungsstand vorhanden, als in der Provinz. Es gibt auch Unterschiede zwischen älteren und jüngeren GenossInnen. Sowas muß bewußt werden, damit die Diskussionen zusammenführen. Schließlich wollen wir mehr werden, und nicht ausschließlich in isolierten Polit-Klüngeln nach vorne schreiten. Das mag einigen Leuten Erkenntnisse bringen, aber eine revolutionäre Perspektive ist das nicht.

Nina: Es ist von Thema zu Thema unterschiedlich. Z.B. bei den ganzen Antifa-Sachen sind wir vorher nicht besonders durchgestiegen. Dann reicht uns das nicht, auf soundsoviele Dokumentationen zu dem Thema zu verweisen, weil die wenigsten in der Lage sind, sich die Teile auch zu besorgen. Andererseits haben wir keine Lust, hochtheoretische Auseinandersetzungen wie die "Autonomie" zu führen, weil die kaum noch nachvollziehbar sind. Wir finden es wesentlicher, sich über die Realität auseinanderzusetzen. Um beim Beispiel zu bleiben, wenn wir z.B. das Gefühl haben, daß der Antifaschismus der Szene ein Einbahnstraßen-Antifaschismus ist, und der Begriff 'Sexismus' als leeres Anhängsel rumgeschleppt wird.

Das wichtigste an unserem Anspruch ist, daß wir nicht neben den Leuten stehen oder über sie reden, sondern gemeinsam diskutieren wollen. Alle, die hier was machen und verändern wollen, sind gleich wichtig. Nimm z.B. Sprache. Mit einer anderen Sprache schaffst du ganz schnell die Situation, daß ganz viele nichts mehr sagen können, weil das, was erzählt wird, schon gar nicht mehr ankommt.

KONKRET: Durch die Repression ist der Vertrieb der Zeitung für euch schwerer geworden. In dem Interview mit dem ID-Archiv sagt ihr, daß ihr mit der "radikal" "revolutionäre Propaganda in die Öffentlichkeit bringen" wollt. Aber ihr produziert unter Bedingungen, wo 99 Prozent dieser Öffentlichkeit nicht ohne weiteres an die "radikal" rankommt.

Nina: Wie du fragst, ist das ziemlich starr betrachtet. Es geht doch darum, hier eine Entwicklung in Gang zu setzen, die a) ein bestimmtes Bewußtsein voranbringt und b) darüber auch eine Organisierung entstehen läßt. Du kannst zwar sagen: Es ist schade, daß 99 Prozent der Bevölkerung die radi kaum in die Hand bekommen. Damit ändert sich aber nichts. Es gibt viele Versuche, die Zeitung unter die Leute zu bringen, z.B. wird sie von Vermummten auf Veranstaltungen und in Kneipen verteilt, wo durchaus nicht nur Autonome sind. Das hat nicht das Niveau, daß die Zeitung täglich und überall zu haben ist. Aber die Tendenz, die in dieser Entwicklung liegt, richtet sich ja an einer Zielvorstellung aus. Außerdem hängt die Verankerung der radi auch damit zusammen, wie linke Strukturen hier aussehen.

Hajo: Natürlich stolperst du nicht über die radi wie über Sonderangebote im Kaufhaus. Aber es gibt für alle die Möglichkeit, die Zeitung zu abonnieren statt zu suchen. Dazu mußt du sie halbwegs wollen und das Geld an eine Deckadresse im Ausland schicken. Du hast schon recht, "die Öffentlichkeit" tut sowas nicht, aber soweit geht unser Anspruch auch gar nicht, daß wir z.B. die Verbreitung der "taz" haben wollen.

KONKRET: Bekommt ihr denn Rückmeldung von Leuten, die nicht zum autonomen oder militanten Spektrum gehören, daß die die "radikal" wahrnehmen?

Nina: Na ja, du hast z.B. versucht, ein Interview mit uns zu machen.

Hajo: Das kriegst du über die Post mit und wenn du hinschaust, welche Leute sich dafür interessieren und was dafür tun. Einige schicken Infos und Artikel, und andere schauen bei sich, ob sie da eine Verteilung auf die Reihe kriegen. Normalerweise mißt du den Verbreitungsgrad einer Zeitung daran, ob und wie sie in der Öffentlichkeit rumliegt. Das geht bei der radi nicht mehr. Nach der Repression gegen die Nr. 132 ist die Buchladenstruktur zusammengebrochen. Seitdem haben wir versucht, etwas neues aufzubauen. Es wurde gesagt, die Buchläden legen die Zeitung nicht mehr aus, also müssen Leute, die die radi lesen, sich auch irgendwie rumbringen. Wenn das klappt, dann ist das prima und entspricht dem Anspruch, daß die Leute sich nicht nur was reinziehen, sondern es so ernst nehmen, daß sie auch was dafür tun. Es ist noch lange nicht so, wie wir uns das vorstellen, aber es gibt schon Bereiche, wo die Zeitung verteilt wird, die vorher in der Buchladenstruktur nicht so da waren.

Heute wird die radi auch anders gekauft als vor 85. Da bist du in einen Buchladen mit riesiger Auswahl gekommen, und da lag eben auch die "radikal" rum. Wenn sie heute auf einer Veranstaltung verkauft wird und du kaufst sie so, dann steckt nach 2,3 mal ein anderes Bewußtsein dahinter, warum du das machst. Oder ein Kumpel kommt an und sagt: Ich hab da ne Zeitung, die ist kriminalisiert, willst du mal antesten. Das ist was ganz anderes, das läuft in Strukturen.

KONKRET: Wobei die Gefahr besteht, daß die Zeitung auch in diesen Strukturen hängenbleibt.

Hajo: Das stimmt, wenn wir uns nur auf autonome Strukturen konzentrieren würden. Aber das tun wir ja nicht. Es ist wie in der Zeitung, da wollen wir ja auch, daß erfahrene Linke mit Jüngeren zusammenkommen, ohne daß welche mehr oder weniger zu bestimmen haben. Das muß dann in unserer Praxis und in der Struktur auch so umgesetzt werden. Und dann geht die Zeitung eben in Schulen oder in der Provinz rum, wo viele gar nicht so klar haben, warum Steine gegen Bullen fliegen. Aber die sind offen dafür und wollen wissen, warum andere sowas tun. Und darüber entsteht eine Diskussion, auch in der Struktur vielleicht.

KONKRET: Ihr seid ja, unter anderem aufgrund eurer illegalen Produktion, ein recht schwerfälliges Medium. Hättet ihr nach dem 1. Mai 1989 nicht eine aktuelle Sonderausgabe versuchen müssen, um Informationsdefizite in der Linken zu beseitigen oder um der Sicht der Herrschenden, wie sie z.B. die "taz" präsentiert hat, eine Sichtweise der Akteurinnen und Akteure entgegenzusetzen?

Hajo: Das Wort "schwerfällig" trifft voll zu. Ohne längere Planung läuft bei uns selten was, und wenn die Revolution abgehen würde, sind wir lieber auf der Straße als am Schreibtisch.

