RZ: Prozess zeigt autoritären Staat
12.03.2001 | AutorIn: Dr. Oliver Tolmein | Revolutionäre Zellen
Veröffentlicht in: taz Nr. 6403 vom 22.3.2001: Freiheit gibt es höchstens in der Nische
Heute beginnt vor dem Kammergericht Berlin ein Prozess, der zu Recht anachronistisch genannt werden könnte. Verhandelt wird gegen vier Menschen, die in den 80er- und frühen 90er-Jahren in den Revolutionären Zellen (RZ) aktiv und an Anschlägen beteiligt gewesen sein sollen. Einige der Taten sind verjährt, insbesondere jene, bei denen hohe Richter und Staatsbeamte zu Schaden kamen: Die RZ hatten auf deren Rolle bei der Abschiebung von Flüchtlingen hinweisen wollen. Die RZ selbst haben sich vor Jahren aufgelöst. Dass der Prozess dennoch zustande kommt, macht ihn zu einem Ausdruck des Zeitgeistes. Ermöglicht wird das Verfahren nämlich vor allem durch den Paragraph 129a StGB, der es zur schweren Straftat macht, "terroristische Vereinigungen" zu bilden und zu unterstützen - wie die RZ eine sein sollen. Belastet werden die Angeklagten ausschließlich durch die Aussagen eines Kronzeugen, der sich damit in seinem eigenen, vor kurzem beendeten Verfahren eine milde Strafe erkauft hat.
Der § 129a StGB war im Vorfeld des Deutschen Herbstes geschaffen worden, um RAF-Mitglieder und Sympathisanten des bewaffneten Kampfes mühelos verurteilen zu können - auch wenn ihnen keine Beteiligung an konkreten Straftaten nachzuweisen war. Heute, inmitten von Deutschlands Frühlingserwachen, erfüllt der Paragraph seine Funktion noch immer: die Strafverfolgung derer zu erleichtern, die den allgemeinen Lauf der Dinge allzu sehr stören. Nur dass mittlerweile ein Strafverteidiger zum Innenminister wurde, der 1976 selbst noch gegen diese Vorschrift Front machte. Und dass die Grünen, die als Oppositionspartei diese Vorschrift abschaffen wollten, nun Koalitionspartner sind und sich mit dem Paragraphen abgefunden haben - obwohl dieser so deutlich wie kein anderer symbolisiert, dass ein aggressives Bekämpfungsstrafrecht vordringt.
Bemerkenswert ist aber vor allem, dass die Kritik am 129a selbst sehr leise geworden ist, obwohl er die Strafbarkeit erheblich ausweitet und gleichzeitig als Anknüpfungspunkt für eine Vielzahl von bedenklichen strafprozessualen Überwachungsmaßnahmen dient. Denn Effizienz ist der Kernbegriff in der Debatte um Kriminalität. Dies passt in eine Zeit, in der die Fingerabdrücke aller Asylsuchenden erfasst sind, öffentliche Orte mit Videokameras überwacht werden und ernstlich erwogen wird, Gendaten aller Männer in Deutschland zu speichern. Da kann die Berufung auf Bürger- und Freiheitsrechte nur wie ein störender Eingriff in die Strafverfolgungsmaschinerie wirken, die ohne solche Einwände viel effizienter betrieben werden kann. Das Interesse ist geschwunden, sich auf Abwehrrechte gegen den Staat berufen zu können. Gerade weil sich der Sozialstaat auflöst, wächst die Zustimmung dafür, dass der Gewaltapparat die verdächtigen Mitmenschen in Schach hält.
Diese Entwicklung korrespondiert mit anderen gesellschaftlichen Vorgängen: In der Flüchtlings- und Ausländerpolitik etwa werden heute nicht mehr die Grundrechte der Menschen, die auf der Flucht sind, ins Zentrum der Öffentlichkeit gerückt. Auch Bündnis 90/Die Grünen plädiert für eine kontrollierte Einwanderung nur noch aus Gründen der ökonomischen Effizienz: Das deutsche "Wir" braucht Arbeitskräfte, und die älter werdende Gesellschaft verlangt nach leistungsfähigen jungen Menschen. Dass die Revolutionären Zellen - wenn auch mit strafbaren Mitteln - gerade diese Effizienz der deutschen Gesellschaft im Umgang mit Nichtdeutschen angeprangert und "freies Fluten" statt Ausgrenzung und Eindämmung gefordert haben, ist kein Zufall: Im Umgang mit "Fremden" entwickelt eine Gesellschaft ihr ganz besonderes Profil. Wenn hier nahezu unbeschränkt nur strenge Effizienzkritierien befolgt werden, dann sind auch sonst die Freiheitsräume allenfalls knapp bemessene Nischen. Wie knapp, darüber entscheidet der Generalbundesanwalt in Zusammenarbeit mit seinem Kronzeugen, wie sich im Verfahren gegen die vier angeblichen RZ-Mitglieder zeigt, die seit über einem Jahr in Untersuchungshaft sitzen. Hauptsache, das Strafverfolgungsinteresse wird befriedigt.
Doch über dieses Verhältnis von Bürgerrechten zur Effizienz wird im Verfahren vor dem Berliner Kammergericht nicht geredet werden. Der Strafprozess ist kein Ort, an dem eine Auseinandersetzung über die Entwicklung der Gesellschaft stattfindet - sie bildet sich darin nur ab.
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