Nette Chaoten von nebenan?

09.02.1991 | AutorIn:  Dr. Oliver Tolmein | Legale Linke

Veröffentlicht in: Konkret 02 / 91, S. 51: Die Hafenstraße nach dem Kündigungsurteil

Die Zivilkammer des Landgerichts Hamburg hat am 7. Januar das bundesdeutsche Mietrecht dem Geist der neuen Zeit entsprechend fortgeschrieben: Wer mit einer Person in einem Häuserkomplex wohnt, die einen pöbelnden Passanten mit Farbbeuteln bewirft, hat den Anspruch auf Wohnrecht dort verwirkt. Glaubt man dem Hamburger Senat, ist mit diesem Urteil, das die Kündigung des Pachtvertrages für die ehemals besetzten Häuser bestätigt, das Kapitel "Hafenstraße" in der Stadtgeschichte nahezu abgeschlossen, sind Ruhe und Ordnung, Glück und Wohlstand, Freiheit und Sicherheit in der Freien- und Hansestadt auf Dauer gesichert. Bürgermeister Voscherau (SPD) nennt das stolz eine "strikt rechtsstaatliche Lösung" - und erinnert damit, ohne daß ihm dafür vom undankbaren, weil unaufmerksamen Publikum applaudiert würde, daran, daß "rechtsstaatlich" eben kein Synonym für "gut und fair" ist, sondern bloß ein Hinweis auf die formale Korrektheit des Verfahrens. Der Schein wird also gewahrt, die Interessen des Staates werden aber durchgesetzt.

Im diesem Fall ist allerdings weder das eine noch das andere wirklich gesichert. Trotz des auf der Grundlage eines überaus phantasievoll konstruierten Pacht-Vertrages forsch gesprochenen Urteils sind die Häuser noch keineswegs zur Räumung freigegeben: Die Kündigung richtet sich nämlich gegen den Verein Hafenstraße und nicht gegen die Mieter der einzelnen Wohnungen. Um sie tatsächlich räumen zu können, bedarf es dutzender individueller Räumungsklagen. Der Verein Hafenstraße kann gegen das Urteil außerdem in die Berufung gehen.

Selbst wenn diese abgewiesen werden sollte und die Räumungsklagen eingeleitet worden sind, kann der Senat so aber nur einen Teilerfolg erzielen: Die Kündigung betrifft nur die Hälfte der Hafenstraßen-Häuser. Der eigentliche Schlüssel zum Erfolg der Senats-Politik sollen deswegen auch die Abrißverfügungen sein: Für einen Teil der Häuser stammen sie aus dem Jahr 1980 und werden mit deren Unbewohnbarkeit begründet - eine Behauptung, die die jahrelange, aufwendige Renovierungsarbeit der Bewohnerinnen und Bewohner geflissentlich ignoriert. Für die übrigen Häuser ist die Abrißverfügung neueren Datums und stützt sich auf den Bebauungsplan St. Pauli-Süd: Dort, wo heute die Hafenstraßenhäuser stehen, sollen demzufolge die Firmen Gruner und Jahr sowie Tschibo Büro-Häuser errichten. Nur: Tschibo hat mittlerweile in der Hamburger City-Nord gebaut, Gruner und Jahr ist vor kurzem in die neuen Räume am Baumwall eingezogen. Neue medienwirksame Version des Senats: Dort, wo heute die Hafenstraßenhäuser stehen, sollen Sozialwohnungen gebaut werden - um das zu ermöglichen müßte allerdings der Bebauungsplan geändert werden, damit verfielen aber auch die derzeit gültigen Abrißverfügungen.

Der wesentliche Unterschied zwischen diesem auch politisch motivierten Mietprozeß und traditionellen politischen Verfahren ist, daß die, die am Ende den Prozeß wahrscheinlich verlieren werden, nicht schon im Knast sitzen - sie haben es also, anders als der Senat, nicht so eilig, das letzte Urteil zu hören. Die Zeit, die sie noch haben, können sie nutzen, um für sich ein Hoch im Norden zu schaffen. Viel Hoffnung scheinen die Bewohnerinnen und Bewohner der Häuser dabei paradoxerweise auf die bundesdeutsche Presse zu setzen. Die Leute, die noch vor wenigen Wochen einschlägige Erfahrungen mit "stern"-Redakteuren gemacht haben, die als freie Mitarbeiter von Verfassungsschutz und Bundeskriminalamt über "die RAF in der Hafenstraße" phantasierten, haben sich jetzt entschlossen, die Öffentlichkeitsarbeit für ihr Projekt selber zu übernehmen und sind so zu den am liebsten vorgeführten Exoten der Saison geworden. Im NDR, der vor kurzem noch den über sich und seine Geschichte zu Tränen gerührten RAF-Aussteiger Werner Lotze bekennen ließ, plaudern plötzlich Leute aus der Hafenstraße über Stadtteilkultur, Sozialhilfe und ihre Szene. Im Deutschland-Magazin "Der Spiegel", der Ende letzten Jahres die Zigeuner-Plage zum Thema machte und auch sonst allzeit bereit ist, wenn eine Staatsschutzabteilung ihre Meldungen, sei es über die angebliche "Suicide Action" der RAF 1977 in Stammheim oder Fahndungsstorys gegen die RZ, lanciert wissen will, kommt neuerdings ein Kollektiv, die "Hafenstraße", zu Wort: "Unter dem Eindruck des Urteils gaben die Bewohner ihre bisher praktizierte pressefeindliche Haltung auf." Dort, wo noch vor Wochen RAF-Aussteiger Ralf Baptist Friedrich Reue bekunden durfte, lernen wir jetzt nette Nachbarn kennen: "Hafenstraße: Vor ein paar Tagen hatten wir eine Gruppe von Besuchern hier, vom Rentner bis zur Hausfrau. Die haben anfangs richtig gezittert, aus Angst, sie würden gleich einen Stein an den Kopp bekommen. Hinterher waren sie ganz verblüfft, daß wir keine Chaoten sind..."