Nina: In der Nr.138 gab es Artikel, die sich mit dem 1. Mai beschäftigt haben. Außerdem haben der "Arbeiterkampf" oder die "Prowo" ziemlich schnell mit Hintergrundinformationen die ganze Empörung und Distanziererei auf einen realen Boden zurückgebracht: daß es sowas immer geben wird, solange es Unterdrückung gibt. Eine Sonderausgabe wäre schon gut gewesen, besonders für Leute außerhalb Westberlins, die wegen der "taz"-Berichterstattung ziemlich verwirrt waren. Aber es war nicht so ein Wunschbild von mir, denn über eine überregionale Struktur kriegst du gleichzeitig auch andere Wichtigkeiten mit. Das empfindest du im ersten Moment vielleicht als nebensächlich, aber ob etwas viel Staub aufwirbelt, ist nicht das einzige Kriterium für wichtig oder unwichtig. Das relativiert einiges.

KONKRET: Wie seht ihr euer Verhältnis zu anderen legal erscheinenden linken Zeitungen wie "wildcat", "Arbeiterkampf" oder "interim"? Seid ihr als illegale Zeitung das Fachblatt für Militanz?

Nina: Das ist Schwachsinn. Wenn du dir den Inhalt der Zeitung nicht vorschreiben lassen willst, mußt du sie verdeckt organisieren. Das schafft die Voraussetzung, daß wir in gewisser Hinsicht frei von Sorgen militante Handlungen und Tips veröffentlichen können. Aber Militanz ist vor allem eine Haltung und ein Bewußtsein in Kopf und Bauch, was sich in vielen Diskussionen auch bei legalen Zeitungen ausdrückt.

Hajo: "interim" oder "sabot" oder "swing" sind regionale Zeitungen, die "wildcat" beschränkt sich klar auf ein Thema. Die radi erscheint bundesweit, und die inhaltlichen Schwerpunkte wechseln ständig. Außerdem ist es ein gewaltiger Unterschied, ob du eine Zeitung legal oder illegal machst. Illegalität bedeutet miese Bedingungen, aus denen das beste gemacht werden muß, aber sie bestimmen immer unsere Möglichkeiten und jeden zweiten Handgriff. Verdeckt, sicher organisiert und dann noch bundesweit - so kann die radi z.B. nicht jede Woche erscheinen wie die "interim", und ist dann auch entsprechend weniger aktuell. Aber ich glaube, auch ohne das hätten wir keinen Bock darauf, sonst wäre keine Zeit zum Artikel besprechen und rumrecherchieren, und ohne diese Arbeit kriegst du selten genauere Diskussionen hin. Auch Auseinandersetzungen entstehen häufig erst beim Nachfragen und Sich-in-andere-reindenken. Wenn keine Zeit dafür da ist, häufen sich Sätze wie: Hier müßte es eigentlich weitergehen, aber ... Und dann ist die Auseinandersetzung schon am Ende, bevor sie begonnen hat, weil niemand was reinsteckt und macht.

KONKRET: Obwohl ihr ja auch sagt, daß es am besten wäre, wenn die Redaktion selber immer weniger Texte schreiben muß, und so auch weniger Verantwortung für den Inhalt übernimmt.

Hajo: Das bezieht sich darauf, daß wir die Redaktion als eine Art Übergangsjob sehen. Wir wollen ja nicht unsere Auseinandersetzungen anderen zum Fressen vorknallen, sondern anleiern, daß sich alle einmischen und verantwortlich fühlen. Der Zustand ist ja nicht so, aber als Utopie, als Wunsch, haben wir den schon so im Kopf.

Nina: Und daß wir an allen Ecken und Enden auch versuchen, bestimmte Konturen in die Diskussion reinzubringen. Wir schmeißen ja nicht alles Papier zusammen, und das wird dann eine Zeitung. Nach unseren Kriterien versuchen wir, Diskussionen in eine bestimmte Richtung zu lenken, von der wir uns konstruktive Ergebnisse versprechen. Beim Repressionsblock z.B. haben wir keine Lust gehabt, nur Szene-Prozesse reinzunehmen. Wir wollten gerade mal die ganze Alltäglichkeit der Repression ins Licht der geschätzten Öffentlichkeit rücken. Oder die Rassismus-Sexismus-Auseinandersetzungen in der Antifa. Wenn wir nur alles, was kommt, auch abdrucken würden, kommt nicht soviel bei rum. Mit vielen Sachen läßt sich erst dann was anfangen, wenn sich jemand damit beschäftigt und darauf eingeht.

Hajo: Wir provozieren auch bewußt, wenn uns was anstinkt. Zur Zeit haben wir viele Fragen und Kritik an Antifa-Strukturen. Wie gesagt, war in der Nr. 137 der Schwerpunkt Faschismus, und da mußten wir erstmal selber viel aufarbeiten und blicken. Das Problem ist, daß eine vorsichtige Kritik selten ernstgenommen wird, und wenn sie hart ist, wird sie oft als unsolidarisch verstanden. Aber dann gibt es wenigstens Reaktionen, auf die wiederum reagiert werden kann, und so entsteht vielleicht eine konstruktive Auseinandersetzung, aus der beide Seiten was lernen können. Leider läuft die Diskussion oft auch stellvertretend für viele, die ihr Maul nicht aufmachen oder gar nicht die Möglichkeit haben, sich Gehör zu verschaffen.

KONKRET: Das heißt aber, daß die Redaktionsarbeit für euch eine ziemlich wichtige Arbeit ist. In dem Interview mit dem ID klang es für mich so, als ob ihr's am liebsten hättet, wenn ihr nur noch Post sortieren müßtet und für die technische Herstellung verantwortlich wärt. Und jetzt sagt ihr, ihr wollt auch ein bestimmtes Programm realisieren und Akzente setzen, wie es Tradition linker Zeitungen ist.

Hajo: Unser Programm ist wohl, daß erstmal alle sich an dem Entwurf dafür beteiligen sollen und können...

Nina: Wir wollen doch nicht nur Diskussionen vermitteln, sondern auch praktische Schritte parallel dazu auf die Reihe kriegen. Das muß in unserer Situation immer organisiert werden und organisiert laufen. Das Interview mit dem ID sollte erklären, daß dieser praktische und organisatorische Aufwand uns soviel Kraft kostet, daß wir uns auch heute noch nicht so mit dem Inhalt der Zeitung befassen können, wie wir eigentlich wollen. Aber damit sind wir nicht zufrieden, weil wir den Anspruch ernst nehmen. Es geht uns nicht darum, daß einige tolle Papiere schreiben, und andere stehen am Rand und klatschen in die Hände und brüllen hurra.

Hajo: Je mehr Leute was dafür tun, desto mehr verändert sich das auch.

KONKRET: Das ist jetzt nicht nur eine allgemeine Aussage, sondern das beschreibt auch reale Verhältnisse?

Nina + Hajo: Ja!

KONKRET: "Radikal" ist ja die einzige Zeitung in der BRD, die die Kriminalisierung überstanden hat und in der Illegalität regelmäßig erscheint. Hat sie für euch einen Modellcharakter, mit dem auch experimentiert wird, was möglich ist und was nicht?

