Das andere Kriegsverbrechertribunal in Sierra Leone nimmt ein

25.03.2003 | AutorIn:  Dr. Oliver Tolmein | Internationales Recht

Frankfurter Allgemeine Zeitung, 25.03.2004, Nr. 72 / Seite 46: Das Kriegsverbrechertribunal in Sierra Leone wird von den USA und den Vereinten Nationen unterstützt und verbindet nationales mit internationalem Strafrecht - ein bemerkenswerter Versuch.

Jetzt hat das Kriegsverbrechertribunal in Sierra Leone, das von den Vereinten Nationen nicht nur finanziell unterstützt wird, in Freetown sein eigenes, hochmodernes Gerichtsgebäude. Damit können dort im Frühjahr die Verhandlungen beginnen. Die feierliche Eröffnung des Gebäudes war zugleich aber die letzte Amtshandlung des Gerichtspräsidenten Geoffrey Robertson. Der britische Jurist, der sich als Menschenrechtsexperte einen Namen gemacht hat, wurde für befangen erklärt. Er hatte in einem vor Jahren veröffentlichten Buch die Rebellenorganisation Revolutionary United Front (RUF) scharf angegriffen. In Freetown wird auch gegen führende RUF-Mitglieder verhandelt werden. In den anderen Verfahren wird Robertson allerdings Richter bleiben. Präsidentin des Tribunals ist seit einer Woche Renate Winter, die in Wien Jugendrichterin war, als Familienrechtsexpertin gilt und wegen ihres Engagements für die Rehabilitation von Kindersoldaten in den Vereinten Nationen einen guten Namen hat. Das Tribunal soll über schwere Kriegsverbrechen richten, die in Sierra Leone im Zuge des 1996 ausgebrochenen Bürgerkrieges begangen wurden. In dem mit äußerster Brutalität ausgetragenen Konflikt, in dem viele Kindersoldaten kämpften, spielten sogenannte Konfliktdiamanten (F.A.Z. vom 21. Oktober 2003) eine zentrale Rolle.

Das im Jahr 2002 durch einen Vertrag zwischen den Vereinten Nationen und der Regierung Sierra Leones begründete Gericht unterscheidet sich von anderen Institutionen des internationalen Strafrechts. Anders als die ad hoc eingerichteten Kriegsverbrechertribunale in Den Haag und Arusha ist das Tribunal in Sierra Leone kein UN-Organ. Im Gegensatz zu dem ebenfalls auf einem Vertragssystem basierenden Internationalen Strafgerichtshof (IStGH), der von seinem Sitz aus Ermittlungen in der ganzen Welt führen soll, ist es aber am Ort der Verbrechen eingerichtet worden, die es ahnden soll (1). Zudem sind in Freetown neben den vom Generalsekretär der Vereinten Nationen berufenen internationalen Rechtsexperten auch Juristen als Richter aktiv, die von der Regierung Sierra Leones benannt wurden. Auch das Statut und die Verfahrensregeln des Gerichts vereinen Elemente des internationalen und des nationalen Strafrechts. Da das Tribunal insofern einerseits als ein internationaler Spruchkörper wirkt, andererseits aber auch in die nationale Justiz eingebunden ist, wird es als Hybridgericht bezeichnet. Chefankläger ist der Amerikaner David Crane, der aus dem Verteidigungsministerium der Vereinigten Staaten kommt und lange als Rechtsberater des Militärgeheimdienstes aktiv war. Während die Vereinigten Staaten den IStGH boykottieren, unterstützen sie das Tribunal in Sierra Leone engagiert. Das Tribunal in Freetown, das seinen Etat wesentlich über Fundraising bestreiten muß, soll die derzeit geplanten drei Verfahren gegen insgesamt dreizehn Angeklagte bereits im nächsten Jahr zu Ende bringen. Die Verfahrensregeln zielen deswegen vielfach auf Beschleunigung der Prozesse. Beispielsweise werden in etlichen prozeßentscheidenden Fragen, unter Umgehung der für die Hauptsache zuständigen Kammer, direkt Beschlüsse der Berufungskammer eingeholt, gegen die dann keine Rechtsmittel möglich sind. Damit soll verhindert werden, daß sich die Verhandlungen so lange hinziehen wie beim internationalen Kriegsverbrechertribunal für das frühere Jugoslawien.


(1) Sierra Leone ist aber auch Vertragstaat des Internationalen Strafgerichtshofes.

Weiterführende Links

    Die Homepage des Special Court von Sierra Leone | http://www.sc-sl.org/
    Seite von UNMISL, der UN Mission in Sierra Leone | http://www.un.org/Depts/dpko/missions/unamsil/index.html
    Informationen zu Sierra Leone von Medico International | http://www.medico.de/projekte/sierraleone/index.htm

 

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