War also alles nur ein Mißverständnis? Zehn Jahre Auseinandersetzungen um die besetzten, geräumten, besetzten, vermieteten Häuser in der Hafenstraße - ein Kommunikationsproblem? Dort wohnen keine Chaoten, Henning Voscherau, laß gut sein? Das wäre dann, nach dem sozialdemokratischen Wunder von 1987 das zweite in Hamburg - und waren wir vom ersten schon nicht sonderlich beeindruckt, möchten wir auf dieses zweite, bei dem Wein zu Wasser wird und aus Bürgerschrecks die mißverstandenen netten Militanten von nebenan, die vor ihren Häusern einen Ententeich anlegen und in ihnen alt werden wollen, gern verzichten - zumal diesem Wunder ein doppelter Irrtum zugrundeliegt: Das Problem der Hafenstraße ist nicht, daß die Bürgerinnen und Bürger der Stadt nicht wissen, wer wie und warum in den Häusern wohnt, sondern daß sie es nur zu gut wissen; Medien wie "Spiegel", "stern" oder NDR sind weder geeignet, noch haben sie Interesse daran, die dennoch notwendige Information und Aufklärung über Sinn und Zweck des Projekts und die Erfahrungen, die am Hafenrand z.B. in der Zusammenarbeit von UnterstützerInnen und BewohnerInnen gemacht wurden, zu vermitteln. Ihr Selbstverständnis als vierte Gewalt im Staat führt dazu, daß die Staatsanwälte aus dem "Spiegel"-Büro Zuarbeit für ihre Kollegen aus Karlsruhe leisten:

"Spiegel: Unterstützt dieser Kreis hier die Ziele der RAF und deren Mittel oder nicht?
Hafenstraße: Wir sind die Hafenstraße, und die RAF ist die RAF.
Spiegel: Das ist keine Antwort auf unsere Frage."

Weil darauf leider nicht der Einwand folgt, daß, wer dumme Fragen stellt, auch nur banale Antworten erwarten darf, bleibt nur zu hoffen, daß genauso überraschend, wie die Wende kam, auch das Ende dieser unterschiedslos freundlichen Presseplaudereien eintreten wird. Die Fragen, auf die zu antworten der Mühe wert wäre, müssen woanders gestellt werden: Es sind im übrigen die gleichen, mit denen sich auch die versprengten übrigen Linken herumschlagen. Für uns ist der Erhalt der Hafenstraße von einigem Interesse - nicht nur weil der Nicht-Abriß der Häuser und die bisher erfolglos gebliebenen Befriedungsversuche zu den wenigen Erfolgen zählen, die radikale Linke in den letzten Jahren erzielen konnten. Die Räumung der Häuser soll auch ein Kapitel Erfahrung und Praxis der staatsfeindlichen Opposition zerschlagen, das fortzuschreiben gerade jetzt wichtig wäre: Die Zusammenarbeit von Leuten aus den unterschiedlichsten Spektren, Gruppen, Initiativen und Zusammenhängen im Initiativkreis zum Erhalt der Hafenstraße und ihr gemeinsames Engagement mit deren Bewohnerinnen und Bewohnern hat sich zu einer produktiven Alternative zu der obsolet gewordenen traditionellen linken Bündnispolitik (benutzt du mich, benutz ich dich - auf die Zahl der Unterschriften kommt es an) entwickelt.

Zu verhindern, daß auch dieser Versuch zu einem von vielen wird, die unter der Rubrik "gescheitert" bereits summiert sind, ist ein Grund (neben anderen, die in KONKRET 11/90 nachgelesen werden können), der nicht nur Hamburgerinnen und Hamburger motivieren könnte, sich gegen die geplante Räumung der Häuser zu engagieren.

Was in den zahlreichen Gesprächen und Artikeln mit und über die Hafenstraße nicht zu lesen ist, die Auseinandersetzungen um "die RAF in der Hafenstraße", die Geschichte der Stadtpläne und die Bilder von der "stern"-Besetzung, ist im neuesten Hafenstraßen-Video "Selbst das kleinste Licht durchbricht die Dunkelheit" zu sehen. Streckenweise ist dieses auch für Veranstaltungen sehr empfehlenswerte Video ein richtiger Film und zeigt nicht nur talking heads. Bestellt werden kann es beim MPZ Hamburg, Thadenstraße 94, 040-4397259 (werktags 18-19 Uhr).

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