Ein Antidiskriminierungsgesetz für alle?

06.05.2005 | AutorIn:  Dr. Oliver Tolmein | Recht

Menschen Januar 2005

Das Antidiskriminierungsgesetz der Regierungskoalition ist heftig umstritten. Aber was kann es wirklich leisten?

Frau Smith hatte eine weite Reise hinter sich: Aus den USA war sie nach Nürnberg gereist, um Freunde zu besuchen. Als Sie sich am Bahnhof in ein Taxi setzen wollte erlebte sie allerdings wenig Gastfreundlichkeit: "Mit dem Rollstuhl nehme ich Sie nicht mit. Der zerkratzt mir den Lack an meinem neuen Wagen."

Nicht viel besser erging es später Susanne Römer, die in München ins Kino gehen wollte. Ihr Blindenhund durfte das Kino nicht betreten, also musste sie, weil sie sich ohne den Hund nicht orientieren kann, auch auf die Vorstellung verzichten.

Vier Menschen mit geistigen Behinderungen und ihre Betreuerin schafften es in Barcelona immerhin an Bord des Fluges Nummer 1649 der Air France zu kommen. Dann allerdings war für sie die Heimreise erst einmal zu Ende: der Pilot verlangte von der Betreuerin die Vorlage eines ärztlichen Attestes, das bestätigen sollten, dass die Behinderten flugtüchtig seien. Weil so kurzfristig kein Arzt aufzutreiben war und der Betreuerin das Anliegen überhaupt nict einleuchtete, mussten die fünf die Maschine wieder verlassen und eine weitere Nacht auf eigene Kosten in Barcelona zu bringen.

Fälle dieser Art gibt es Jahr für Jahr Dutzende. Menschen mit Behinderungen werden in Deutschland trotz des Benachteiligungsverbotes für Behinderte, das 1994 in Artikel 3 des Grundgesetzes eingefügt wurde, in vielfältiger Weise diskriminiert. Denn Grundrechte wirken vor allem als Abwehrrechte gegen staatliche Eingriffe. Privatpersonen binden sie dagegen nicht. Deswegen verlangen Behindertenorganisationen und Wohlfahrtsverbände, JuristInnen und Behindertenpolitiker seit Jahren, dass ein zivilrechtliches Antidiskriminierungs-Gesetz geschaffen werden muss, das Menschen mit Behinderungen Möglichkeiten gibt sich dagegen zu wehren, dass sie aus Gaststätten hinausgeworfen werden, dass sie nur schwer eine Wohnung und eine Arbeit finden oder dass ihnen der Abschluss von Versicherungsverträgen verweigert wird.

Erleichtert wurden diese Bestrebungen durch die EU, die Diskriminierungen als Beeinträchtigung des freien Waren- und Dienstleistungsverkehrs betrachtet und deswegen im Jahr 2000 drei Richtlinien beschlossen hat, die von den Mitgliedstaaten ins nationale Recht umgesetzt werden müssen. Schwerpunktmäßig wenden sich diese Richtlinien gegen die Benachteiligung von Frauen und von ethnischen bzw., sogenannten rassischen Minderheiten. Die Richtlinie 2000/78/EG verbietet aber auch ausdrücklich die Diskriminierung Behinderter in Beschäftigung und Beruf. Die rot-grüne Bundesregierung hatte schon in der letzten Legislaturperiode versucht, ein Gesetz zu verabschieden, das die EU-Richtlinien umsetzt und, vor allem bezogen auf Menschen mit Behinderungen und auf Homosexuelle, sowie religiöse Minderheiten auch darüber hinaus zu gehen. Dieses Vorhaben scheiterte allerdings am starken Widerstand von Unternehmen, Haus- und Grundeigentümerverbänden und auch der Kirchen, die befürchteten als Arbeitgeber zu stark eingeschränkt zu werden. Auch viele Juristen bezogen Stellung gegen eine Anti-Diskriminierungs-Regelung, die über die verpflichtenden Vorgaben aus Brüssel hinausging, weil sie dadurch grundlegende Rechtsprinzipien gefährdet sahen. Gefährdet sehen die Gegner einer Anti-Diskriminierungsregelung vor allem die Privatautonomie, ein Grundsatz, der besagt, dass die Bürgerinnen und Bürger ihre Rechtsbeziehungen untereinander frei und ohne staatliche Eingriffe regeln können. Allerdings gilt dieser Grundsatz ohnehin nicht unbeschränkt. Im Zivilrecht gibt es heute schon eine Reihe von Bestimmungen, die bestimmte Gruppen schützen sollen und die damit andere Gruppen in ihrer Freiheit, Verträge zu schließen beeinträchtigen. Beispielsweise haben Verbraucher in vielen Fällen das Recht einen bereits geschlossenen Vertrag innerhalb von 14 Tagen zu widerrufen. Vermieter dürfen bei Wohnungsmietverträgen nur in bestimmten Umfang Mieterhöhungen festsetzen. Arbeitgeber dürfen Frauen für gleiche oder gleichwertige Arbeit Frauen nicht wegen ihres Geschlechts weniger Geld bezahlen als Männern.

