Wurzel aus 129a:
07.10.1995 | AutorIn: Dr. Oliver Tolmein | Legale Linke
Werbung dritten Grades
"Es geht nicht mehr an, daß jeder, der gerade lustig ist und ›bauchmäßig‹ einen Stein werfen möchte, damit rechnen kann, von FreundInnen wie politischen GegnerInnen für einen Vertreter der Spezies der Autonomen gehalten zu werden ... wenn der einzige Inhalt einer Manifestation darin besteht, wie gefährlich wir aussehen, dann brauchen wir keine eigene Abschlußkundgebung." Die "autonome a.f.r.i.k.a.-gruppe/mittlerer neckar" schlägt einen scharfen Ton gegen die Gleichsetzung von Militanz und Radikalität an, die in nicht wenigen autonomen Kreisen gepflegt wird. Das hat, wie wir heute wissen, nicht nur in der Szene, sondern auch bei der eher am mittleren Rhein gelegenen Bundesanwaltschaft Anstoß erregt: Der Abdruck des Autonomen-kritischen Textes "Medien-Randale II" in der für "fünf Gräten" verkauften Ausgabe 148 der Zeitschrift "radikal" wird dort als "Sympathiewerbung für die ›RAF‹" verstanden. So steht es im Haftbefehl gegen einen der vier Männer, die am 13. Juni 1995 bei dem vom BKA sinnigerweise "Aktion Wasserschlag" getauften Großeinsatz gegen radikale Linke festgenommen worden sind und die sich seitdem in Untersuchungshaft befinden.
Zwar behauptet die Bundesanwaltschaft nicht, daß, wer ein kluges Wort schreibt, schon gleich für den "Terrorismus" wirbt, wer aber, wie die "autonomen a.f.r.i.k.a.n.e.r./.i.n.n.e.n.", zu begründen versucht, warum der Anschlag der RAF auf den Knast in Weiterstadt geeignet war, "den Unterschied zwischen ihrem Vorgehen und dem rechten Terror zu untermauern", gerät damit eben doch ins Visier der politischen Justiz, die es schließlich darauf anlegt, die gegenteilige Version zu verbreiten, daß nämlich die Morde an Flüchtlingen und Immigrantinnen und ein Anschlag auf einen Abschiebeknast zwei Seiten einer Medaille seien. (Was die Bundesanwaltschaft natürlich nicht daran hindert, den angeblich gleichartigen Terror ungleich zu behandeln und derzeit 105 Ermittlungsverfahren wegen Verstoßes gegen den 129a gegen Linke und nur fünf gegen Neonazis zu führen: Unser Rechtssystem soll ja nicht nivellierend wirken.)
"Die von uns entwickelten Überlegungen und Vorschläge haben einen Abschied vom Mythos ›Militanz‹ zur Voraussetzung. Danach führen wir zwar nicht mehr so häufig direkte Angriffe auf das System aus, allerdings erhalten wir die Chance, mit größerer Intensität an seinen ideologischen Grundlagen zu sägen." Wer an einer Zeitung mitarbeitet, die Wert darauf legt, z.B. solche Debattenbeiträge zu veröffentlichen, macht sich im neuen Deutschland "dringend verdächtig, sich als Mitglied an einer kriminellen Vereinigung zu beteiligen, die auf die Begehung von Straftaten, wie das Werben für eine terroristische Vereinigung, ausgerichtet ist" (Pressemitteilung des Generalbundesanwalts). Sollte es der Bundesanwaltschaft tatsächlich gelingen, eine Zeitung als eigenständige "kriminelle Vereinigung" zu verfolgen, würde das eine beachtliche Ausweitung der Einsatzmöglichkeiten der Paragraphen 129 und 129a StGB zur Folge haben, denn dann könnte schon das Verfassen eines Artikels, der sich kritisch mit dem Versuch der Bundesanwaltschaft auseinandersetzt, eine Zeitung zu kriminalisieren, als Werbe- und Unterstützungshandlung für eine "kriminelle Vereinigung" ausgelegt werden, die ihrerseits das Ziel hat, für eine "terroristische Vereinigung" zu werben: Und wer eine Werbung dritten Grades kriminalisiert, könnte auf die Idee kommen, um der höheren Effizienz willen auch die Werbung vierten, fünften oder sechsten Grades für strafbar zu halten.
