Doppelter Absturz

06.10.1988 | AutorIn:  Dr. Oliver Tolmein | Recht

Veröffentlicht in: Konkret 10 / 88, S. 12

Die Medien und das Geiseldrama von Gladbeck

Kein Staatsnotstand mußte ausgerufen werden, es brauchte keinen kleinen oder großen Krisenstab, ja nicht einmal die Chefredakteure der Medien wurden zu irgendeinem Innenminister beordert - die bundesdeutsche Presse kroch nach dem durch die Polizeitaktik provozierten tödlichen Ende der Geiselnahme von Gladbeck ganz von allein zu Kreuze. "Herr Innenminister, meinen Sie nicht auch, daß die Medienberichterstattung wesentlich schuld an dem tragischen Ausgang..." - Ja, das meint der Innenminister auch. Und, weils so schön war, gleich nochmal: "Hätten die Medien sich in ihrer Berichterstattung nicht stärker zurückhalten müssen, um die Polizei nicht in ihrer Arbeit zu behindern?" Selbstverständlich. Und weil sich die Presse im freiesten Staat, der je auf deutschem Boden existiert, so richtig frei erst fühlt, wenn sie sich den Maulkorb selbst umhängen darf, tritt auch der Deutsche Presserat noch auf den Plan: "Die Aufgabe der Journalisten zu informieren, darf auch bei Geiselnahme nicht eingeschränkt werden. Sie sollen darüber unabhängig und authentisch, d.h. auf Grund eigener Wahrnehmungen berichten, aber sie dürfen sich dabei nicht zum Werkzeug von Verbrechern machen lassen. Ein abgestimmtes Verhalten zwischen Polizei und Medien darf es nur geben, wenn Leben und Gesundheit von Geiseln und anderen Beteiligten durch das Handeln von Journalisten geschützt bzw. gerettet werden könnten."

Dem Wahren, Schönen, Guten fühlt sich der bundesdeutsche Journalist also verpflichtet - alles weitere, auch das beschließt der Presserat, regelt die "Richtlinie 31". Und die hat, wie in etlichen Veranstaltungen der gewerkschaftlichen "deutschen journalisten union" und dem ständischen "Deutschen Journalisten Verband" in den Wochen seit Gladbeck zufrieden erinnert wird, ihre Bewährungsprobe, oder soll man besser sagen: Feuertaufe, bereits bestanden. 1977 wurde nach dem RAF-Anschlag auf Generalbundesanwalt Buback und wenige Wochen vor der Schleyer-Entführung beschlossen: "Insbesondere sollten Einzelheiten über laufende Fahndungen und von Krisenstäben eingeleitete Maßnahmen in Fällen von erpresserischem Menschenraub, Flugzeugentführungen, Bomben- und Entführungsandrohungen, sowie über Zeit und Ort von angedrohten Terroraktionen möglichst nur nach Absprache mit den Strafverfolgungsbehörden veröffentlicht und unangemessen sensationelle oder detaillierte Darstellungen, die die Arbeit der Ermittlungsbehörden beeinträchtigen könnten, vermieden werden." Das Ergebnis ist bekannt: Schleyer starb, Jan-Carl Raspe, Andreas Baader und Gudrun Ensslin kamen auf ungeklärte Weise zu Tode. Die Presse hielt still, ließ sich diktieren, was sie fragen durfte, übernahm die offiziellen Kommuniqués. Das einzige Wächteramt, das sie innehatte: darüber zu wachen, daß es bei so offensichtlicher Gleichschaltung nicht zum Kurzschluß kommt.

So gezielt rücksichtslos und offen brutal wie im deutschen Herbst hat die Repression seitdem nicht mehr zugeschlagen. Auf die Nachrichtensperre von damals - gesperrt wurden die Nachrichten für die Öffentlichkeit, in den Redaktionen waren sie zumeist bekannt - folgte keine weitere. Die Bundesrepublik sei eine "zivile Gesellschaft" geworden, haben viele, auch linke Publizisten aus dieser Beobachtung in den letzten Jahren geschlossen und sich, über den "Normalzustand" beruhigt, im Sessel zurückgelehnt. "Faschisierung", neue Gestapo - alles Spinnkram von gestern...

Nach den Szenen in der Kölner Innenstadt, wo die Polizei nicht ganz erfolglos versucht hat, die nach Interviews gierenden Journalisten still und leise durch getarnte Polizisten auszutauschen, ist der Irrtum offensichtlich: Wir leben in einer Zivilfahnder-Gesellschaft, deren Öffentlichkeit bestimmt wird durch die öffentlich-rechtlich verordnete und privatwirtschaftlich gewünschte Komplizenschaft von Presse, Polizei und Politik. "Wo Reporter unbeabsichtigt ins Geschehen einbezogen werden, haben sie sich nicht mehr um ihre 'Story', sondern - wie jeder Bürger auch - allein um den Schulterschluß mit der Polizei zu kümmern" schreibt der stellvertretende Chefredakteur der "Zeit", Robert Leicht, und er kämpft, eingereiht in die Phalanx der wehrhaften Demokraten, in Treue fest für den Rechtsstaat in den Grenzen von 1977.

