Propheten, authentisch

12.12.1995 | AutorIn:  Dr. Oliver Tolmein | RAF

Veröffentlicht in: Konkret 12 / 95, S. 22: Wie der Tragödie RAF die Farce der "Antiimperialistischen Zelle" folgt

Schon mal den Namen Paul Breuer gehört? Des Vorsitzenden der Arbeitsgruppe 13? Der so gewichtige Sätze sagt wie: "Nicht jeder Wehrpflichtige muß einen 30-Kilometer- Marsch mit Gepäck überstehen können." Oder: "Ich möchte, daß deutsche Soldaten mit einer überlegenen Bewaffnung in zukünftige, leider nicht verhinderbare Einsätze hineingehen können."

Paul Breuer ist aus Siegen, Hauptschullehrer, katholisch, hat gedient. Ein durch und durch durchschnittlicher, uninteressanter Mann also? Das sieht die Antiimperialistische Zelle aber ganz anders. Auf 16 klein und eng beschriebenen Seiten hat sie sorgsam Zitate aus den Reden des CDU-Politikers nebeneinander gestellt. Sogar Zwischenrufe werden überliefert: "Ich kann dem vollinhaltlich zustimmen, Herr Kollege."

Kein Zweifel: Der Mann ist nicht nur äußerst gefährlich. Er gehört ganz offensichtlich zu "den brd-eliten aus politik und wirtschaft", die "mit dem antiimperialistischen kampf dort konfrontiert" werden müssen, "wo sie wohnen und arbeiten". Vor allem wo sie wohnen, denn wo sie arbeiten, im Bundestag oder in einer Konzernzentrale, läßt sich nicht einfach ein Sprengsatz deponieren, der mit etwas Glück auch dann explodiert, wann er soll. "Unser Vorgehen beim Angriff vom 23.4. 95" - es ging gegen Dr. Blank. Kennen Sie Dr. Blank? - "ist in folgendem Sinne verallgemeinerungsfähig: a) ein Sprengsatz wird deponiert, der ausdrücklich als solcher gekennzeichnet ist; b) eine akustische Warnung kündigt die Explosion an. c) Es bleibt ausreichend Zeit zwischen dem Beginn der Warnung und der Explosion, um sich aus der Gefahrenzone zu entfernen. d) Die Entscheidung, ob der Angriff letztendlich am anvisierten Ort zur geplanten Zeit zu verantworten ist, stellt eine Gewissensentscheidung aller dar, die an der Durchführung des Angriffs beteiligt sind."

Weil es aber keinen Prüfungsausschuß gibt und die Gefahr, daß jemand, z.B. eines der Kinder der vorzugsweise aus dem Sauer-/Siegerland stammenden katholischen CDU-Politiker, nicht weiß, wie groß die Gefahrenzone ist, aus der es sich beim Ertönen eines akustischen Signals zu entfernen hat, baut die "Antiimperialistische Zelle" (AIZ) vor. Es gibt schließlich schlechte Erfahrungen, aus denen man nichts lernen will, genug: "Es kann passieren, daß die potentiell tödliche Bedrohung dort, wo der Angriff durchgeführt wird, nicht ernstgenommen wird - mit den entsprechenden Konsequenzen. Als z.B. die Guerilla am 19.5.1972 im Springerhochhaus zeitgeschaltete Sprengsätze verteilt hatte, wurde das Gebäude trotz rechtzeitiger Warnung nicht geräumt ..."

Was 1972 scharfe Kritik von links auslöste, der Anschlag, dessen Zielrichtung und Durchführung verworfen worden waren, dient der AIZ heute als lockeres Beispiel für: "Pech gehabt" und "selber schuld". Die RAF hatte nach diesem Anschlag, der zu wenig mehr als zu der Erkenntnis geführt hat, daß den "Kapitalisten der Profit alles, die Menschen, die ihn schaffen, ein Dreck" seien, damals immerhin noch bedauert, "daß Angestellte und Arbeiter verletzt worden sind". Die AIZ greift sich aber auch aus späteren Phasen des bewaffneten Kampfes mit traumwandlerischer Sicherheit die schlechtesten Erklärungen und fatalsten Aktionen als Bezugspunkte ihres eigenen Handelns heraus. Beispielsweise die von Ulrike Meinhof in Isolationshaft verfaßte Schrift "Die Aktion des Schwarzen September (der bei den Olympischen Spielen in München die israelische Olympiamannschaft als Geisel genommen hat, O.T.) /Zur Strategie des antiimperialistischen Kampfes", in der es heißt: "Brandt, Genscher, Merck, Vogel, Daume hatten nur ein Ziel, nur ja dem Moshe Dayan-Faschismus - diesem Himmler Israels in nichts nachzustehen... Israel vergießt Krokodilstränen. Es hat seine Sportler verheizt wie die Nazis die Juden."

