Die Mörder und die Mahner

06.01.1998 | AutorIn:  Dr. Oliver Tolmein | Globalisierung

Veröffentlicht in: Konkret 01 / 98, S. 21: Auf das Massaker von Luxor reagierte die deutsche Presse mit Maß und Nachsicht. Denn islamische Killer haben Gründe, die man schon den heimischen Nazis nicht wirklich krumm nimmt

Für die Ermordung von Touristen gibt es keine Rechtfertigung. Aber .. " Eine knappe Woche nach dem Massaker, das islamische Terroristen unter Touristen im ägyptischen Luxor angerichtet hatten, war die Stunde der Experten gekommen. Niemand wollte das Blutbad rechtfertigen. Aber Erklärungen hatten die deutschen Medien schnell und ausführlich parat. Nüchterne Erklärungen, im leidenschaftslosen Ton des Sachverständigengutachtens vorgetragen, in diesem Ton, der so bemerkenswert anschwillt, wenn es um anderes im Nahen Osten geht, z. B. um die Schüsse israelischer Polizisten gegen steineschmeißende Palästinenser. Peter Schütt zum Beispiel, der ehemalige DKP-Barde, trug als Kenner jeder Form von Osten im allgemeinen und als Experte für männliche Leidenschaften im besonderen vor: "In Luxor treffen leicht, luftig und sexy gekleidete Touristinnen aus dem Westen auf verschleierte einheimische Frauen und Mädchen. Sie begegnen einander voller Unverständnis, Verachtung und Überlegenheitsgefühlen." Ergebnis? "Klammheimliche Sympathie zumindest eines Teils der Bevölkerung", wenn die luftig gekleideten Frauen und Mädchen dann von Granaten zerfetzt und von Maschinenpistolen niedergeschossen werden. "Zwei Kulturen prallen aufeinander", ist Peter Schütts Text von der Redaktion überschrieben worden: Daß es ausgerechnet Axel Springers "Hamburger Abendblatt" ist, in dem der geläuterte Kommunist seine Erkenntnisse ausbreiten kann, stimmt schon wieder versöhnlich. Denn der Autor ist sich in einem treu geblieben: In seiner tiefen Abneigung gegen den Westen und jede Kultur, die diesen Namen verdienen könnte.

"Genau zehn Tage vor dem grausamen Massenmord gab es in Luxor ein Schauspiel ganz anderer Art", und man vermutet: schlimmerer. "Auf den Stufen des altägyptischen Tempels wurde Verdis Oper Aida in einer Prachtaufführung gegeben - mit Stars aus Rom, Paris und New York. Die 1.800 eingeflogenen Zuschauer zahlten für das Spektakel 2.500 Dollar. Daß solche vorsätzliche Zurschaustellung von Luxus auch Haß erzeugen kann, versteht sich - Haß, den sich die Terroristen zunutze gemacht haben." Womit, was erst nur erklärt werden konnte, nun immerhin verstanden wird. "Der westliche Massentourismus", legt Schütt nach, "bringt zwar Geld ins Land, aber er berührt auch offene Wunden im Bewußtsein der Ägypter. Die Attentäter wollten mit ihrer Bluttat diese Wunden weiter aufreißen."

Massaker und nationale Identitätskrise hängen eng zusammen - ein Gedanke, der in Deutschland, dessen Wiedervereinigung auch die Pogrome wieder gebracht hat, auf Resonanz stößt. Auch Wolfgang Günter Lerch von der "FAZ", einem Blatt, für das Ruhe, Ordnung und Innere Sicherheit ganz oben auf der Werteskala rangieren, reagierte nachdenklich auf das blutige Attentat. "Islam und Terrorismus" ist Lerchs Leitkommentar überschrieben, vorsichtig nähert er sich seinem Thema: "Terrorismus ist überall möglich. Auch in hochentwickelten Ländern haben sich immer wieder Menschen gefunden, die für irgendeine als absolut wahr geglaubte Idee oder Ideologie zur Waffe griffen." Damit meint er aber nicht die massenmordenden deutschen Armeen, sondern Gruppen, die eine weniger blutige Bilanz zu ziehen haben, wie z. B. die RAF Nach dem kurzen Exkurs über die Lage an der Heimatfront kommt Nahostexperte Lerch zu seiner wichtigsten Erkenntnis: Mitverantwortlich für den islamistischen Terror ist in gewisser Weise "der Westen", "die Überwältigung durch die Moderne, die vom Westen repräsentiert wird... Das westliche Demokratie-Konzept ist für viele ein fremder Import, dessen Wirkungen die Masse der Bevölkerung in gänzlich verzerrter Form wahrnimmt."

