Deutsche Antidiskriminierungsdebatten

06.03.2005 | AutorIn:  Dr. Oliver Tolmein | Recht

Des Dramas zweiter Aufzug

konkret März 2005: Auch im zweiten Anlauf steht es schlecht um das Anti-Diskriminierungs-Gesetz: Die SPD preist an, dass es nichts ändert, der CDU-Generalsekretär asoziiert die NS-Rassegesetze damit...

Der neue Generalsekretär der Christlich Demokratischen Union, Volker Kauder, ist ein deutscher Patriot. In den ersten Wochen nach seinem Amtsantritt hat er keine Gelegenheit zu vaterländischer Rhetorik ausgelassen: Ob es seine Attacke gegen Bundeskanzler Schröder war, dem er vorwarf, Deutschland zu spalten, ob er sich für die wehrhafte Demokratie in Deutschland stark machte oder gegen eine gemeinsame antifaschistische Demonstration am 8. Mai. Wenn Kauder, der mit einem 100-Prozent Wahlergebnis selbst erfahrenen SED-Politikern noch hätte zeigen können, was Geschlossenheit der Partei heißt, nach der NPD gefragt wird, fallen ihm die Ängste und Sorgen der Menschen ein, die er ernst nehmen will. NPD-Wähler-Verunglimpfung ist dagegen seine Sache nicht. Und wie viele Menschen, die so sind und denken er wie er, ist auch Volker Kauder an zeitgeschichtlichen Fragestellungen höchst interessiert. In der Gegenwart die Vergangenheit wieder erkennen und daraus die Zukunft vorhersagen zu können, ist für Kauder, wie für manche seiner Vorgänger, wahre Erfüllung. Während sich aber Heiner Geißler einst mit der Friedensbewegung abgeben musste, die wie er zu analysieren wusste, irgendwie auch für Auschwitz verantwortlich war, kann sich Kauder heute der Regierung selbst zuwenden. Kaum im Amt, konnte er sich schon mit dem Vorschlag für ein zivilrechtliches Antidiskriminierungsgesetz befassen, mit dessen längst überfälliger Verabschiedung die Bundesrepublik EU-rechtlichen Verpflichtungen nachkommen würde. Den CDU-Generalsekretär inspirierte der Gesetzentwurf zu der grammatikalisch nicht ganz eindeutigen, historisch gleichwohl tiefgründigen Erkenntnis: "Die einen haben gesagt, er muss der richtigen Rasse angehören, die anderen haben gesagt, in der DDR, er muss der richtigen Klasse angehören, die anderen haben gesagt, er muss eine entsprechende Hautfarbe haben und jetzt erfahren wir: Er muss eine korrekte politische Einstellung haben. Und die wird natürlich von der rot-grünen Regierungskoalition diktiert. Und wenn es nicht hilft, dann machen wir ein Antidiskriminierungsgesetz."

Die stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende Nicolette Kressl empörte sich, dass die Union nun zu weit gegangen. Erst eröffne sie die so genannte Patriotismusdebatte, dann lade die Junge Union den Ex-CDU-Abgeordneten und Rechtsaußen Martin Hohmann als Festredner ein "und jetzt die Entgleisung des neuen Generalsekretärs". Die CDU-Vorsitzende Angela Merkel müsse aufpassen, dass "nicht die Amokläufer mit ihren schrägen Nazi-Vergleichen in der Union die Oberhand gewinnen." Kauder wiederum empörte sich über diese Kritik, denn damit habe er keineswegs das geplante Antidiskriminierungsgesetz mit den NS-Rassegesetzen vergleichen wollen. Was stattdessen der Sinn seiner Aussage war erläuterte er nicht: "Ich möchte das jetzt nicht vertiefen." Die Öffentlichkeit ließ es dabei bewenden und in den vergleichsgestählten Unionsparteien kam das Thema gar nicht erst auf irgendeine Tagesordnung.

Die SPD hatte schon vor dieser Attacke in der Bundestagsdebatte signalisiert, dass das Antidiskriminierungsgesetz nicht gerade zu ihren politischen Essentials gehört. Justizministerin Zypries hatte das ganze Projekt schon viel früher kritisiert und war gar nicht erst zur Bundestagsdebatte erschienen. Auch dass die Sozialdemokraten ihren gescheiterten ehemaligen Generalsekretär Olaf Scholz als Hauptredner ans Pult schickten konnte ebenso wenig mißgedeutet werden, wie dessen Rede selbst: "Wer so ist, wie wir alle sein wollen und wie ein anständiger Bürger sein sollte, der wird mit diesem Gesetz keine Probleme haben und braucht auch keinen Rechtsanwalt. Es ist auch nicht notwendig, dass jetzt viele Unternehmen die teuren Seminare besuchen, die überall angeboten werden: ‚Wie bereite ich mich auf das Antidiskriminierungsgesetz vor?' Das ist verschwendetes Geld; das sollten die sparen." Das Antidiskriminierungsgesetz also ein neues Regelwerk, mit dem EU-Vorgaben pflichtschuldigst umgesetzt werden, das aber niemandem weh tut - und damit denen auch nicht hilft, die sich endlich gegen Diskriminierungen wehren wollen?