"In ›Zur Strategie des antiimperialistischen Kampfes‹ hat die RAF gezeigt, was es heißt, die Realität, insbesondere die BRD-Realität, von einem antiimperialistischen Standpunkt aus zu erfassen", resümiert die AIZ reichlich 20 Jahre später. Und hebt gleich die nächste besonders gelungene antiimperialistische Aktion hervor: "Theorie und Praxis der RAF von 1972 - vor diesem Hintergrund hat am 13.10. das Kommando Martyr Halimeh mit der Operation Kofre Kaddum sein Leben für die Freiheit der Gefangenen eingesetzt - und genau deshalb ist das Kommando von der GSG 9 in Mogadischu angegriffen worden. Nadia Shehadah (nach der sich die AIZ in der Anfangsphase nannte, O.T.) starb im Kugelhagel." Daß das Kommando auch noch das Leben zahlreicher Mallorca-Urlauber eingesetzt hat, die sich auf dem Weg zurück nach Deutschland befanden - die AIZ verliert darüber kein Wort.

Kein Wunder, daß die Gruppe, die mit dem Slogan "Wir haben nichts zu verlieren. Zusammen kämpfen!" unterschreibt, auch in der Gegenwart an recht seltsamen Anschlägen und militanten Aktionen Gefallen findet. Die Attentate der Fatah/Revolutionsrat gegen die "Exponenten der Arafat-Clique" stehen ganz oben auf der Hitliste, gefolgt von Aktionen gegen die, Allah steh uns bei, "teuflische Siedlungspolitik des Staates Israel" und den nicht näher beschriebenen Anschlägen revolutionär-islamischer Gruppen in den Metropolen.

Gefallen hat der AIZ, daß sich "auch der russische Machtblock damit konfrontiert sieht, daß sich der antiimperialistische Krieg nicht auf die Peripherie begrenzen läßt". Besondere Verdienste hat sich in dieser Frage der tschetschenische Militante Schamil Bassajew erworben, "der mit der Besetzung von Budjonnowsk den Krieg nach Rußland" getragen hat. Daß der Krieg dort erstmal in einem Krankenhaus stattfand und selbst der gewiß nicht zimperliche General Dschochar Dudajev sich von dieser Geiselnahme distanzierte, kann die AIZ nicht erschüttern. Hauptsache, die Hauptkampflinie: Weltmassen gegen internationale Bourgeoisie, stimmt - "von Marokko bis Ägypten, von Palästina bis Tschetschenien und von Tadschikistan bis zu den Philippinen".

Während die Gruppe immerhin in der Lage ist, nach dem Anschlag auf den Präsidenten der Deutsch-Marokkanischen Gesellschaft, Volkmar Köhler, eine detaillierte, wenngleich recht idealisierende Analyse des Befreiungskampfes in der Westsahara zu verfassen, scheinen ihre Bemerkungen über die Lage in der ehemaligen Sowjetunion oder den antiimperialistischen Kampf in den USA von wenig Sachkenntnis getrübt. Sonst hätten die guten Kontakte zwischen den tschetschenischen Befreiungskämpfern, die nicht deswegen weniger reaktionär sind, weil sie Muslime sind, und den litauischen und lettischen Nationalisten die Antiimperialisten vielleicht ein wenig stutzen lassen. Und auch die demokratische Opposition des Landes, die der quasi-diktatorisch regierende Dudajev mit Waffengewalt in Schach gehalten hat, dürfte über die ökumenische Schützenhilfe, die ihre christlichen Brüder und Schwestern dem ehemaligen Luftwaffengeneral der imperialistischen Sowjetunion gewähren, erstaunt sein.

Daß die AIZ sich dagegen an der "islamischen Vorstellung von einem einfachen und gerechten Leben" freut, ist angesichts der einfachen und selbstgerechten Mittel, mit denen sie ihren Kampf führt, ohne weiteres einleuchtend. Überhaupt ist es faszinierend zu lesen, mit welcher Sorgfalt deutsche Militante, die sich sonst auf den einfachen Dualismus zwischen Metropole und Peripherie, zwischen dem Imperialismus und den Weltmassen berufen, zwischen "al-islam huwa al-hall", der "wilyat al-faqih"-Theorie, dem konservativen Staatsislamismus und der Islamvorstellung der "jamahiriya" unterscheiden.