Der anti-westliche Impetus, der die erklärungssinnigen Kommentare im konservativen Lager begleitet, fehlt zwar in den Medien des traditionell linken Spektrums, aber auch dort sind die Autoren bemüht, die Diskussion zu "versachlichen", um den "politischen Islam" aus der Schußlinie der Kritik zu ziehen. "Durch ihre Sozialarbeit (haben die Untergrund-Islamisten) eine gewisse Duldung erreicht", attestiert die "junge Welt" und kritisiert das Bemühen der ägyptischen Regierung, dem islamistischen Terrorismus "militärisch-brutal" begegnen zu wollen. Im "Neuen Deutschland" wird ein Dozent der Gesamthochschule Kassel als Experte befragt und darf erklären, daß "eine sozialere Politik in der Tat das beste Gegenmittel (ist)". In einem Kommentar wird die Position des "Neuen Deutschland" zugespitzt: Zwar lege es nahe, das Vorgehen der terroristischen Islamisten als "faschistoid" zu bezeichnen: "Das darf aber den Blick nicht dafür verstellen, daß der Islamismus keine diffuse >grüne< Gefahr, sondern ein soziales Phänomen ist. Deshalb wird er sich in Ägypten so wenig >ausrotten< lassen wie in Algerien." Und der "ND"-Korrespondent aus Amman wird nicht müde zu betonen, daß das ägyptische Regime am Massaker letztlich selber schuld sei: "Sämtliche Friedensangebote (der islamistischen Terroristen) schlug die Regierung aus". Auch das bislang letzte, mit dem die Dschamaa Islamija nach dem Massaker von Luxor einen Waffenstillstand anbot, falls die Gefangenen aus der militanten Gruppe freigelassen werden würden und die Regierung die Repressalien gegen die Gruppe einstellte.

Ähnlich denkt auch die "Taz": "Beim nächsten Angebot (der islamistischen Terroristen) sollte die Regierung bedachter reagieren - solange die islamistischen Organisationen bei ihren Sympathisanten noch Gehör finden. Sonst drohen am Nil tatsächlich >algerische Verhältnisse<." Und der "Freitag" warnt die ägyptische Regierung davor, entschlossen gegen die Mörder vorzugehen: "Wer den Islamismus polizeilich und gewaltsam unterdrückt, läßt ihn stärker und militanter werden. So zwingt man einen politischen Islamismus in den Untergrund und in die Gegengewalt. Wen der Staat gewaltsam verfolgt, der wird keine Skrupel haben, auch den Staat gewaltsam anzugreifen."

Es ist bemerkenswert, wie sehr die Rezepte der deutschen Medien gegen den islamistischen Terrorismus denen gleichen, die für die Re-Integration der deutschen Nazis in die Gesellschaft entwickelt worden sind: Die Täter werden von der Verantwortung befreit und zu Getriebenen erklärt, die angesichts der miserablen sozialen Verhältnisse und der schreckenerregenden staatlichen Verfolgung in ihrem Land sich geradezu zwangsläufig dazu entscheiden mußten, Unbeteiligte zu ermorden, wo immer sie ihrer habhaft werden können. Und so wie die deutschen Volksverhetzer die Abschaffung des Aslyrechts als Gratifikation erhielten, sollen in Nahost auch die politischen Forderungen der aggressiven Staatsfeinde erfüllt werden, damit endlich wieder Friedhofsruhe einkehren kann. Und tatsächlich: Die Willkür bei der Auswahl der Opfer, die gnadenlose Brutalität der Massaker - das alles ist aus der Geschichte des westeuropäischen Rechtsterrorismus (Oktoberfestattentat, der Anschlag auf den Bahnhof von Bologna) bestens bekannt. Die Vorstellung, der ausgesuchten Bestialität islamistischer Terroristen mit Zugeständnissen an die Täter, gar mit ihrer Machtbeteiligung begegnen zu können, ist geradezu abenteuerlich. Die Erfolge einer solchen Integration lassen sich derzeit bei den Taliban in Pakistan, aber auch beim Mullah-Regime des ebenfalls von der BRD unterstützten Iran besichtigen: So zivilisiert verhalten sich islamistische Terrorgruppen, haben sie erst mal den Machtapparat in der Hand.

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