50 Jahre Menschenrechte

09.12.1998 | AutorIn:  Dr. Oliver Tolmein | Internationales Recht

Empfang in der Beletage

Veröffentlicht in: Jungle World 9.12.1998

Eine schönere Feier mochte sich kaum ein Kommentator in der westlichen Hemisphäre vorstellen: Die Menschenrechte werden 50 und der ehemalige Diktator Pinochet kommt vor Gericht. Zum Jubiläum ein beachtliches Ergebnis, ein Signal, daß sich Diktatur nicht lohnt, daß die gerechte Strafe künftig auch den Herren der organisierten Makrokriminalität droht. Die Menschenrechte können sich freuen und ihren Einstand in die reiferen Jahre zufrieden feiern. Und nach der so energisch überstandenen Midlife-crisis hoffen, daß sie im nächsten Jahrzehnt nicht von einer der chronischen Alterskrankheiten in den Ruhestand gezwungen werden: Arthrose, Alzheimer, Arteriosklerose.

Während die regierende politische Klasse in der westlichen Welt und ihr Anhang sich so am eigenen Erfolg freuen können, fällt die Begeisterung auf anderen Etagen und in anderen Regionen deutlich gedämpfter aus. Nicht nur hat die politische Repression in vielen Staaten eher zu- als abgenommen - Frauen in Afghanistan, die politische Opposition in der Volksrepublik China oder Schwule im Iran werden kaum bemerken, daß sich ihre Lage verbessert hat.

Auch diejenigen, die die Flucht aus den Verhältnissen, die sie rechtlos lassen, wagen, denen sie gar gelingt, werden in ihren Zielländern kaum besser gestellt. Wenn sie nicht bereits beim Versuch, die Grenze zu überqueren, sterben, wenn sie nicht sofort nach dem Aufgriff von der Staatsgewalt zurückgeschoben werden, landen sie in Haft, werden erfaßt, registriert, erhalten bestenfalls einen Unterhalt, der unterhalb des ansonsten staatlich garantierten Existenzminimums liegt - und auch mit den grundlegenden Menschenrechten sieht es schlecht aus: Freizügigkeit, Handlungsfreiheit, ja nicht einmal die Freiheit von staatlicher Verfolgung und Mißhandlung wird ihnen faktisch in den Polizeirevieren der westlichen Welt garantiert.

Während die Menschenrechte in der öffentlichen Diskussion als bare Selbstverständlichkeit akzeptiert sind, zur juristischen Verfolgung derer, die sie offen und vieltausendfach mißachtet haben, beachtliche Anstrengungen unternommen werden, sind sie als praktisch wirkende grundlegende Rechte für Menschen längst entwertet. Und das gilt nicht nur für Flüchtlinge: Zur gleichen Zeit, da allerorten der Stolz über das in der Auseinandersetzung um Menschenrechte an Zivilisationsarbeit Geleistete jeden Skeptiker zum Miesmacher stempelt, bricht sich der Diskurs Bahn, der nicht mehr Menschen, sondern Personen zum Bezugspunkt des politischen Handelns wählt, der nicht mehr die Rechte, sondern statt dessen die Interessen sichern will.

Der Siegeszug der Bioethik, die gerade nicht mehr durch den Gedanken von Gleichheit geprägt ist, sondern deren Bezugspunkt Notstands-Situationen sind, in denen bei der Verteilung angeblich oder tatsächlich knapper Ressourcen nicht irgendwelche Güter, sondern Leben und Unversehrtheit zur Disposition gestellt werden, leitet den Abschied vom traditionellen Menschenrechtsverständnis ein.

Der Siegeszug der Idee der Menschenrechte auf staatlicher Ebene und die sich abzeichnende Niederlage des Konzepts Menschenrechte in der westlichen Gesellschaft ergänzen sich gleichwohl: Beide Tendenzen sichern die bestehenden Verhältnisse ab, ermöglichen ihre Modernisierung. Die machtvollen westlichen Staaten wissen sich bei militärischen und juristischen Interventionen zur Sicherung der Menschenrechte legitimiert, die Grenzen der nationalen Souveränität zu überschreiten. Das Menschenrechtskonzept sichert ihnen einen erheblich größeren Handlungsspielraum nach außen. Durch das Ende des Ost-West- Konfliktes brauchen sie sich auch um praktische Begrenzungen keine Sorge mehr zu machen.

In den Gesellschaft selber sichert die Hinwendung zu Personen-Interessen die erwünschten Optimierungsprozesse ab - eine Entwicklung, die dadurch begünstigt wird, daß sie nicht mit Gewalt durchgesetzt zu werden braucht, sondern als geradezu logische Fortsetzung der zivilisatorischen Praxis wirkt. In Gesellschaften, in der selbst die Tötung ihrer selbst (wegen zu geringer Leistungsfähigkeit) zu einem von immer mehr Menschen geforderten Grund-Recht wird, ist das gesellschaftliche Störpotential, das von der Idee der Menschenrecht ausgehen könnte, minimiert.

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