Schmidteinander

12.08.1997 | AutorIn:  Dr. Oliver Tolmein | RAF

Veröffentlicht in: Konkret 08 / 97, S. 46: Vor Heinrich Breloers Fernsehfilm " Todesspiel" sind die Deutschen zu einer einigen großen Familie zusammengewachsen - mit einer ins Tragische gesäuberten Geschichte

"Weshalb Curd Jürgens gegen und Professor Grzimek für die Todesstrafe bei Terroristen ist", wußte der "Stern" am 22. September 1977 und klärte auf Der Schauspieler Curd Jürgens war gegen die Todesstrafe, weil sie "überhaupt nichts nützt". Der Tierfreund Bernhard Grzimek gab sich optimistischer: "Ja - weil sonst zur Befreiung gefangener Terroristen immer wieder Menschen getötet werden."

Die Todesstrafe wurde nicht eingeführt - aber von den "gefangenen Terroristen" gab es nach dem Deutschen Herbst auch nicht mehr viele zu befreien: Sie waren ganz von selbst gestorben. Wie - das konnte bis heute nicht aufgeklärt werden. Und doch wissen es nun alle, die es wissen wollen: Heinrich Breloer hat es ihnen in seinem TV-Zweiteiler "Todesspiel" gezeigt. Noch während um 0:38 Uhr die Nachricht von der Erstürmung der Lufthansa-Maschine "Landshut" durch die GSG 9 vom Deutschlandfunk ausgestrahlt wird, holt Andreas Baader aus einem Hohlraum in seiner Zelle eine Pistole, pustet den Staub ab, hält sie sich mit beiden Händen, die linke am Abzug, den Griff nach oben, von hinten an den Kopf, armer durch, setzt die Waffe noch einmal ab, feuert zweimal mit der rechten Hand in seiner Zelle umher - dann sehen wir ihn in einer Blutlache liegen.

Das Drehbuch für diese Szene hat Breloer, dem "leidenschaftlich genauen, also vorurteilsfreien Rechercheur", als der er in diesen Tage in beinahe allen Medien gerühmt wird, allerdings die Staatsanwaltschaft geschrieben: Bis ins Detail folgt er ihrer fast zwanzig Jahre alten Version, die mit dem Abschluß des Todesermittlungsverfahrens im April 1978 festgelegt wurde. Wie der ermittelnde Staatsanwalt umgeht auch der vermittelnde Regisseur Breloer alle offenen Fragen, verdeckt die Widersprüche und verschweigt die groben "Fehler" bei der Spurenuntersuchung.

Während etwa die Gutachter davon ausgegangen sind, daß der Griff der Waffe, mit der Baader sich erschossen haben soll, nach oben zeigen und Baader mit links geschossen haben mußte, weil nur so ein Abfeuern der Waffe ins eigene Genick erfolgen konnte, hat die Kriminalpolizei Stuttgart festgestellt, der Griff der Waffe müsse nach unten gezeigt und Baader mit rechts abgedrückt haben, weil nur das die Lage der Hülse des tödlichen Schusses erklärt. Auch das Gutachten, das nach kriminaltechnischen Untersuchungen an Baaders Wunde zu dem Ergebnis kam, die Waffe könne nicht aufgesetzt, sondern nur aus einem Abstand von 30-40 cm abgefeuert worden sein, erwähnt Breloer nicht, genausowenig wie das Verschwinden einer möglicherweise bedeutsamen Spur. Und die einzige Überlebende dieser Nacht, Irmgard Möller, hat der Regisseur, der, wie verbreitet wird, "bei allen Beteiligten recherchiert (hat)", weder befragt, noch wird sie in seinem Film auch nur erwähnt - sogar aus der Radionachricht, die am Tag danach über den Äther geht, ist sie sorgsam herausgeschnitten worden. "Der akribische Regisseur hat bewußt auf sie verzichtet, weil er ihren Beitrag für die Annäherung an die komplexe Wahrheit des heißen Herbstes nicht für relevant hielt", erläutert ein Reporter verständnisvoll.