Das "Hamburger Abendblatt" liefert das passende Vokabular, um die im Geist des gesunden Volksempfindens sich formierenden Reihen dann ganz fest zu schließen: "Die beiden Gladbecker Gewohnheitsverbrecher hatte sozusagen die Hölle ausgespien. Sie waren innerlich längst gestorben. Intakt war allein ihre kriminelle Energie. Solche menschlichen Geschosse, ohne Gefühl und Gewissen, per Freigang wieder in Umlauf zu bringen, ist tödlicher als der Tod." Und die "Frankfurter Allgemeine Zeitung für Deutschland" liefert Hinweise, wie die "kriminelle Energie" zu stoppen sein könnte: "Politisch motivierte Terroristen oder ein kranker Krimineller zünden die Welt an, nur um auf sich aufmerksam zu machen. Verweigert man ihnen dieses 'Erfolgserlebnis' nimmt man ihnen einen Teil ihrer Motivation".

Aber die Empörung über die Live-Interviews mit den Geiselnehmern bewegt auch die sogenannte kritische Öffentlichkeit. Wer "das Killer-Duo" zu Wort kommen läßt, mutmaßt in der "Frankfurter Rundschau" Walter Jens, hätte auch Josef Mengele interviewt: "Wieviele gedenken sie heute noch ins Gas zu schicken, Herr Mengele?" Daß Jens glaubt, den grundsätzlichen Unterschied zwischen den beiden aus einem Milieu von Gewalt und Hoffnungslosigkeit kommenden Degowski und Rösner und dem im Staatsdienst von der industriellen Massenvernichtung der Juden durch seine Experimente profitierenden Arzt Mengele mal eben so zur Seite wischen zu können, macht seine Medienkritik populär - dokumentiert aber vor allem, daß statt sorgfältiger Auseinandersetzung moralisierendes Schwadronieren gefragt ist. Wie könnte das auch anders sein, wenn plötzlich ausgerechnet die Medien, die noch Stunden und Tage zuvor selbst die Bilder ausgestrahlt oder groß und möglichst in Farbe auf der ersten Seite gebracht haben, jetzt gegen die "journalistische Meute" ("Nürnberger Nachrichten") zu Felde ziehen.

Wie ernstgemeint diese Selbstkritik ist, wird knapp zwei Wochen später unsichtbar, als nicht mehr "Die Geiseln klagen an" von den Titelblättern prangt, sondern "Ramstein: stoppt diesen Irrsinn". Und wieder Blut, Schweiß und Tränen - bunt aufgemacht: Wir wollen Auflage. Nur diesmal hebt kein Walter Jens mahnend den Zeigefinger und sinniert über Moral und die "Grenzen des Journalismus", kein "Vorwärts" stellt die "Frage der Woche: Was sollen Medien bei künftigen Geiselnahmen anders machen?" und keine "Frankfurter Allgemeine Zeitung", sonst Propagandistin des privaten Kommerzfernsehens, kritisiert mit Neil Postman, daß das Problematische an den elektronischen Medien sei, "daß sie jedes Thema als Unterhaltung präsentieren".

Nicht die grellen Bilder, das Vermarkten des Leidens der Opfer stört die Kommentatoren - davon leben sie schließlich. Daß die beiden "Geiselgangster", daß "Killer-Duo", die "kriminellen Schwerstverbrecher" auch einen Ausschnitt ihrer Geschichte mitteilen konnten, unbezahlte Sendezeit bekamen, "ein direktes Hilfeersuchen an Macht und Menschlichkeit" zu richten - das ist der Anlaß für die Medien- und Selbstkritik. Die "FAZ" formuliert die Richtlinien: "Noch immer ist es eine journalistische Grundregel, nicht offenkundig im Interesse von Kriminellen zu handeln" (lieber verdeckt im Wirtschaftsteil), der "Spiegel", noch voller Stolz im Besitz des Titels "linke Kampfpresse", hat Vorschläge für die Umsetzung: "So war es ein Journalist, dem Rösner in Bremen sein Herz ausschüttete ('ich war von Anfang an im Erziehungsheim da und solche Scheiße alles') - warum stand da nicht ein Zivilfahnder, der sich das Vertrauen des redseligen Verbrechers erarbeitet hätte?"

Dateien:

Logo Adobe PDF

1153466617.pdf(PDF Dokument, 11,70 Ki Größe)

 

Zurück zur Übersicht