Nina: Ich hab bloß so wenig Bock auf Begriffe wie 'Modellcharakter'. Es ist für mich schon was Neues, und mir fällt auch kein anderes Beispiel ein, wo schon mal auf die Art und Weise sowas ausprobiert wurde. Aber ich fühl mich jetzt hier nicht als Modellantin, von wegen schaut auf mich, ich versuch hier grad ein ganz tolles Experiment. Mir geht's auch nicht besonders experimentierlustig zur Zeit. Ich hab das Gefühl, daß es in die richtige Richtung geht, und darauf kommt es für mich an.

Hajo: Wenn du dir anschaust, was so mit Zeitungen passiert ist - wenn sie den Herrschenden gefährlich werden, haut irgendwann die Repression rein, und die Zeitung verschwindet oder wird zum Untergrundblatt. Beides ist Scheiße, und wenn die radi derzeit noch mit 'Untergrundblatt' identifiziert wird, dann geben wir uns noch lange nicht damit zufrieden. Wenn jemand das mal ausprobiert und womöglich erfolgreich, dann hat das logisch Auswirkungen auf die legalen Zeitungen des Widerstandes. Erstmal ist es wichtig, eine erprobte Möglichkeit zu haben, etwas anderes als Aufhören, wenn die Bullen zuschlagen. Zur Not eben illegal, obwohl es dem Wesen einer Zeitung widerspricht. Und wenn es klappt, und eine illegale Zeitung dann auch kontinuierlich weiter erscheint, dann ist das wiederum ein Schutz für legale Zeitungen und Strukturen: Die Bullen müssen notgedrungen einsehen, daß eine Wiederholung der Methode gegen die nächste Zeitung zu demselben Ergebnis führen kann.

Nina: In der Geschichte der radi ist es ja so abgelaufen. Der ermittelnde Staatsanwalt war 1984 der Meinung, daß die radi nach dem Prozeß erledigt wäre. Vorher hat er den Bullen eine offene Observation empfohlen, damit die Leute das merken und abgeschreckt werden (trotz der mißlungenen Strategie wurde er nachher Vizechef des Verfassungsschutzes und ist heute abgesägt). Gegen die radi gab es mehrere Stufen der Repression, mit denen versucht wurde, die Zeitung plattzumachen. Erst wurden im Prozeß 84 angeblich Verantwortliche zu immerhin 30 Monaten Knast verurteilt. 86 kamen dann die bundesweiten Razzien gegen den Vertrieb der radi und knapp 200 Ermittlungsverfahren nach Paragraph 129a. Und neulich hatten wir Schiß, daß sie sich schon bis zur Auslandsadresse vorgearbeitet haben und sich dort vergreifen. Aber damit hat es sich. Jetzt können sie nur noch versuchen, das Ganze auszuheben. Wir haben genug Infos, daß sie dran sind, und versuchen es ihnen nach Kräften so schwer wie möglich zu machen. Bei der ganzen Aktion geht es uns längst nicht mehr nur um die spezielle Zeitung "radikal". Wenn das nur noch illegal geht, was wir richtig und notwendig finden, dann versuchen wir lieber einen illegalen Bumerang statt den Abgang.

KONKRET: Mir fällt bei der Lektüre von "radikal" auf, daß entgegen eurem Anspruch, umfassend Leute anzusprechen und keine Szenezeitung zu machen, die Themen ziemlich darauf beschränkt sind, was im autonomen Spektrum gerade Konjunktur hat: Antifa, Anti-IWF, Hungerstreik. Der gesamte Produktionsbereich taucht bei euch dagegen überhaupt nicht auf.

Nina: Das Wort 'Konjunktur' klingt mir ein bißchen abfällig. Das sind doch Themen, für die sich, ausgehend von einer aktuellen Betroffenheit, viele Leute interessieren, und gerade das sollte eine Zeitung dann auch aufgreifen können. Da sind die Chancen doch ganz gut daß die Betroffenheit bei möglichst vielen in einem radikalen Bewußtsein und in einer weitergehenden Organisierung mündet. Außerdem sehen wir diese Bereiche nicht so quasi im Besitz von autonomen Gruppen. Aber Autonome und radikaler Widerstand sind in diesen Bereichen verwurzelt, und das heißt, daß es hier eine konkrete Wirkung auf andere gibt, die sich beileibe nicht autonom nennen oder zum Widerstand zählen. Auch nach Tschernobyl, in Wackersdorf oder an der Startbahn war es doch so, daß diese Verwurzelung sich auf das Bewußtsein auch der betroffenen Bürger ausgewirkt hat.

Hajo: Wir können in der radi nicht einen Schwerpunkt aus dem Boden stampfen, der in der radikalen Linken, so wie wir sie mitkriegen, nicht verwurzelt ist. Die "wildcat" kann das, weil die Leute sich da auskennen und auch in die Fabrik gehen, weil sie genau dort was analysieren und verändern wollen.

KONKRET: Aber ihr sagt doch auch, wir schauen, was in der Provinz ist, recherchieren zur Situation der sozialen Gefangenen, dann könntet ihr sowas doch auch bezogen auf Lohnarbeit und Arbeitskämpfe machen.

Nina: Es gibt zwar viele Linke, die z.T. die übelste Lohnarbeit verrichten oder zum Sklavenhändler gehen, aber dieser Bereich wird fast nie thematisiert. Wenn wir aktive Leute wüßten, die in Streikkämpfen stecken oder Sabotage am Band organisieren, dann würden wir bestimmt nachfragen, ob sie ihre Erfahrungen nicht mal anderen vermitteln wollen, damit auch hier eine Diskussion entsteht und was Umfassenderes organisiert wird. Natürlich sind Parolen schön, wie z.B. am 1. Mai "Kampf im Stadtteil und in der Fabrik, ist unsere Antwort ..." und so. Wir wollen schon thematisieren, was wir für wichtige zukünftige Fragen halten, und dazu gehört klar auch die Umstrukturierung im Arbeitssektor und das vereinte Europa der Herrschenden. Das ist ja am 1. Mai auch so gewesen. Da haben auch viele Leute über die türkischen Jugendlichen geredet, und daß immer mehr ihren Haß rauslassen. Da kannst du mich auch fragen: Warum macht ihr nicht mal einen Erfahrungsbericht über deren Situation. Und ich kann nur zurückfragen, warum schafft es ein Maiplenum nicht, eine Organisierung auch mit türkischen Jugendlichen auf die Reihe zu kriegen. Und das Maiplenum kann die gesamte Linke fragen: Warum habt ihr trotz der internationalistischen Parolen kaum was mit den hier lebenden AusländerInnen zu tun. Das sind alles keine Fragen an Uns als Zeitung, sondern an die radikale Linke.

KONKRET: Wobei ihr ja ein Teil der radikalen Linken seid ...

Hajo: Da gibt's aber viele Teile, und das ist auch gut so. Dann gibt es eben "wildcat" und "radikal". Ohne den Anspruch, daß die eine Zeitung das leisten muß, wofür bei der anderen ziemlich viel Kraft draufgeht. Ist doch besser, bei weniger Themen relativ genau durchzublicken, als tausenderlei anzureißen. Das ist doch bei KONKRET genauso.