Daß der akribische Regisseur vorsichtshalber auch auf andere "verzichtet" hat, deren Beiträge seinen Wahrheits-Komplex vielleicht weniger stimmig hätten aussehen lassen, und daß die, deren Aussagen Breloer nicht für relevant halten wollte, gerade jene sind, die auch die Bundesanwaltschaft nicht für glaubwürdig hält, weil sie mit ihr nicht so vertrauensvoll zusammengearbeitet haben, wie die "Todesspiel"-Kronzeugen Boock und Maier-Witt, ist zwar kein Zufall, aber auch nicht weiter wichtig. Niemand konnte ernsthaft erwarten, daß die ARD den riskanten Versuch unternehmen würde, tatsächlich aufzuklären, was in der Stammheimer Todesnacht geschehen ist.

Überraschend an Breloers aufwendiger Kolportage-Produktion ist nicht, daß - und mit welchen Mitteln! - er sich dafür engagiert, die Staatsversion der Ereignisse von Stammheim ein für allemal als alleingültig festzuschreiben, sondern wie er den Blick auf Hanns Martin Schleyer lenkt, den "Boss der Bosse", den SS-Mann, der sich aktiv an der Säuberung der Universitäten von "jüdischen und staatsfeindlichen Elementen" beteiligt hatte, der im Präsidialbüro des "Zentralverbandes der Industrie für Böhmen und Mähren" an der Organisierung der Kriegswirtschaft beteiligt war. Und der im Nachkriegsdeutschland beispielhaft für die Kontinuität der deutschen Elite stand, der im Kampf gegen die gewerkschaftliche Mitbestimmung als erster die Aussperrung praktizierte und 1973 den markigen Satz prägte: "Das Unternehmertum muß sich kämpferisch bewähren in Volk und Staat."

Die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" formulierte 1977 vorsichtig, daß Schleyer "der Sympathie und dem Mitleid des Volkes etwas entrückt (ist)". 1997 wird zusammengefügt, was zusammengehört: "Verdienstvoll ist Breloers Leistung, das Opfer Schleyer aus der Entrückung zu holen", lobt als späte Replik auf den zögerlichen "FAZ"-Kommentar des Jahres 77 jetzt der "Spiegel". Hans Brenner, der bei Breloer den Schleyer gibt, ist ein bedächtiger Sympathieträger. Aus dem hartem, von einem Schmiß gezeichneten Gesicht des Arbeitgeberpräsidenten, den ein Flugblatt der IG-Metall einmal knapp mit "Er ist so, wie er aussieht" charakterisierte, machen Brenner und die Maskenbildner ein nachdenkliches, vom Schicksal gezeichnetes Antlitz. So, wie es dann erscheint, paßt es zu Breloers Dramaturgie, die eben nicht, wie ein Rezensent euphorisch behauptet, auf "bewußtgemachte Geschichte" setzt, sondern immer, wenn es kritisch wird (bzw. werden sollte), in private Emotionen ausweicht. Die Interviewpassagen, die, dramatisch ausgeleuchtet, in Nahaufnahme Zeitzeugen ins Wohnzimmer holen, sind charakteristisch für Breloers Film. Sie stellen Nähe her und suggerieren Authentizität, verfälschen aber die Wirklichkeit, weil sie den Zusammenhang ausblenden, in dem die Akteure gehandelt haben und in dem sie sich heute legitimieren.

Die wenigen Minuten, in denen das "Todesspiel" die "Zeit von 1933 bis 1945" streift, sind charakteristisch dafür: Es geht nicht um die Wahrheit über Schleyer, nicht um die aufs Äußerste zugespitzte Situation, in der ein Mensch, der auch ein verhaßtes Symbol der Kontinuität deutscher Geschichte im 20. Jahrhundert und aggressiver Herrschaftspolitik ist, zum Opfer wird. Breloer interessiert sich für anderes: Er läßt Schleyers Söhne mit ernstem Blick in die Kamera sagen, zu Hause habe man "tabulos" über "die Zeit vor 1945" geredet, es habe "harte Diskussionen gegeben", aber der Vater sei eben "über vieles" nicht informiert gewesen. Die Witwe erinnert sich, ihr Mann habe "nicht einmal die Uniform" getragen.