Bei allem Verständnis für die Besorgnis der AIZ über den auch in der bundesdeutschen Linken verbreiteten, oftmals klischeehaften Anti-Fundamentalismus, scheinen doch die Empfehlung der Scharia als kulturelles Erbe, das für die Entwicklung einer egalitären Gesellschaft eingesetzt werden kann, und die einfühlsame Beschreibung des Koran als Werk mit "allgemeinen humanistischen und ethisch-moralischen Prinzipien" eher in den Vertiefungskurs "Religionen - gut gemeint" zu gehören als in Grundlagenpapiere über revolutionären Kampf. Und was sollen wir davon halten, daß "der revolutionäre Islam", wie er nach Auffassung der AIZ besonders bravourös in Libyen exerziert wird, als "Waffe für Freiheit und Gerechtigkeit" dient, während "die Gattung des Hadith, in der die Lebensführung des Propheten Muhammad nicht authentisch überliefert ist", abgelehnt wird? Kommt es künftig für revolutionäre Politik auf die "authentische" Überlieferung der Lebensführung von Propheten an?

Konkreter ist da schon die Erkenntnis, daß die "wilyat al-faqih"-Theorie des Ruholla Musawi Al-Khomeini "zur islamischen Revolution im Iran Ende der Siebziger Jahre und zum Sturz des Schah führte", womit sie aber, was die AIZ einfach gar nicht thematisiert, auch ein extrem autoritäres religiöses Regime geschaffen hat, für das sich zwar kurzzeitig auch Metropolenlinke erwärmen konnten, das heute aber allgemein als eher wenig empfehlenswertes Modell einer Revolution angesehen wird. Die deutschen Militanten erklären zwar auch, wie sich das gehört, daß sie "die Positionen dieser Gruppen nicht kritiklos übernehmen" - tatsächlich ist das aber an keiner Stelle erkennbar. Dabei wären insbesondere Leute, die wie die AIZ vorgeben, ihr praktisches und theoretisches Rüstzeug aus dem Konzept der "triple oppression" zu schöpfen, wahrscheinlich gut beraten, sich mit der Stellung von Frauen in islamischen Gesellschaften und speziell dem Iran analytisch eingehender zu beschäftigen. Aber da auch die Auseinandersetzung der "triple oppression"-Konzepte mit Antisemitismus (zumal in Deutschland) keinen auch nur ansatzweise erkennbaren Niederschlag in den zahlreichen Texten der AIZ gefunden hat, bleibt die Vermutung, daß die Militanten mit dem Schlagwort "triple oppression" vielleicht auch etwas ganz anderes meinen als wir aus dem nicht-familiären Zirkel der Nicht-Brüder und Nicht-Schwestern ...

Zu konstatieren ist insgesamt eine enorme Diskrepanz zwischen den teilweise beachtlichen Detailkenntnissen und dem Versuch, damit gleichzeitig das Verhältnis von Welt und Widerstand nicht nur zu erklären, sondern zu verändern. Auch in ihren Betrachtungen über Deutschland und die Entwicklung der Verhältnisse hierzulande verblüfft die AIZ damit, was von ihr alles angerissen, nicht analysiert und doch als gewichtiger Beleg für die Notwendigkeit und Möglichkeit ihrer Form von Politik angeführt wird: Kein Stichwort aus den politischen Auseinandersetzungen der letzten Jahre fehlt. Die Bioethik-Konvention wird kurz erwähnt, die Besorgnis der Parteien über die steigende Anzahl der Nicht-WählerInnen findet Beachtung, wir erfahren Zahlen über die in Anschiebeknästen Inhaftierten und bekommen das Kollektiv der kurdischen Militanten vorgestellt, "die den Krieg aus der Peripherie ins Zentrum tragen". Die Mitgliederverluste der IG-Metall werden erwähnt, Jutta Ditfurth wird zitiert, und es gibt einen kurzen Exkurs über israelische Grenzsicherungsmaßnahmen. Ein Sammelsurium von Fakten, Einfällen und Thesen, das Anlaß für alle möglichen Gedanken bietet, z.B. auch den eher kulturpessimistischen, daß "brd-›kultur‹" eine "mischung aus ethanol, rtl und tui" sei.

Warum daraus folgen soll, daß jetzt und hier bewaffnet gekämpft werden muß, wird nicht einmal ansatzweise deutlich. Warum es aussichtsreicher sein soll, eine Barrikade vor dem Haus eines GSG 9-Beamten abzufackeln als Schleyer zu entführen; wie ein Anschlag auf einen Hinterbänkler erreichen soll, was weitaus besser konzipierte Attentate auf die Spitze der deutschen Justiz und Wirtschaft nicht geschafft haben, man erfährt es nicht. Außer der AIZ, das machen die bislang vereinzelt erschienenen Texte in Zirkularen wie "interim" deutlich, ist davon auch sonst kaum jemand zu überzeugen. "Jede/r aus der linken Fundamentalopposition kann den antiimperialistischen Kampf in der BRD zur eigenen Sache machen - das haben wir in den letzten 3 Jahren mit unserer Politik Schritt für Schritt verifiziert."

Aber nicht alles, was verifiziert werden kann, sollte deswegen auch gemacht werden. Und nicht jede "eigene Sache" nützt dem Kollektiv.

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