KONKRET: Die Frage ist doch, wie ihr als Zeitungsredaktion an Themen rangeht. Beschäftigt ihr euch hauptsächlich mit dem, was ohnehin geschrieben und erarbeitet wird, oder sagt ihr, es gibt für die radikale Linke zur Zeit ganz zentrale Fragen, wie die Entwicklung in den realsozialistischen Ländern oder eben auch im Produktionssektor in der BRD, zu denen wir auf jeden Fall eine Position entwickeln und veröffentlichen müssen.

Hajo: Es ist beides. Ich könnte dir sofort 10 weitere Themen nennen, die ich zentral finde. Dann machst du einen Teil in KONKRET oder im "Arbeiterkampf" oder in "wildcat". Aber dafür laufen andere Sachen nicht, die in der radi stehen, und da kann sich bestimmt was ergänzen.

Für mich, uns, ist es wichtig, da anzusetzen, wo praktisch etwas passiert, und nicht wegen einer Analyse oder Theorie sich auf etwas zu versteifen, wo kaum was entwickelt ist. Ich sag's mal zugespitzt: Es geht uns nicht darum, ausgehend von einer richtigen Theorie was aufzubauen, sondern dort anzusetzen, wo Widerstand schon da ist in den Köpfen der Leute. Wenn wir von Provinz reden, dann reden wir ja auch nicht vom Bauern Sepp, der eigentlich was machen müßte, sondern von Leuten, die nicht nur am Rummosern und unzufrieden sind und sich ansonsten zuknallen. Die suchen irgendwelche Ansätze, auch etwas zu tun. Und ob das im Bereich Bundeswehr ist, ob Arbeitssabotage oder Strommasten umlegen, das ist erstmal egal. Es geht darum, daß praktischer Widerstand gewollt wird, und dafür versuchen wir dann zu pauern.

KONKRET: Die Gefahr ist recht groß, daß dieser Ansatz in der Sackgasse landet. Traditionalistisch wie ich bin, denke ich, daß neben der Betroffenheit auch die Fähigkeit, von einer bestimmten Basis aus etwas zu verändern, Kriterium für die Mobilisierung von Widerstand sein müßte. Anfang der 70er Jahre haben die K-Gruppen das eine Extrem praktiziert: Sie haben darauf bestanden, jetzt sofort und nur die Arbeiter für den Klassenkampf zu agitieren. Das, was ihr sagt, und was ich auch ingesamt im autonomen Spektrum beobachte, scheint mir das andere Extrem zu Sein: zu sagen, wenn die Arbeiterklasse nicht revoltiert,`dann soll sie's halt sein lassen.

Nina: Du sagt hier locker, du bist traditionalistisch. Ich als Frau kann da nur sagen: eine schlechte Tradition für Frauen. Die sind immer verarscht worden. Warum fragst du nicht mal nach anderen Artikeln der letzten Ausgaben, wo es um Frauen ging, um bezahlte Lohnarbeit und unbezahlte Reproduktionsarbeit. Das ist ein Bereich, der von Leuten in bester Tradition massiv vernachlässigt wird. Wir haben doch was anderes gesagt: Wenn Leute in den Betrieben hocken, dann sollen sie das thematisieren und die konkreten Probleme beschreiben. Sonst wird permanent über Arbeiterklasse geredet mit dem frommen Wunsch, die soll sich endlich mal rühren. Wenn mal was Konkretes da ist, wird vielleicht endlich mal über die scheiß reaktionäre Struktur bei denen geredet, was für Typen das sind, was für Kerle das sind, daß du denen am liebsten nur noch in die Fresse haust. Wenn da auch andere bei sind oder Frauen, die sich nicht alles gefallen lassen, dann möchte ich das auch selber mal gerne erfahren.

Als es in Rheinhausen abgegangen ist, sind viele Leute, u.a. aus der Hafenstraße, dort hingefahren. Wir haben mehrere Diskussionen gehabt, ohne daß ein Artikel zustandegekommen ist, und später war in der radi dann doch ein zugeschicktes Flugi veröffentlicht, das Autonome in Rheinhausen geklebt haben. Mehr war nicht drin. Wir wollten zeigen, wir haben das wahrgenommen, und es ist uns wichtig, daß etwas beginnt. Mich persönlich interessieren andere Bereiche wesentlich mehr. Also, warum wird über den Reproduktionsbereich so wenig geredet, das ist ein äußerst untraditionelles Thema. Die Organisierung proletarischer Hausfrauen wird sich vielleicht erst in den nächsten Jahrzehnten abspielen, und eine Zeitung kann das sicherlich nicht herbeireden.

KONKRET: Ich denke, daß die aktuelle Krise in der radikalen Linken nur zu überwinden ist, wenn es gelingt, beide Bereiche zusammen zu sehen und nicht den einen gegen den anderen auszuspielen.

Nina: Krise der radikalen Linke ist auch so ein Schlagwort, mit dem ich wenig anfangen kann. Was ist denn so außergewöhnlich an der Situation? Bestimmte Kernfragen, wie z.B. eine Verankerung in der Bevölkerung erreicht werden kann oder wem wir unsere Aktionen vermitteln können und wem warum nicht, konnten auch Bewegungen nicht beantworten, die vergleichsweise viele Leute mobilisiert haben. Ich finde nicht, daß die Situation derzeit besonders krisenhaft ist. Wenn du hier wirklich was verändern willst, könntest du dich ohne Probleme in einer Dauerkrise befinden.

KONKRET: Auch wenn festgestellt wird, daß sich nichts verändert hat, also daß die Krise eine dauerhafte ist, kann man sich mit dieser Erkenntnis doch nicht begnügen.

Hajo: Ich finde nicht, daß sich nichts verändert hat. Wenn es z.B. mal eine Häuserbewegung gegeben hat, und du hast mit den Leuten zu tun oder kannst was nachlesen, dann kannst du auch aus den Erfahrungen schöpfen. Oder daß es hier eine Guerilla gibt oder gegeben hat, hat eine Menge damit zu tun, daß es jetzt militanten Widerstand gibt und worauf der aufbaut. Aufgrund von Bewegungen oder Kampfzyklen rückt eine bestimmte Sache ins Bewußtsein - und wenn es die Gründe der Niederlage sind. Ein Teil der APO z.B. hat versucht, durch die Institutionen zu marschieren, andere haben den bewaffneten Kampf aufgenommen, die nächsten Bürgerinitiativen gegründet oder in K-Gruppen mitgemischt. Aus allen diesen Wegen ist etwas geworden, eine Art linke Geschichtsschreibung. Und darauf kann ich heute zurückgreifen, obwohl ich es nicht erlebt hab. Ich weiß genau, warum ich Kaderpolitik ablehne, und warum ich keine Ziegen in der Idylle melke. Alles zusammen bewirkt, daß sich Abläufe und Kämpfe verändern - auch wenn sich individuell vieles wiederholt.