Da hat Breloer mit viel Pathos bloß eine ganz normale Familiengeschichte aus dem Reich inszeniert: so nichtssagend wie die Konfrontation, die er im "Volksgefängnis" nachstellt. "Wie ihr so einfach weitergemacht habt nach 45, als wäre nichts geschehen", empört sich im Film ein Mitglied des Kommandos, und Schleyer hat darauf den Allerweltssatz parat: "Wer nicht dabei war, wird das nur schwer verstehen." - "Ihr wart die guten Söhne, er der böse Nazi-Vater?" fragt Breloer Peter Jürgen Boock und der nickt brav ab. "Ein Widerspruch, der immer schmerzen wird", attestiert die Kritik beruhigt: So floskelhaft läßt sich die Geschichte in die Gegenwart integrieren. Denn, Schmerzen hin oder her, der Vater ist längst nicht mehr so böse, die Söhne haben an Gutheit eingebüßt - im neuen Vaterland sind alle wieder eine große Familie. Die "FAZ" hat es auf den Punkt gebracht: Breloer habe einen "ästhetischen Akt der Wiedergutmachung" an Schleyer geleistet, "weil er dem Opfer eine Rolle zurückgab ... jene Identität und damit jene Tragik, die beim Zuschauer nach aristotelischer Lehre Mitleid und Furcht auslösen". - "Triumph einer Tragödie", tönt es auch in der "Süddeutschen Zeitung": "Die Zuschauer der Tragödie vergewissern sich in Furcht und Mitleid, in Angst und Schrecken der Legitimität ihres Zusammenlebens." Und in der "Taz" nimmt Mariam Niroumand prompt "Abschied von gestern" und trifft weit in der Vergangenheit einen neuen Freund: "Im Grunde war Schmidt Antigone; nur daß er seinen Bruder begraben mußte, obwohl er sich für Kreon und den Staat statt für das Blutgesetz entschieden hat. ... Mein alter Feind Helmut Schmidt, plötzlich verstehe ich, in welcher Lage er war."

So wenig das "Todesspiel" über den Deutschen Herbst erzählt, über Sympathisantenhatz, das rabiate gesellschaftliche Klima, über die Konfrontation eben nicht nur von RAF und Krisenstab, sondern von radikaler Opposition und staatstragender Mehrheit, so viel erzählt die Reaktion auf das Breloersche Machwerk über Deutschland 20 Jahre danach. "Das Fernsehereignis der letzten Jahre", wie die Presse jubelte, in dem weder die Nachrichtensperre noch die Selbst-Gleichschaltung der Medien im Herbst 77 erwähnt werden, hat eine Resonanz gefunden, die mehr als der Film selbst einen Eindruck davon verschafft, wie umstandslos die Öffentlichkeit hierzulande bereit ist, sich im Dienst fürs Große Ganze aufzugeben. Als habe ein ansonsten arbeitsloser Krisenstab die Rezeption des Films geplant, haben "Zeit", "Spiegel", "Stern", "Woche", "Welt", "Frankfurter Rundschau", "Hamburger Abendblatt", die Fernsehsender der ARD und die Hörfunk-Magazine, das "Neue Deutschland", "Taz", "FAZ", "Süddeutsche Zeitung", "TV today" und "TV Spielfilm" Breloers Werk gefeiert, gepriesen, in den Himmel gehoben. Die "Klugheit und Fortwirkungskraft dieses Films" ("ND"), das "Meisterwerk" ("SZ"), "Fernsehereignis des Jahres" ("FR"), "das größte Fernsehereignis seit Jahren" ("FAZ"), "der Höhepunkt dieses Fernsehjahres" ("Stern").

Der NDR widmete dem "Todesspiel" eine 45minütige Sondersendung, in der das geläuterte einstige RAF-Mitglied Peter Jürgen Boock vor dem damaligen Bundesjustizminister Hans-Jochen Vogel, seinem Ankläger Bundesanwalt Klaus Pflieger und dem Moderator Woynar zu Kreuze kriechen durfte. Einmal aber flackerte etwas auf, unvermittelt und folgenlos, das erklärte, warum es Breloer und seiner Öffentlichkeit so überaus wichtig ist, die jüngere und jüngste deutsche Geschichte zur Tragödie zu adeln. Der Moderator fragt Boock: "Die Väter damals (im Nationalsozialismus) konnten immerhin sagen: Wir haben für Deutschland gekämpft. Wofür haben Sie gekämpft?" - Boock: "Gegen Deutschland."

Dieser Kampf ist verloren. Jetzt soll die Erinnerung daran, daß es vor 1997 eben auch darum gegangen sein könnte, durch die gezinkten Bilder des "Dokudramas" überspielt werden. "Breloers Geschichte gehört zu den Erinnerungsvorräten unserer Lebensgeschichten. Sie hat das Gemeinwesen erschüttert. Es ist, in seinen Grundregeln bestätigt, mit skeptischem Selbstbewußtsein erneuert aus ihr davongekommen" (SZ).

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