Die Informationen sind nicht frei

16.10.2002 | AutorIn:  Dr. Oliver Tolmein | Recht

jungle world 16.Oktober 2002: Warum das Archivgesetz des Bundes nicht hilft, die Aufklärung des Deutschen Herbstes voranzutreiben.

Was es einmal werden könnte hat schon einen Namen: Informationsfreiheitsgesetz. Und leider hat es auch eine Geschichte: Von den Grünen emphatisch gefordert, im Koalitionsvertrag 1998 festgeschrieben, zwei Jahre später in einem ersten Entwurf des Bundesinnenministeriums in die Diskussion gebracht wurde es nach wenigen Monaten Debatten wieder in den Schubläden versenkt. In Paragraph 1 des Gesetzentwurfes hieß es klar und deutlich: "Jede natürliche und juristische Person des Privatrechts hat nach Maßgabe dieses Gesetzes gegenüber den Behörden des Bundes ein Recht auf Zugang zu amtlichen Informationen. Für sonstige Bundesorgane und -einrichtungen gilt dieses Gesetz, soweit diese Verwaltungstätigkeit verrichten." Für den Fall allerdings, dass die geforderten Informationen "die öffentliche Sicherheit" beeinträchtigen könnten, war auch in diesem weitgehenden Entwurf eine Ausschlußklausel vorgesehen. Daß der Entwurf dennoch am Widerstand von Bundesverteidigungsministerium und den Geheimdiensten scheiterte, wozu allerdings auch das Finanzministerium beitrug, dem die Informationsfreiheit zu teuer schien, sagt wesentliches über das Verständnis von öffentlicher Kontrolle in der bundesdeutschen Exekutive aus. Landesgesetze zur Informationsfreiheit, wie sie in Brandenburg, Berlin und Schleswig-Holstein in den letzten Jahren beschlossen worden sind, beschneiden den Informationsanspruch des Einzelnen ebenfalls in erheblichem Maße um Sicherheitsbelange aber auch andere, allgemeiner beschriebene Verwaltungsinteressen nicht zu beeinträchtigen.

Aber nicht nur um die Informationsfreiheit, die auch dazu führen könnte, dass BürgerInnen Einsicht in laufende Verwaltungsvorgänge beanspruchen könnten, ist es schlecht bestellt. Auch Archivalien, die Aufschluß über die jüngste bundesdeutsche Vergangenheit gewähren könnten, sind nicht so leicht zu bekommen. Zwar gibt es das gut ausgebaute und bestückte Bundesarchiv in Koblenz (mit mehreren Zweigstellen). Das Nähere aber regelt das Bundesarchivgesetz. Das wurde 1988 nach jahrelangen erbitterten Auseinandersetzungen zwischen Archivaren, Datenschützern und der Exekutive beschlossen. In diesen Auseinandersetzungen ging es, wie ein Archivexperte in einem Aufsatz beklagte, darum "die letzten Relikte des früheren Verständnisses der Archive als bloßer Geheimarchive für die Staatsorgane zu tilgen und die Archivbenutzung zu einem subjektiv-öffentlichen Recht des Bürgers zu erheben." Dieses Recht soll nun Paragraph 5 des Bundesarchivgesetzes gewähren: "Das Recht, Archivgut des Bundes aus einer mehr als 30 Jahre zurückliegenden Zeit zu nutzen, steht jedermann auf Antrag zu, soweit durch Rechtsvorschrift nichts anderes bestimmt ist." Schon die 30 Jahres-Frist ist zwar in vielen Archivgesetzen enthalten, aber keineswegs zwingend, wie § 2a des Bundesarchivgesetzes deutlich macht, der Bestände der DDR- Massenorganisationen und -Parteien von dieser Frist ausnimmt. Der Hinweis auf anderes bestimmende Rechtsvorschriften dehnt die Spielräume des Bundes aber noch weiter aus. Damit sind nämlich Unterlagen ausgenommen, die nach einer Rechtsvorschrift der Geheimhaltung unterliegen und für die eine Sperrfrist von 80 Jahren gilt. Aber auch Unterlagen, die nicht notwendigerweise als "geheim" oder als "Verschlußsache" zu klassifizieren sind, müssen nicht nach 30 Jahren ins Bundesarchiv abgegeben werden. Insbesondere die Geheimdienste, aber auch Behörden wie der Generalbundesanwalt, übergeben ihre Bestände nur sehr zögerlich oder gar nicht. Schutzwürdige Belange der Bundesrepublik Deutschland werden dafür ins Feld geführt, aber auch die Frage, ab wann eine Behörde, die Akten zur Erfüllung ihrer Aufgaben nicht mehr benötigt, kann sehr flexibel beantwortet werden. Zudem bietet der Datenschutz Möglichkeiten Akten zu sperren wenn "schutzwürdige Belange Dritter" ihrer Nutzung entgegenstehen: Auch das ist, wie Verwaltungspraxis und Rechtsprechung zeigt, eine weit auslegbare Formulierung.

Tatsächlich ist es so, dass Behörden wie das Bundesamt für Verfassungsschutz oder der Bundesnachrichendienst, der Verpflichtung Akten herauszugeben, wie Mitarbeiter des Bundesarchivs verärgert einräumen, so gut wie gar nicht nachkommen. Wer in den in Koblenz und Potsdam aufbewahrten Archivalien also heute versucht Dokumente über die staatliche Politik gegenüber der RAF in den Jahren 1970/1971 zu finden, wird erwartungsgemäß enttäuscht werden. Es finden sich dort keine Dokumente über V-Leute, über die Konzeption der Fahndungen und Verhaftungen durch die Polizei oder auch über die politischen Planungen zur Bekämpfung der RAF. Immerhin hat der Generalbundesanwalt Verfahrensakten aus den ersten Prozeßen abgegeben - nicht allerdings die hausinternen Akten, die in der mündlichen Verhandlung keine Rolle gespielt haben. Damit ermöglicht das Archivgesetz der interessierten Nutzerin auf den Erkenntnisstand einer Prozeßbesucherin von vor 31 Jahren kommen - nicht weniger, aber auch nicht mehr.

Für alles weitere, so teilen einem die Archivare mit, seien die aktenführenden Stellen verantwortlich, die natürlich jederzeit die Möglichkeit hätten, den Verschlußsachen-Vermekr zu entfernen und die Akten damit zugänglich zu machen oder die sogar das Recht haben, ihre Akten nach Belieben früher selbständig zu veröffentlichen. Eine andere, noch attratktivere Möglichkeit wäre natürlich auch, das Stasi- Unterlagengesetz von 1991, das Verwendungsbeschränkungen vor allem zum Schutz persönlicher Daten von Menschen, die keine Personen der Zeitgeschichte sind, vorsieht, das aber keine zeitlichen Fristen und keine übergeordneten Geheimhaltungsinteressen kennt, auf deutsche Geheimdienste ganz allgemein anzuwenden.

Weiterführende Links

    Links zu Archivgesetzen | http://www.uni-marburg.de/archivschule/fv68.html
    Dokumentation des Aufrufs "Öffnet die Archive" mit Möglichkeit zur Unterzeichnung | http://www.jungle-world.com/_2002/43/29a.htm

 

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