Aber auch die Unterscheidung von Wort und Tat, von Diskussion und Aktion würde vollends aufgehoben, wenn das Drucken von Texten, die sich (kritisch oder nicht) mit Anschlägen oder militanter Politik auseinandersetzen, genauso verfolgt werden kann, wie die Organisierung und Durchführung der Aktionen selbst. Ein Aspekt, auf den auch "einige radikal-Gruppen" in einem Flugblatt hinweisen, das einige Wochen nach den Verhaftungen veröffentlicht wurde und das festhält, daß es keine feste Organisation gebe, die "radikal" "macht": "Zur bescheidenen Erinnerung: Wir machen und verteilen eine Zeitung."
Aber vielleicht ist es gerade das. Die Bundesanwaltschaft glaubt an die Macht des Wortes, und wie ernsthaft ihr Bedürfnis ist, eine linke Diskussion zu unterbinden, signalisiert sie mit der Behauptung, "radikal" habe einen "durchweg strafbaren Inhalt". Auch in den Haftbefehlen werden die erwähnten Texte, die eine "Unterstützung terroristischer Vereinigungen" darstellen sollen, lediglich beispielhaft erwähnt. Offensichtlich teilt der Ermittlungsrichter am Bundesgerichtshof die Meinung seiner Kollegen Bundesanwälte, auch die übrigen in den letzten fünf Ausgaben abgedruckten Texte seien strafbar. Am Beispiel der aktuellsten "radikal"-Ausgabe, der Nr. 152, wären damit verboten: Ein Text zum 8. März, dem "internationalen Frauen- und Lesbenkampftag", der sich vor allem mit der extremen Situation von Immigrantinnen in Deutschland beschäftigt; Debattenbeiträge, in denen Café Morgenland und Berliner Immigrant/inn/en die Reaktionen der Szene auf den Kaindl-Prozeß kritisieren; eine Beschreibung antirassistischer Arbeit vom Antirassismus-Büro Bremen; eine Bilanz der Repression gegen Kurdinnen und Kurden in Deutschland und in der Türkei; ein Aufsatz über Erziehung und Sexualität, der den Einfluß des Kapitalismus auf die Sexualität untersucht; ein Bekennerschreiben der Kabelbeißerinnen, die im Raum Kassel den Fernsehempfang unterbrochen hatten, um gegen die Verbreitung von Pornos durch die Telekom zu protestieren; ein Text über nichtkommerzielle Radios und die Dokumentation mehrerer Bekennerschreiben zu Aktionen gegen die rechtsextreme "Junge Freiheit"; ein Bekennerschreiben zu einer Farbbeutelaktion gegen den Polizeihauptkommissar Dommel, der für die Mißhandlung von Flüchtlingen verantwortlich ist; ein Diskussionspapier "Deutschland muß sterben, damit wir leben können" der Gruppe Hochverrat, die sich für antinationale Aktivitäten am 8. Mai stark macht und, last not least, O.L.G.A, ein Sammelsurium von Flugblättern, Prozeßerklärungen und Nachrichten aus der Szene.
Anders als die Bundesanwaltschaft glauben machen will, ist "radikal" nämlich vor allem ein Medium linksradikaler Diskussionen, dessen Herstellerinnen und Hersteller allerdings wenig vom staatlichen Gewaltmonopol halten und der rechten Aggression auch ganz praktisch etwas anderes entgegensetzen wollen als eine Soko Rex. Die Bombenbastelanleitungen und Brandsatztestberichte, die am Abend des 13. Juni die Zuschauer der Nachrichtensendungen auf allen Kanälen davon überzeugen sollten, daß der Bundesanwaltschaft ein Schlag gegen eine hochgefährliche Organisation gelungen sei, mußten aus dem schon leicht angestaubten "radikal"-Archiv der 80er Jahre hervorgekramt werden, als Feuer und Flamme noch als probate Mittel im Kampf gegen den Staat galten und nicht das Leben von Flüchtlingen bedrohten.