Das einschließlich der Begründung 139 Seiten stark ist liest sich tatsächlich nicht wie ein Werk kompromissloser Diskriminierungsgegner. Die Lobbyarbeit, die in den letzten Jahren von Haus- und Grundstückseigentümern, von den christlichen Kirchen und den Arbeitgebern betrieben wurde, hat sich in dem Gesetzentwurf spürbar niedergeschlagen. Deswegen gelten die zivilrechtlichen Bestimmungen, die Benachteiligungen bei Verträgen verhindern sollen, beispielsweise immer dann nicht, wenn der Vertrag ein besonderes Nähe oder Vertrauensverhältnis der Parteien begründet. Als gesetzliches Beispiel dafür wird das Wohnen auf einem gemeinsamen Grundstück genannt. Ein Vermieter, der in seinem Sechs-Parteien-Haus nicht an Türken, Schwarze, Homosexuelle oder Blinde vermieten will, hat dazu das Recht, wenn er im Haus selber wohnt oder auch nur in einem weiteren Bungalow auf diesem Grundstück lebt. Auch im Arbeitsrecht haben Arbeitgeber weiterhin die Möglichkeit ihre Beschäftigten insbesondere wegen ihres Geschlechts oder einer Behinderung unterschiedliche zu behandeln - wenn sie dafür nur einen sachlichen Grund vorbringen können. Das gilt auch wenn Unternehmen ihre Vertragspartner in anderen Fällen unterschiedlich behandeln. Beispielsweise dürfen Versicherungen weiterhin Risiken auf "statistisch gesicherter Grundlage" unterschiedlich kalkulieren und so unterschiedliche Gruppen unterschiedlich zur Kasse bitten.

Trotz der Kritik, die von Behindertenverbänden und zum Beispiel dem Deutschen Juristinnenbund an dem Gesetzentwurf geübt wird, wird das Antidiskriminierungsgesetz neue Gesetz die rechtliche Position von Alten, Frauen, Homosexuellen, Behinderten, ethnischen und religiösen Minderheiten im Alltag spürbar stärken - vorausgesetzt, dass es nicht im Rahmen des parlamentarischen Beratungsprozesses in seiner Substanz beschädigt wird, was angesichts der höchst erregt polemisierenden Opposition allerdings sehr wahrscheinlich ist. Bedingt durch die vier auf EU-Ebene verkündeten Richtlinien, die mit dem Gesetz umgesetzt werden sollen, ist das Schutzniveau der einzelnen Gruppen unterschiedlich. Der Schwerpunkt des Schutzes vor Diskriminierung für alle Gruppen liegt in den Bereichen Beschäftigung und Beruf. Hier lehnt sich der deutsche Entwurf auch bis in die Formulierungen hinein besonders eng an die EU-Vorgaben an. Neben Diskriminierungen sind hier auch Belästigungen, insbesondere sexueller Art, untersagt. Die Arbeitgeber werden verpflichtet ein Umfeld zu schaffen, in dem Benachteiligungen und Belästigungen unterbleiben. Vernachlässigen sie diese Pflicht können Beschäftigte nicht nur Schadenersatz und Schmerzensgeld verlangen, sondern auch im Einzelfall ihre Arbeitsleistung verweigern. Des weiteren untersagt der Entwurf, und darin geht er über die EU-Richtlinien hinaus, die Benachteiligung nicht nur von ethnischen Minderheiten wegen ihrer Herkunft, sondern auch von allen anderen gefährdeten Gruppen bei zivilrechtlichen Massengeschäften, wenn dafür kein sachlicher Grund existiert. Ethnische Minderheiten dürfen auch in anderen zivilrechtlichen Schuldverhältnisse, wie es die EU-Richtlinie verlangt, nicht benachteiligt werden.

Viele der Bestimmungen enthalten unbestimmte Rechtsbegriffe und sind daher weit auslegbar. Wie effektiv mit diesem Gesetz Diskriminierungen bekämpft werden kann wird also in erheblichem Maße von den deutschen Gerichten abhängen, die sich in der Vergangenheit hier nicht als besonders diskriminierungsfeindlich hervorgetan haben. Erschwerend kommt hinzu, dass Verbände einzelne Betroffene zwar unterstützen können, es aber, anders als im Umweltschutz- und Verbraucherrecht, kein Verbandsklagerecht gibt. Auch die Antidiskriminierungsstelle des Bundes, die neu geschaffen wird und gegen die die Opposition besonders erbittert angeht, darf lediglich aufklären und tolerantes Verhalten anregen, aber anders beispielsweise als ihr Gegenstück in Großbritannien, keine Klagen unterstützen. Zudem gibt der Gesetzentwurf zwar Instrumente an die Hand um in einzelnen Fällen Diskriminierungen zu bekämpfen, er hilft aber nicht dabei strukturelle Benachteiligungen auszugleichen und, nach dem Vorbild der affirmative action in den USA oder des Engagements für Diversity, positive Maßnahmen zu ergreifen um Migrantinnen oder Behinderte in einflußreichere Positionen zu bringen oder ihnen wenigstens überhaupt Arbeit zu verschaffen. Dass seitens der einschlägigen Lobbyistengruppen und der parlamentarischen Opposition so getan wird, als werde dieses Gesetz die Republik verändern zeigt nur, wie weit Deutschland davon entfernt ist ein wenigstens im Prinzip tolerantes Staatswesen zu sein.

Weiterführende Links

    Materialsammlung zum Zivilrechtlichen Antidiskriminierungsgesetz | http://www.netzwerk-artikel-3.de/wsite/zag.php

 

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