Bundestagsdebatte über Hassdelikte

19.01.2012 | AutorIn:  Dr. Oliver Tolmein | Recht

Rot-schwarz-gelbe Koalition gegen SPD-Entwurf

In der Bundestagsdebatte am 19.1.2012 gab es viel berechtigte Kritik am SPD-Entwurf zur Reform der Strafzumessungsvorschrift §46 StGB, aber keine überzeugende Antwort darauf, warum man ihn nicht einfach verbessert, statt ihn abzulehnen .

„Ob jemand einem deutschem Rentner oder einem Polizisten mit Migrationshintergrund den Schädel einschlägt, macht keinen Unterschied: beides sind menschenverachtende Gewalttaten,“ hielt Raju Sharma von der „Linken“ in der Bundestagsdebatte am frühen Donnerstagabend dem SPD Abgeordneten Burkhard Lischka entgegen, der kurz zuvor den besonderen Unrechtsgehalt rassistisch motivierter Gewalttaten, die sich nicht nur gegen Einzelne richten, sondern die einer ganzen Gruppe von Menschen Furcht einflößen sollen, herausgestrichen hatte. Die Frage, ob sogenannte Hasskriminalität im Strafgesetzbuch besonders hervorgehoben und mit höheren Strafen geahndet werden soll und wie das am besten zu machen wäre, wird seit einigen Jahren von Rechtspolitikern kontrovers diskutiert. Mehrere Gesetzentwürfe, die teilweise auch die Einführung neuer Straftatbestände vorgesehen haben, sind bereits gescheitert.

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In der ersten Lesung des Gesetzentwurfes sah sich die SPD von allen anderen Fraktionen des Bundestages dem Vorwurf ausgesetzt, sie betreibe mit ihrem Vorschlag symbolische Rechtspolitik. Während vor allem der FDP-Rechtspolitiker Jörg van Essen auch gestützt auf seine eigene Erfahrung als Staatsanwalt akzentuierte, dass die Justiz schon heute rassistische Motivationen als Strafzumessungsgrund berücksichtigen könnte und würde, wies Jerzy Montag von den Grünen darauf hin, dass eine Änderung des Strafgesetzbuches zu spät ansetze. Das Problem sei, dass schon die Polizei wachsamer registrieren müsste, ob einer Straftat eine rechtsextreme Motivation zugrunde liege. Auch die Staatsanwaltschaft sollte in den Richtlinien für das Straf- und Bußgeldverfahren verpflichtet werden, bei rassistisch motivierten Straftaten stets das öffentliche Interesse zu bejahen. Ansgar Heveling, Rechtspolitiker der Unionsfraktion, äußerte die konstruktivste Kritik, was damit zusammenhängen mag, dass im Bundesrat der Vorstoß auch von unionsregierten Bundesländern mitgetragen wird. Aus seiner Sicht erscheint neben anderem als Manko, dass durch die geplante Änderung die Strafzumessung für jugendliche Straftäter nicht geändert wird, für die sich entsprechende Vorschriften im Jugendgerichtsgesetz finden.

Die in der halbstündigen Bundestags-Debatte vorgetragenen Einwände haben durchaus einiges für sich. Sie sollte aber eher dazu führen, eine Gesetzesänderung durch andere Maßnahmen zu flankieren, als sie von der Tagesordnung zu nehmen. Immerhin fällt auf, dass im gerichtlichen Alltag die rassistische oder fremdenfeindliche Motivation von Straftaten nahezu keine Rolle spielt. Die wohl umfassendste deutsche Urteilsdatenbank „juris“ verzeichnet für das Suchwort „Körperverletzung“ 23809 Einträge, sucht man gemeinsam mit „fremdenfeindlich“ bleiben gerade noch vier Einträge übrig, die Kombination „Körperverletzung“ mit „rassistisch“ ergibt elf Einträge. Das heißt: in den jeweiligen Urteilsgründen findet eine Auseinandersetzung mit entsprechenden Motivationen, die es unbestritten in hunderten, wenn nicht tausenden von Fällen gibt, nicht statt – obwohl es, auch das unbestrittenermaßen, bei der gegenwärtigen Rechtslage zumindest möglich wäre. Wenn der Gesetzgeber die Rechtslage verdeutlicht, die im Alltag der Gerichte nur unzureichend Niederschlag findet, sollte man das aber nicht als „symbolische Rechtspolitik“ kritisieren. Wenn man mehr erreichen möchte, sollte man die Energien im Gesetzgebungsverfahren darauf verwenden, die Vorschläge zu verbessern, nicht sie zu kippen. Dazu sollte sich der deutsche Gesetzgeber auch angesichts seiner internationalen und europäischen Verpflichtungen gedrängt sehen: In mehreren Ländern vor allem des anglo-amerikanischen Raums gibt es entsprechende Regelungen. Auf Ebene der EU hat die Kahn-Kommission in ihrem Bericht an das Europäische Parlament 1995 solche Regelungen befürwortet, auch die Europäische Kommission gegen Rassismus und Intoleranz hat 1997 in einem Bericht vorgeschlagen, dass rassistische und fremdenfeindliche Motive bei Straftaten besonders zu berücksichtigen seien und in der Internationalen Konvention zur Beseitigung aller Formen von Rassendiskriminierung von 1966, einem der wichtigsten Menschenrechtsinstrumente des humanitären Völkerrechts, verlangt Artikel 4 , dass alle Gewalttaten, die sich gegen Menschen einer Rasse oder Angehörige einer durch ethnische Herkunft oder Hautfarbe bestimmten Gruppe richten, besonderer Strafbarkeit unterliegen sollen. Auch das deutsche Recht stellt übrigens heute schon ausdrücklich bestimmte durch Hass motivierte Taten unter Strafe: Paragraph 6 des 2002 Gesetz gewordenen Völkerstrafgesetzbuches richtet sich gegen Handlungen, die in der „Absicht, eine nationale, rassische, religiöse oder ethnische Gruppe als solche ganz oder teilweise zu zerstören“ begangen wurden. Keine schlechte Vorlage für eine Strafzumessungs-Regelung im allgemeinen Strafgesetzbuch. </pjetzt>

 

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