Die Staatsaktion vom 13. Juni gegen "radikal", "AIZ", "K.O.M.I.T.E.E." und "RAF" ist allerdings nicht nur ein Versuch der Bundesanwaltschaft, in Erinnerung zu rufen, daß der Feind auch dann noch links steht, wenn dort fast niemand mehr zu sehen ist. Schon die Wahl des Datums für die "Aktion Wasserschlag" zeigt, daß es der Staatssicherheitsbehörde auch darum zu tun ist, eine alte Rechnung zu begleichen: Am 13. Juni 1983 waren Benny Härlin und Michael Klöckner verhaftet worden, weil die Bundesanwaltschaft ihnen zur Last legte, sie seien presserechtlich verantwortlich für die zu diesem Zeitpunkt noch legal produzierte "radikal", der auch damals schon Werbung für "terroristische Vereinigungen" vorgeworfen wurde. Was für den Staatsschutz so verheißungsvoll begann, endete mit einer politischen Niederlage auf fast allen Ebenen. Klöckner und Härlin erhielten nach massiven öffentlichen Protesten gegen Zahlung einer Kaution Haftverschonung. Der Richter, der sie 1984 zu 2 1/2 Jahren Haft verurteilte, stürzte noch am gleichen Tag volltrunken die Treppe des Kammergerichts hinunter und landete mit Schädelbruch im Krankenhaus. Klöckner und Härlin wurden dagegen im Mai 1984, passend zum Geist der Zeit, als Abgeordnete der Grünen ins Europaparlament geschickt.
Die "radikal" erschien, nachdem sie vorübergehend eingestellt worden war, wieder; sie wurde seitdem aber verdeckt produziert und war nur noch über eine wechselnde Adresse im Ausland zu erreichen. 1990 kassierte der Bundesgerichtshof dann auch noch das Urteil von 1984 - mit einer überraschenden Begründung, die aber kaum jemand zur Kenntnis nahm, weil die Linke längst marginalisiert war und mittlerweile der freundliche Umgang der Justiz mit den Nazis die Aufmerksamkeit der Medien auf sich zog. Der Tatbestand des "Werbens für eine terroristische Vereinigung" müsse eng ausgelegt werden, forderte der BGH, der bloße Abdruck von Bekennerschreiben reiche nicht aus, es müsse unterschieden werden zwischen dem Werben für "diese verbrecherische Vereinigung" und "Sympathie für ... den von ihr ausgeübten Anschlag", das gelte insbesondere, weil die "›radikal‹ eine publizistische Plattform für die Selbstdarstellung aller ›antikapitalistischen‹ Gruppen schaffen wollte".
Auch die Ermittlungsverfahren gegen 192 Personen, die auf Betreiben der Bundesanwaltschaft in den Jahren 1986/87 vor allem gegen Buchhändlerinnen und Buchhändler, die die "radikal" verkauft haben sollen, eingeleitet worden sind, endeten für die Helden der Inneren Sicherheit eher enttäuschend: In den wenigsten Fällen wurde überhaupt Anklage erhoben, 26 Verfahren sind nach Anklageerhebung eingestellt worden, sieben Angeklagte wurden freigesprochen und fünf zu Bewährungsstrafen zwischen sieben und zehn Monaten verurteilt. Insgesamt hat der Generalbundesanwalt seit Gründung der "radikal" 150 Ermittlungsverfahren gegen das linke Projekt eingeleitet, ohne es bislang wirklich zum Verstummen bringen zu können.
Das aktuelle Verfahren ist allerdings in mancherlei Hinsicht das seit dem Klöckner/Härlin-Prozeß brisanteste: Zum ersten Mal beschuldigt die Bundesanwaltschaft Leute, an der Herstellung der "radikal" beteiligt zu sein. Sie stützt sich dabei im wesentlichen auf die Ergebnisse einer Überwachungsmaßnahme des Landeskriminalamtes Rheinland-Pfalz von 1993, die die gegenwärtige scharf geführte Diskussion über den "großen Lauschangriff" absurd erscheinen läßt. Denn der schwerwiegende Eingriff in das Grundrecht auf Unverletzlichkeit der Wohnung, der nach der geltenden Strafprozeßordnung nicht erlaubt ist und gegen den die (noch) amtierende Justizministerin, so gut sie kann, Stellung bezieht, ist in diesem Fall bereits in erheblichem Umfang durchgeführt worden.