Nina: Du kannst immer auf Sachen aufbauen, die schon mal gewesen sind. Und dann ist aktuell wohl weniger die richtige Theorie wichtig, sondern daß die Kämpfe, und während du dich organisierst, aus gemachten Erfahrungen lernen. Du mußt dich von vornherein so organisieren, daß der Prozentsatz der Leute, die irgendwann aufhören oder sich integrieren lassen, so klein wie möglich ist. Das ist keine technische Sache oder eine Frage der stumpfen Disziplin. Mich interessieren eher die Gründe, warum aktive Gruppen immer wieder zerfallen. Es muß doch erstmal gehen, daß sich solche Gruppen halten und weiterentwickeln und auf ihrer Ebene, die sie für politisch sinnvoll halten, weitermachen. Wenn klar vermittelt werden kann, worauf es dabei ankommt, dann kann der großen Masse auch eine revolutionäre Kampfperspektive vermittelt werden. Dazu muß die Kollektivität, die Gruppen bieten können, wichtiger sein, als die Angebote des Systems, sich zu arrangieren. Nur so kannst du der Resignation von Niederlagen auf Dauer etwas entgegensetzen. Die Leute sind doch nicht plötzlich blöde im Kopf, bloß weil ihre Bewegung eingeschäumt oder zerschlagen wurde - viele geben auf, nichts sonst.

KONKRET: Mir klingt das zu optimistisch. Aus den Erfahrungen der Häuserkämpfe kannst du doch heute schwer praktische Konsequenzen ziehen. Angesichts des rot-grünen Senats in Westberlin werden doch schon Hausbesetzungen von vielen Leuten als nicht mehr legitim empfunden. Und am 1. Mai 1989 hat sich im Anschluß an die Auseinandersetzungen, die vor zwei Jahren noch viel Sympathie in der Bevölkerung hervorgerufen haben, eine ziemlich beispiellose Militantenhatz entwickelt.

Hajo: Daß viele Leute Besetzungen plötzlich nicht mehr legitim finden, halt ich für ein Gerücht. Das sagt vielleicht die "taz". Sogar ne Arbeitsgruppe der SPD erklärt Besetzungen für legitim, und dann frag mal rum bei den 10.000 Obdachlosen.

Nina: Die andere Seite ist, daß 10.000 Leute auf die revolutionäre 1. Mai-Demo gekommen sind. Die Gefühle der Leute haben sich unter einem neuen Senat nicht verändert. Natürlich bewirkt die Hetze was, und dann muß Gegenpropaganda laufen und die Plünderung von Supermärkten am besten jeden Tag.

KONKRET: Ich sehe auch, daß es die 10.000 Leute auf der Demonstration gegeben hat. Mir scheint aber, daß die Vermittlungsmöglichkeiten für die radikale Linke, obwohl sie zahlenmäßig wieder stärker geworden ist, gesamtgesellschaftlich abgenommen haben.

Hajo: Abgenommen, zugenommen. Für solche Einschätzungen fehlt mir im Moment der Überblick. Gerade bei einer Schleimerei wie rot-grün. Erst ein Riesengebrülle, und mittlerweile ist kaum noch was zu hören. Die AL stimmt den Sicherheitsgesetzen zu und macht überall einen Kniefall, wo sie sich nur beugen kann. Ich denke, das begreifen immer mehr, und die Hoffnungen schwinden entsprechend. Im Oktober ist ein Haus geräumt worden, da hat sich sogar der staatstragende Verein S036 aufgeregt, und die AL-Basis beschwert sich eh ständig bei ihren Chefs. Wenn parallel zu diesen Entwicklungen eine radikale Linke weiterexistiert, konfrontiert das viele mit ihren falschen Hoffnungen. Wenn du dich da dem Druck beugst und von der Bildfläche verschwindest, wäre das das Falscheste überhaupt, denn dann sind die realen Konflikte noch mundtoter gemacht. Es sind eher etablierte Kräfte, die Stimmung machen. Die haben den neuen Senat hinter sich, Vereine, Verlautbarungsorgane wie die "taz", Geld, Funktionsträger, Sanierungsträger usw. Ich denke, daß ist eine Minderheit auch in Kreuzberg, aber sie haben die Möglichkeiten, so zu tun, als ob sie Volkes Stimme wären. Wenn der Alltag wiederkommt, verkehrt sich das mit der Zeit. Und nach dem nächsten 1. Mai können sie sowas nicht wiederholen, wenn ihnen bis dahin überhaupt noch jemand zuhört.

Nina: Meinetwegen sollen bei denen die Widersprüche krachen, bis sie kotzen. Mir ist das zuviel Gerede auf so einer allgemeinen Ebene, und so wenig Reden über das, was konkret läuft. Für mich geht der praktische Aspekt, den so eine Diskussion in erster Linie haben muß, flöten. Dazu gehört Militanz, ob am 1. Mai oder sonstwo.

Wenn nach dem Hungerstreik alle vom gesellschaftlichen Dialog reden, dann find ich wichtiger, daß vor Ort auch wegen anderer Gefangener was praktisch organisiert wird.

KONKRET: Ich finde, die Linke ist - vom Büchertisch bis zur militanten Aktion - ziemlich emsig. Wenn aber nicht geklärt ist, wo die Auseinandersetzungen hinführen sollen, was wir in den letzten Jahren für Fehler gemacht haben und welche strategischen Orientierungen sich als untauglich erwiesen haben, hilft das recht wenig.

Hajo: Und ich finde, daß die Linke wesentlich emsiger diskutiert als handelt, wo es dringend nötig wäre zu handeln.

KONKRET: Wenn bei einem Konzept die Praxis auf Dauer immer das Dominierende ausmacht, kannst du doch in eine Mühle geraten, wo die praktischen Erfordernisse alles andere überdecken, oder du resignierst, wenn du wie jetzt beim Hungerstreik Niederlagen in erheblichem Ausmaß erleben mußt. Diese Perspektivdiskussionsfeindlichkeit...

Nina: Das machen wir jetzt immerhin seit 2 Stunden, also kann die Feindlichkeit ja nicht so groß sein.

Hajo: Eine Perspektive ist eine Entwicklung, und ich finde, sie ergibt sich aus der Praxis und der Theorie gleichzeitig. Sagen wir mal du hast den Hungerstreik unterstützt und es gibt kaum Erfolge, dann müßtest du das so gut aufarbeiten, daß beim nächsten Hungerstreik mehr gewonnen wird. Aber das war ja nicht der erste Streik, und daß die Unterstützung nicht gereicht hat, liegt in erster Linie am Kräfteverhältnis und nicht daran, daß die Theorie des gesellschaftlichen Dialogs oder ähnliche Argumentationen noch nicht richtig plaziert werden konnten. Im Moment hab ich eh den Eindruck, daß es in vielen Bereichen eine unausgesprochene Arbeitsteilung gibt: zwischen Leuten die praktische Sachen machen und anderen, die inhaltlich arbeiten. Und die Theorie hat ein ziemliches Übergewicht. Ich finde, indem du Widerstand machst, wird klarer, was bewirkt werden kann, also: Wo konntest du eine Schweinerei demaskieren, wo ist Öffentlichkeit geschaffen worden, oder wo ist eine Organisierung entstanden, die auch einen Gegenschlag ausgehalten hat. Und so festigt sich auch eine Theorie, besser: Sie bewährt sich, denn die muß ja einen Bezug zur Praxis haben. Aber sie entsteht nicht auf dem Reißbrett oder auf einem Kongreß, wie die 'Radikale Linke' das plant, und da kommen viele Leute hin und gehen mit Diskussionsergebnissen wieder auseinander, die sollen eventuell eingelöst werden. Und daneben gibt es die ganze Zeit Basisinitiativen und bestehende Organisierung, aber die kommt in den Vorträgen auf diesem Kongreß bestimmt nicht zu Wort. Ich find das eh eine Unverschämtheit, sich 'Radikale Linke' zu nennen. Wenn jemand sagt, ich bin radikal links - aber als Name, da hängt ein Vertretungsanspruch drin, mit dem dann dieser Kongreß veranstaltet werden soll. Ich hab da echt Mißtrauen, daß eine Menge Kraft und Gerede in eine Überbauorganisation gesteckt wird, statt bei den vorhandenen Sachen anzusetzen.

