Die Attentäter von Mölln sind längst wieder frei
08.12.2008 | AutorIn: Dr. Oliver Tolmein | Recht
Ein Kalenderblatt zur Verurteilung der Mölln-Brandstifter 1993
Brandanschläge gegen Flüchtlingsunterkünfte, Molotow-Cocktails auf Wohnhäuser, die von Migranten bewohnt wurden – Anfang der 1990er Jahre eskalierte die rassistisch motivierte Gewalt in Deutschland. Es sammelten sich aber auch immer mehr Bürger, um mit Lichterketten und Schweigemärschen gegen die ausländerfeindlichen Gewalt zu protestieren. Der bis dahin schlimmste Anschlag hatte sich 1992 in Mölln ereignet. Am 8. Dezember 1993, also vor genau 15 Jahren, ging das Verfahren gegen die Täter vor dem Oberlandesgericht Schleswig Holstein zu Ende. Ein Kalenderblatt von Oliver Tolmein.
O-Ton 1 Trailer: Die Brandstifter von Mölln bekommen die Höchststrafe. Lebenslange Haft für Michael Peters und zehn Jahre Jugendstrafe für Lars Christiansen. So lautet das Urteil im Prozess um die Brandanschläge von Mölln. Die Richter befanden die Angeklagten heute schuldig des dreifachen Mordes, des siebenfachen versuchten Mordes und des versuchten Mordes an 32 Menschen.
Autor: In der Nacht zum 23. November 1992 hatten der 19jährige Lars Christiansen und der 25jährige Michael Peters zwei Häuser in der schleswig-holsteinischen Kleinstadt Mölln in Brand gesetzt. Die Bewohner des ersten Gebäudes konnten sich noch retten, im zweiten hatten die beiden Rechtsextremisten mit ihren Brandsätzen die Eingangstür in Brand gesteckt und damit eine Flucht unmöglich gemacht. Bahide Arslan und ihre zehn-und vierzehnjährigen Enkelinnen Yeliz Arslan und Ayse Yilmaz verbrannten elendiglich. Drei weitere Bewohner des Hauses erlitten schwere Verletzungen. Es war der erste Brandanschlag mit ausländerfeindlichem Hintergrund im neuen Deutschland, der Menschenleben forderte. Und er richtete sich nicht gegen Flüchtlinge, sondern gegen Familien, die scheinbar gut integriert, seit vielen Jahren hier lebten. Zwei Täter waren schnell ermittelt. Beide gestanden – widerriefen die Geständnisse aber im Prozess. Der „Spiegel“ beobachtete damals:
Zitator (Gisela Friedrichsen): „Christiansen und Peters müssen sich nicht vor einer gewöhnlichen Strafkammer verantworten, sondern vor dem II. Strafsenat des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts. Die Anklage vertritt nicht ein gewöhnlicher Staatsanwalt, sondern die Bundesanwaltschaft ist angereist.Denn in Schleswig, so scheint es, soll nun endlich und endgültig geklärt werden, warum Ausländer in der Bundesrepublik verfolgt werden.
Autor: Medienvertreter aus dem In- und Ausland beobachteten den Prozeß. Hermann Ehrich, der Vorsitzende Richter in dem Verfahren, das sich über 47 Verhandlungstage bis zum 8. Dezember 1993 erstreckte, äußerte die Sorge, das Verfahren vor seinem Senat könnte überfrachtet werden.
O- Ton 2 Ehrich
Was einem manchmal etwas bange macht, sind die Erwartungen, die an einen solchen Prozess gestellt werden. Da waren manchmal Stimmen zu hören, dass mit der Aufklärung der Morde von Mölln der Rechtsradikalismus in Deutschland insgesamt zu Ende ist. Das sind Erwartungen, denen ein solcher Prozess natürlich nie gerecht werden kann, die einem aber Angst machen, weil man das enttäuschen muss.
Autor: Noch während das Verfahren gegen die wegen der Möllner Morde Angeklagten lief, erschütterte im Mai 1993 der Brandanschlag von Solingen, der wieder Menschenleben forderte, die Republik. Auf der einen Seite gab es immer mehr Solidaritätsbekundungen: mit Lichterketten, Schweigemärschen und Demonstrationen protestierten immer mehr Bürger gegen rassistische und fremdenfeindlich motivierte Gewalt. Die Sorge um das Ansehen Deutschlands in der Welt wurde lautstark artikuliert. Auf der anderen Seite verschärfte sich die Debatte um das deutsche Asylrecht. Es häuften sich auch Übergriffe, Brandanschläge und Haßdelikte gegen Flüchtlinge und in Deutschland arbeitende Ausländer. Für Rechtsanwalt Christian Ströbele gab es einen Zusammenhang zwischen der durch die Asylrechtsdebatte aufgeheizten Stimmung und dem vor Gericht verhandelten Geschehen:
O-Ton 3 Ströbele: Das kam im Prozess ganz deutlich zum Ausdruck, dass die Angeklagten der Auffassung waren, dass die Stimmung der Bevölkerung hinter ihnen steht, und dass sie das auch zu ihren Taten veranlasst hat. Daher denke ich, dass hier eine gewaltige politische Verantwortung und moralische Mitschuld der Leute besteht, die diese Stimmung hier im Land angeheizt haben.
Autor: Die Opfer des Brandanschlags und die Hinterbliebenen mussten lange um Opferentschädigung streiten– von der Politik fühlten sie sich im Stich gelassen. Das Straf-Urteil in dem Möllner-Brandstifter Prozess fiel hart aus. Allerdings wurde der zur Tatzeit 19jährige Lars Christiansen als Heranwachsender wegen fehlender Reife nach Jugendstrafrecht bestraft. Damit gab es eine Höchststrafe von zehn Jahren – die auch verhängt wurde. Michael Peters erhielt als Erwachsener Lebenslang – doch die Richter bescheinigten ihm keine besondere Schwere der Schuld: er und sein Mittäter hätten den Tod der türkischen Frau zwar in Kauf genommen, aber nicht beabsichtigt. Nach siebeneinhalb Jahren wurde Lars Christiansen entlassen. Nach 14 Jahren Haft konnte auch Michael Peters den Weg in die Freiheit antreten.