Im September 1993 wurden in einem Haus in der Eifel geführte Gespräche vom Landeskriminalamt Rheinland-Pfalz überwacht und mitgeschnitten. Die rechtliche Grundlage dafür war ein Gerichtsbeschluß, der auf den Paragraphen 25b des Rheinland-Pfälzischen Polizei- und Ordnungsbehördengesetzes von 1988 verweist. Danach ist die "verdeckte Informationserhebung" nicht nur, wie in anderen Polizeigesetzen, zur Gefahrenabwehr möglich, sondern auch "zur vorbeugenden Bekämpfung der in Paragraph 100a StPO genannten Straftaten": Eine Umgehung also der restriktiveren Regelungen der Strafprozeßordnung selber. Die Behauptung, daß derartige Befugnisse dadurch eingeschränkt würden, daß die Abhöraktionen einer richterlichen Anordnung bedürfen, erweist sich im rheinland-pfälzi-schen Fall als wenig stichhaltig: Das Gericht hat der Polizei die Erlaubnis zur Totalüberwachung des Hauses und aller Aktivitäten, die sich darin abspielten, ohne viel Federlesens erst für sechs, dann für weitere acht und schließlich für nochmals zehn Wochen gegeben.
Auch die Erkenntnisse der Polizei, die zu diesem Eingriff in die Grundrechte geführt haben, können nicht allzu fundiert gewesen sein, denn der Lauschangriff zielte nicht etwa gegen die tatsächlich abgehörten Personen, sondern gegen mutmaßliche Mitglieder der RAF, die dort angeblich ihre Treffen abhalten sollten. Folgerichtig beschäftigt sich der Haftbefehl ähnlich ausführlich wie mit den angeblichen Taten der Beschuldigten mit der Frage, inwieweit die in der Eifel gewonnenen Erkenntnisse überhaupt verwertet werden dürfen. Die Ermittlungsbehörden haben Glück, "Zufallsfunde" unterliegen nahezu keinem Verwertungsverbot - was es attraktiv erscheinen läßt, auch weiterhin auf Verdacht mit Methoden wie dem Lauschangriff in die linke Szene hinein zu ermitteln. Die in der Eifel gewonnenen Erkenntnisse sind eher dürftig: Den Inhaftierten wird weder zur Last gelegt, Texte für "radikal" selbst verfaßt zu haben, noch in irgendeiner Weise presserechtlich verantwortlich für sie zu sein. Sie sollen vor allem den Vertrieb des Blattes organisiert und dafür an konspirativen Treffen teilgenommen haben.
Die angebliche Konspirativität des Verhaltens der Beschuldigten dramatisch zu schildern ist der Bundesanwaltschaft, die jahrelang alles getan hat, um zu verhindern, daß "radikal" auch ohne Zuhilfenahme konspirativer Verhaltensweisen hergestellt werden kann, ohnehin ein wichtiges Anliegen: Darauf stützen sich nicht nur der Haftbefehl wegen Verdunklungsgefahr, sondern auch eine Vielzahl von Haftverschärfungen wie Trennscheibe und Besuchsverbote. Dabei muten die wenigen Anhaltspunkte für das "hohe Maß an Konspirativität", mit dem die Angeschuldigten gearbeitet haben sollen, eher bescheiden an: Sie sollen beispielsweise "Informationen verdeckt und unter Verwendung von Codewörtern austauschen" (GBA-Stellungnahme). Das Maß an Verschlüsselung, das damit erreicht werden kann, ist bereits an der Qualität der angeblich verwendeten Codewörter zu erkennen: "Fraß" oder "Fete" für "Treffen"; "Herd" für "Druckerei"; "cool" für "unverdächtig" oder "Flut" für Erstverteilung der Zeitung; "Ente" für "radikal". Der Generalbundesanwalt bittet zu Tisch, aber der Herd bleibt heiß und die Ente ist zu zäh. Schlechte Zeiten für den Koch, auf welcher Seite er auch immer stehen mag.
Von Oliver Tolmein und Bertram Rotermund gibt es einen 30minütiges Dokumentarvideo über die Verfolgung der "radikal": "Happy birthday, Haftbefehl", der wahrscheinlich einzige Film der Welt in dem ein Mitarbeiter von "radikal" und der Sprecher der Bundesanwaltschaft interviewt werden. Das Video kann über die Medienwerkstatt Freiburg bezogen werden.
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