Nina: Das kannst du auch streichen.

KONKRET: Das laß ich drin!

Nina: Nein, das läßt du natürlich nicht drin!

KONKRET: Warum denn nicht?

Nina: Weil wir vorher besprochen haben, daß wir uns in dem Interview nicht abgrenzen.

KONKRET: Ich glaube, da hast du ein ziemliches Zerrbild von der 'Radikalen Linken' im Kopf. Im Kreis 'Radikale Linke' gibt es sowohl Leute, die eine ganze Menge praktisch gemacht haben, und welche, die tatsächlich im wesentlichen theoretisch arbeiten. Es fragt sich ja auch, was definierst du jetzt als praktische Arbeit.

Hajo: Etwas, was auf jeden Fall von unten kommt.

Nina: Oder von unten gedacht ist.

KONKRET: Würdet ihr sagen, daß "radikal" eine Zeitung ist, die von unten kommt?

Nina: Ja logisch. Sonst würd ich's sofort schmeißen. Worauf es mir ziemlich ankommt, ist, daß in der Diskussion das reale Leben, die Gefühle und auch Widersprüche rauskommen. Das sind doch mit die verbindendsten Sachen mit Leuten wie z.B. am 1. Mai, da hast du dieselbe Sauwut auf die Schweinebullen, und dann handelst du gemeinsam. Viele Linke schauen nach Italien, wie lebendig die Kämpfe dort abgelaufen sind, und hier ist es so stocksteif und bieder, daß die Linke eben nicht so diese Ausstrahlung hat. Ich finde wichtig, daß beim Widerstand ein Lebensgefühl rüberkommt, und das geht in bestimmten Diskussionen flöten. Du kannst die Theoriefeindlichkeit von manchen Autonomen kritisieren, auf jeden Fall haben sie es geschafft, ihren politischen Anspruch und ihr reales Leben ein Stück weit zusammenzubringen, und diesen Zusammenhang auf die Tagesordnung zu setzen. Wenn ich so einige gutbetuchte Theoretiker sehe und über Verweigerung im Alltag reden höre, da könnte ich schwören, daß die nie klauen müssen.

Hajo: Oder welche Leute auf die Idee kommen, vom Staat ein Existenzgeld fordern zu wollen. Das fordern die nicht für sich, sondern für andere.

KONKRET: Wobei ich denke, daß die persönliche Betroffenheit auch nicht der einzige Ansatz für eine politische Aktivität sein kann. Du kannst auch über eine theoretische Analyse zu etwas kommen. Dann zu sagen, das kannst du nicht machen, weil du in ganz anderen Verhältnissen lebst, find ich nicht so überzeugend.

Nina: So ausschließlich hab ich das auch nicht gesagt. Ich finde z.B. die Flüchtlingkampagne der RZ hervorragend. Das haben die auch selber gesagt, daß sie sich nicht einbilden, daß wegen ihres Ansatzes die proletarischen Massen plötzlich auf die Barrikaden springen. Trotzdem ist es für mich zukunftsweisend, weil die Flüchtlingsströme zunehmen werden und sich daran praktischer Internationalismus zeigen muß.

Hajo: Leute, die ein Existenzgeld fordern, wenn ich mir anschaue, was die sonst noch sagen, dann ist das für mich eher so ein Ansatz, wo sich welche zu Funktionären und Fürsprechern aufschwingen. Ich kann nicht sagen, daß alle von vornherein sowas im Kopf haben, aber ich bin mißtrauisch, weil bestimmte politische Ansätze haben sich einfach oft genug gegen diejenigen gekehrt, für die sie bestimmt waren. Die Grünen, die "taz" oder viele Vereine und SozialarbeiterInnen - die haben ja alle einen linken Anspruch zumindest mal gehabt. Nach ein paar Jahren kriegst du von denen so eins auf den Deckel - und zwar subtil - daß du dich dagegen wehren mußt, wie z.B. nach dem 1. Mai. Das ist doch alles keine Fata Morgana, diese Versuche, die Gegenwart in einem Theoriebild zu kanalisieren und dann soll was Gutes rauskommen, weil diese und jene theoretischen Regeln eingehalten werden. Aber das entsteht nicht von unten, sonst gäbe es ja eine Bewegung.

KONKRET: Wenn ihr z.B. in "radikal" Akzente setzt oder sagt, ihr wollt eine Diskussion in eine bestimmte Richtung bringen, dann ist das doch nur bei weiterer Auslegung eine Sache, die ausschließlich von unten kommt. Ihr habt doch die Möglichkeit, Artikel reinzunehmen oder nicht. Die Möglichkeiten etwas zu beeinflussen gibt es doch immer, wenn es irgendeine Form von strukturierter Oppositionsarbeit gibt.

Nina: Und wo ist das Problem?

KONKRET: Mein Problem ist das überhaupt nicht...

Hajo: Es kann passieren, daß wir auch wie Funktionäre draufkommen. Ich hoffe, daß dadurch, daß wir das ständig problematisieren und untereinander kritisieren, sowas nicht passiert. Wir achten ziemlich darauf, daß in der radi Sachen drinstehen, die nicht losgelöst von einer Basis sind. Ob das klappt, siehst du dann an den Reaktionen. Außerdem ist die radi für uns nicht einfach nur eine Zeitung. Sie wird nur gemacht und nur solange gemacht, wie sie von mehreren gemacht wird. Und was wir probieren ist ja gerade, daß nicht irgendwo eine Redaktion sitzt und woanders ein technischer Apparat, sondern, daß sich eine Struktur entwickelt, die ausfächert, so daß sie eben nicht von einer bestimmten Gruppe kontrolliert werden kann. Wenn diese Entwicklung zurückfallen würde, also wenn die Zeitung z.B. von einer Gruppe allein gemacht wird wie früher, dann würden wir das nicht mehr machen.

KONKRET: Was in euren Worten über Theoretiker anklingt, aber auch in eurem Interview mit dem ID, ist, daß es für euch eine Hierarchie politischer Tätigkeiten gibt, bei der die illegale, militante Praxis die höchste Stufe hat.