Mitte Dezember 2004 hat das Bundesjustizministerium nun einen neuen Entwurf für ein Antidiskriminierungsgesetz vorgelegt, das auch Menschen mit Behinderungen helfen soll, sich gegen Benachteiligungen zur Wehr zu setzen. Herzstück des Gesetzes für Menschen mit Behinderungen ist Paragraph 20, der das "zivilrechtliche Benachteiligungsverbot" normiert. Die Vorschrift verbietet vor allem Unternehmen, die Waren verkaufen, verleasen oder vermieten oder die Dienstleistungen für eine Vielzahl von Leuten erbringen Menschen wegen ihrer Behinderung zu benachteiligen. Außerdem wird Unternehmen, die privatrechtliche Versicherungen anbieten untersagt den Abschluß eines Vertrages nur wegen der Behinderung des Vertragspartners zu verweigern. Hier können schon erste Probleme entstehen , denn das Kino aus dem oben erwähnten Fall könnte argumentieren, dass seine Mitarbeiter die blinde Frau ja nicht benachteiligt, sondern wie alle anderen behandelt haben, als sie ihr, wie anderen Kinobesuchern verbaten, ihren Hund in den Zuschauersaal mitzunehmen. Dem könnte entgegengehalten werden, dass hier eine so genannte "mittelbare Benachteiligung" vorliege, weil ein dem Anschein nach neutrales Vorgehen die blinde Frau gegenüber anderen Personen in besonderer Weise benachteiligt hat. Das Kino müsste dann nachweisen, dass das Hundeverbot einen sachlichen Grund hat und ein angemessenes Mittel ist um das angestrebte Ziel zu erreichen.