Nina: Es geht uns weniger um die Mittel, sondern um das Ziel. In erster Linie kommt es darauf an, daß immer mehr Leute im Rahmen ihrer Möglichkeiten auf eine Revolution hinarbeiten. Wie du das machst, ist erstmal dein Bier, und militanter ist nicht gleichbedeutend mit besser drauf. Da gibt es ganz andere Kriterien, z.B. was für ein Niveau die Auseinandersetzungen zwischen Typen und Frauen haben und wie ein Bewußtsein praktisch umgesetzt wird. Es geht uns einfach um Basisautonomie und Strukturen, wo Leute ihre Geschichte in die eigene Hand nehmen mit dem Ziel, hier zunehmend die Machtfrage stellen zu können. Was wir vorhin gesagt haben, hat nichts mit Theoriefeindlichkeit zu tun. Aber wir haben Abscheu vor Funktionärstum und vor Leuten, die rumreden und die Drecksarbeit an der Basis anderen Leuten überlassen, auf die herabgeschaut wird, weil sie sich nicht so geschliffen ausdrücken können. Oder die als doof belächelt werden, weil sie bei Diskussionen über Fordismus nicht mitreden können oder wollen. In der Geschichte war es doch eher so, daß die legale Linke sich von den Militanten abgegrenzt hat, statt daß umgekehrt gesagt wurde, ihr seid uns zu lasch. Dann fahren welche ein, und dafür wird ihnen noch ans Bein gepißt. Ich hab das Gefühl, man muß permanent beteuern, daß militante Aktionen oder Steine schmeißen nicht aus einem Avantgardedünkel kommen.

KONKRET: Wie ist euer Verhältnis zur breiten Öffentlichkeit? Im Zusammenhang mit dem "radikal"-Prozeß kritisiert ihr, daß im breiten öffentlichen Protest radikale Inhalte ziemlich verschwommen sind und außerdem selbst diese breite Öffentlichkeit keinen wirkungsvollen Schutz bietet, weil im "radikal"-Prozeß eine Verurteilung von Benny Härlin und Michael Klöckner trotzdem durchgesetzt werden konnte.

Hajo: Wir meinen das nicht so absolut. Öffentlichkeit hat einen Sinn, wenn sie die Herrschenden unter Druck setzt, und weil dadurch mehr Leute blicken, was hier gespielt wird. Aber wenn zu ausschließlich auf Öffentlichkeit gesetzt wird, dann paßt du dich zu sehr an. Das kann bedeuten, daß es ein überwältigendes Trara für ein falsches Ziel gibt. Z.B. die stark humanistische Argumentation beim Hungerstreik. Oder die stark auf die Person von Ingrid Strobl zugeschnittene Kampagne hat für mich viel damit zu tun, daß selbst in KONKRET von Henning Venske später versucht wird, ihre Unschuld über die Schuld in diesem Fall der RZ zu beteuern. In einem solchen Fall werden Linke gegen Linke ausgespielt, wenn der Staat das macht, ist es normal, aber hier find ich das einfach nur noch dreckig. Oder im "radikal"-Prozeß hat die Öffentlichkeit ihre Pressefreiheit eingefordert, und das hat den ganzen Konflikt verwischt und entschärft. Uns zumindest geht es überhaupt nicht um Pressefreiheit, weil es hilflos ist, wenn angesichts der vom Staat täglich geschaffenen Fakten auf irgendwo geschriebene Grundrechte gepocht wird. Außerdem haben sie in diesem Artikel 5 eh vorgesorgt, weil die Pressefreiheit eben durch andere Gesetze eingeschränkt wird. Das sind dann besonders Sicherheitsgesetze für die Bullen, also Gefahr für die öffentliche Ordnung und so.

Nina: Ich finde den Inhalt einer Mobilisierung genauso wichtig wie das Ziel, z.B. eine breite Öffentlichkeit zu erreichen. Auch wenn die Erfolgsaussichten im konkreten Fall vielleicht dadurch schlechter werden. Wenn sich Prominente in Mutlangen hinsetzen, dann wird vielleicht verhindert, daß ein Transport durchkommt, und die Bullen sind vorsichtig, weil die Presse da ist und berichtet. Aber wenn über Jahre Leute von unten kontinuierlich blockieren, ohne daß die Presse da ist, entstehen realistischere Erfahrungen, und die find ich wertvoll. Erfahrungen, die darauf aufbauen, daß Prominente dich davor schützen, abgeräumt zu werden, oder daß der Widerstand ohne sie chancenlos ist, die gehen in die falsche Richtung.

KONKRET: Nach Tschernobyl waren militante Aktionen gegen Strommasten fast ein Volkssport: Sogar die "taz" hat eine Sägeanleitung veröffentlicht. Andererseits hat es dabei auch schwere Unfälle gegeben, und in den Prozessen anderthalb Jahre später hat sich herausgestellt, daß sich zumindest einige Leute wenig überlegt haben, auf was für ein Terrain sie sich mit solchen Aktionen begeben. Worin seht ihr jetzt im Nachhinein die Verantwortung einer Zeitung wie "radikal", für die Militanz ja eine ziemlich wichtige Rolle spielt.

Hajo: Erstmal ist Militanz ein unverzichtbares Mittel, um revolutionäre Veränderungen herbeizuführen. Und dabei gibt es mehrere Erfahrungen und Verhaltensweisen, damit du weder dich noch andere gefährdest, damit du nicht einfährst, damit die Aktion eine politische Wirkung hat. Dazu braucht es Austausch und eine Diskussion zuerst unter den Leuten, die eine militante Praxis haben. Das läuft also nicht in der Öffentlichkeit ab oder in der "taz", und es gibt überhaupt so gut wie keinen Raum, in dem sowas stattfinden kann. U.a. deswegen ist die radi kriminalisiert und es für uns eine Selbstverständlichkeit, in der Zeitung bestimmte Erfahrungen und Tips zu veröffentlichen. Wir haben damit nicht im Kopf, Leute zu animieren, kurz mal einen Mast umzulegen, sondern es gibt die militante Praxis, eine persönliche Diskussion ist aber kaum möglich. Über die radi kann das laufen. Wir gehen also so ran, daß wir auf etwas aufbauen, was vorhanden ist, und daß die Veröffentlichung den Sinn hat, Wiederholungen und Fehler auch in diesem Bereich zu vermeiden.

Daß die Gefahr besteht, sich durch einen Lichtbogen zu verbrennen, ist erst nach dem Anschlag bei Frankfurt als Problem klargeworden. Es wäre jetzt falsch zu sagen, weil es Anleitungen gegeben hat, haben Leute das nachgeahmt. Der richtige Schluß daraus ist eher, so eine Gefahr früher zu überlegen und sie in genauere Anleitungen einzubauen. Wir haben auch Erfahrungen bei Klauaktionen, für den Bau von Mollis und UKW-Sender veröffentlicht. Oder die Bauanleitung für den Ausdreher für Autoschlösser, der sich äußerster Beliebtheit erfreut. Da könntest du jetzt auch sagen, den könnte ein Faschist nachbauen ...Wir können mit dem Abdruck nicht die Verantwortung dafür übernehmen, was damit passiert. Aber ich gehe davon aus, daß, wenn Leute die radi lesen, auch der Hintergrund und das politische Bewußtsein rüberkommen, mit dem die Anleitungen gedacht sind.

Nina: Das mit der "taz" ist bezeichnend. Die veröffentlichen eine Anleitung zum Strommastknacken, obwohl sie überhaupt kein Interesse daran haben, die Schlagkraft der Linken zu stärken. Irgendwie können sie sich aber nicht leisten, das zu übersehen. Dann laufen deswegen die Bullen in der "taz" auf, sie bringt große Berichte über Unfälle und angeblich durchgeknallte Jugendliche, und das alles wird zum Anlaß genommen, insgesamt militante Aktionen als sinnlos darzustellen. Aber das Problem ist ja nicht, daß es Anleitungen gibt, sondern wie Leute damit umgehen. Und wenn du die Anleitungen wegnimmst, dann werden weiter Aktionen laufen, weil das Bedürfnis ja da ist. Es ist auf jeden Fall richtig, dieses Wissen als Macht zu begreifen, mit der du verantwortungsvoll umgehen mußt. Aber einiges kommt mir vor wie im Schüler-Lehrer Verhältnis: nimmst den Kleinen die Anleitungen weg, dann e können sie's nicht mehr machen. Das ist Schwachsinn denn es gibt tausend Wege und Möglichkeiten, was zu machen, und die Veröffentlichung von Anleitungen soll J das eher koordinieren als ersetzen.

KONKRET: Wobei sich nach Tschernobyl doch gezeigt hat, daß diese Massenmilitanz nicht der große Sprung nach vorne ist. Die Anti-AKW Bewegung steht heute nicht besser da als vor Tschernobyl.

Hajo: Aber was weißt du von den Leuten, was die heute machen. Ich glaube nicht, daß alle in der Versenkung verschwunden sind. Vielleicht haben einige aufgehört, andere machen was gegen Munitionstransporte, die nächsten gegen Siemens oder Internationalismusarbeit oder sie besetzen Häuser oder organisieren sich als Frauen - was weiß ich darüber. Wenn du bei einer Sache gescheitert bist, ist es aufgrund der gemachten Erfahrungen vielleicht sinnvoller zu versuchen, in einem anderen Bereich anzusetzen. Ich finde, du mißt Erfolge zu ausschließlich an offensichtlichen Fakten und nimmst unscheinbarere Entwicklungen - also auch individuelle Erfahrungen meinetwegen über Jahre - gar nicht wahr.

Nina: Wenn nichts passiert, dann können natürlich auch keine Fehler gemacht werden. Die Mastaktionen haben eine Menge Nachfolgediskussionen ausgelöst, und wenn du dich solidarisch damit auseinandersetzt, dann kannst du auch was lernen und das überhaupt auf militante Aktionen übertragen. Aber solidarisch geht das nur, wenn du militante Aktionen an sich richtig und notwendig findest und nicht, wenn du gerade in diesem Bereich dir das ganze von weit außen betrachtest oder, wie die "taz" dein politisches Süppchen im Hinterkopf hast.

Hajo: Gerade wenn es dir so stark um Theorie und Perspektive geht, dann ist doch Massenmilitanz was total Wichtiges. Ich glaub zumindest nicht, daß wirklich wesentliche Veränderungen allein auf evolutionärem Weg erkämpft werden. Wenn dann trotz der Militanz vieler die AKWs nicht sofort abgeschaltet wurden, dann ist dieser Mißerfolg doch kein Beweis dafür, daß Massenmilitanz was Falsches ist. Im Gegenteil: Wie beim Hungerstreik und allen anderen Beispielen mußt du die Gründe rausfinden, damit es beim nächsten Mal besser klappt. Außerdem gibt es genug Beispiele, wo Massenmilitanz eine ganze Menge bewirkt hat, auch was ein radikales Bewußtsein betrifft. Z.B. die Militanz vor AKW-Baustellen, an der Startbahn oder während der Häuserkämpfe auf der Straße. Oder bei der Anti-Shell-Kampagne in Dänemark und den Niederlanden, wo die zielgerichtete Militanz vieler Gruppen eine Menge dazu beigetragen hat, daß sich Konzerne aus Südafrika zurückziehen mußten.

Nina: Über militante Aktionen wird in größerem Maßstab sowieso nur geredet, wenn Leute dabei einfahren oder verletzt werden. Mir kommt das oft so vor, als ob bewiesen werden muß, daß Militanz fehlerfrei ist. Bloß weil ich davon überzeugt bin, daß es ein notwendiges Mittel ist. Wenn die miesen Beispiele hochgehalten werden, entsteht schnell der Eindruck, Militanz wäre was Falsches und Aussichtsloses. Wenn es Fehler gibt, dann spreche ich diesem ganzen "taz"-Spektrum einfach das Recht ab, auch nur ein Wort dazu zu sagen. Die befördern ihren Nowakowski, obwohl der Typ ohne jeden Druck Leute namentlich bei den Bullen angeschwärzt und seine ganze Aussage auch noch auf üblen Vermutungen aufgebaut hat. In solchen Bereichen werden Fehler wie selbstverständlich akzeptiert, ohne daß jemand z.B. ständig rumbrüllt: Legale Politik bringts nicht.

KONKRET: Fehler bei militanten Aktionen haben in der Regel auch schlimmere Folgen als eine falsche Abstimmung bei den Grünen: sowohl für einzelne Leute, die dabei verletzt werden, als auch für die radikale Linke insgesamt, gegen die nach einer falschen Aktion leicht massiv Stimmung gemacht werden kann. Von daher werden da auch strengere Maßstäbe angelegt.

Hajo: Genau sowas mein ich, die strengeren Maßstäbe sind die Kriterien von Leuten, die sich eher durch militante Aktionen bedroht sehen, als durch die Repression des Staates. Ein Abstimmungsergebnis der Grünen war, daß sie in Hessen für die Anschaffung der neuen Wasserwerfer gestimmt haben. Einen davon hat später ein Bulle (geschwärzt) benutzt und Günter Sare totgefahren. Das ist echt nur ein Beispiel von vielen. Was in Parlamenten entschieden wird, hat wesentlich gravierendere Folgen als militante Aktionen. Sie sind bloß nicht so offensichtlich, weil sich die Folgen verzögern oder in anderen Ländern auftreten. Außerdem sind solche Fehler auch in der Linken wesentlich akzeptierter, denn es gibt ja viele, die ihren politischen Anspruch über die demokratische Mitbestimmung in den Institutionen einlösen wollen.

Ich finde, da wird eine Verhältnismäßigkeit total auf den Kopf gestellt. Die ganze subtile Gewalt in diesem System fällt dabei vollkommen weg. Was z.B. ein Konzern wie Daimler in Südafrika macht, rechtfertigt meiner Meinung nach tausend Bomben in all seine Niederlassungen auf der ganzen Welt. Und wenn es Verletzte gibt, dann fang ich nicht an grundsätzlich zu zweifeln, sondern find es gut daß welche erstmal versucht haben, diese (geschwärzt) anzugreifen.

Nina: Das Grundproblem ist, daß die positiven Beispiele und Erfahrungen mit Militanz nicht genug vermittelt werden. Das ist natürlich auch eine Frage des Kräfteverhältnisses, daß sie genug Möglichkeiten haben, dreist zu lügen und den Widerstand auszuschlachten. Und die Gegenpropaganda ist viel zu schwach. Reden und kämpfen, kämpfen und reden (alter Vietkong-Spruch).

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