In anderen Fällen findet das Benachteiligungsverbot ohnehin kein Anwendung - das gilt vor allem, wenn ein Vertrag ein besonderes Nähe- oder Vertrauensverhältnis verlangt. Wann ein solches Verhältnis gegeben ist, ist nirgendwo im Gesetz geregelt. Immerhin wird aber ein Fall konkret benannt: Im Mietrecht soll ein besonders Nähe- und Vertrauensverhältnis gegeben sein, wenn die Eigentümer selber eine Wohnung auf dem Grundstück (also nicht nur im selben Haus) nutzen, auf dem sie den Wohnraum vermieten. Demnach könnten sich möglicherweise auch kleingewerbetreibende wie Friseure, Kosmetikerinnen oder ein Sekretariatsservice, bei dem der Unternehmer noch selbst tippt, weigern Verträge mit Behinderten zu schließen. Der Grundsatz ist, dass Dienste, die üblicherweise ohne Ansehen der Person geschlossen werden, unter das Benachteiligungsverbot fallen - stärker persönlich orientierte Dienstleistungen dagegen nicht. Aber auch bei den vom Diskriminierungsverbot umfassten Schuldverhältnissen wird es Ausnahmen geben. Wenn ein sachlicher Grund dafür vorhanden ist, soll auch die unterschiedliche Behandlung aufgrund der sexuellen Identität, des Alters, der Religion und Weltanschauung oder wegen einer Behinderung zulässig sein. Das Gesetz nennt mehrere Beispiele dafür, wie ein solcher "sachlicher Grund" beschaffen sein könnte. Für Mennschen mit Behinderungen dürfte wohl am wichtigsten sein, dass Sicherheitsbedenken eine unterschiedliche Behandlung rechtfertigen können. Als Beispiel wird in der Gesetzesbegründung die Benutzung von Fahrgeschäften durch Menschen mit körperlichen Behinderungen in Freizeitparks genannt (also z.B. Achterbahnen). Betrachtet man die oben erwähnten Beispiele liesse sich aber auch von der Fluggesellschaft und möglicherweise sogar vom Kino, das den Hund nicht dulden wollte, argumentieren, man habe nur verhindern wollen, dass die Behinderten sich oder andere schädigen. Auch der Taxis-Fahrer argumentierte bemerkenswerterweise mit dem drohenden Schaden an seinem Fahrzeug. Das Gesetz lässt zwar eine willkürliche Anforderungen an die Sicherheit nicht zu, aber die Begründung räumt ein, dass den Vertragsparteien ein Spielraum verbleiben müsse, um Unsicherheiten der Prognose Rechnung zu tragen.

Der Rechtsprechung wird angesichts der weit auslegbaren Formulierungen des Gesetzes bei der Konkretisierung der Vorschriften eine wichtige Rolle spielen. Das gibt wenig Anlaß zu Optimismus, denn in der Vergangenheit haben Gerichte wenig Probleme damit gehabt die Diskriminierung von Menschen mit Behinderungen festzuschreiben: Das Landgericht Frankfurt a.M. hat mit seinem berüchtigten Urteil über Behinderte als Reisemangel Urlaubern Schadenersatz zugestanden, weil sie im gleichen Hotel wie eine Behindertengruppe leben mussten; das Oberlandesgericht Köln hat behinderte Bewohner eines Hauses bei Düren verpflichtet im Sommer zu bestimmten Zeiten ihren Garten nicht zu betreten, weil ihre "unartikulierten Laute", so das Urteil, die Nachbarn störten; das Bundesverfassungsgericht hat festgestellt, dass eine gegen den Willen der Eltern und des im Rollstuhl sitzenden Kindes verfügte Sonderbeschulung keine Benachteiligung Behinderter im Sinne des Artikel 3 des Grundgesetzes darstelle, weil ein Anspruch auf Integration nur besteht, wenn "der dafür benötigte personelle und sächliche Aufwand mit den vorhandenen Personal- und Sachmitteln bestritten werden kann und auch organisatorische Schwierigkeiten sowie schutzwürdige Belange Dritter, insbesondere anderer Schüler, der integrativen Beschulung nicht entgegenstehen." Wenn aber schon der Staat nur dann Benachteiligungen verhindern muß, wenn es nicht zu teuer kommt und sich niemand allzusehr dadurch gestört fühlt, werden auch die Anforderungen der Gerichte an private Unternehmen und private Anbieter von Waren und Dienstleistungen nicht allzu streng ausfallen.

Zudem richtet sich der Entwurf aus dem Hause Zypries nur gegen Benachteiligungen. Anders als der us-amerikanische American with Disabilities Act und Anti-Diskriminierungsvorschriften in anderen einigen anderen Ländern, verlangt er von den privaten Unternehmen nicht, dass sie auch vorhandene Barrieren abbauen, Arbeitsplätze behindertengerecht machen oder sich sonstwie auf die Bedürfnisse von Menschen mit Behinderungen einstellen. Wenn ein Unternehmen aber nicht verpflichtet werden kann, einen Arbeitsplatz behindertengerecht umzugestalten, läuft ein Gutteil der Bemühungen Benachteiligungen zu verhindern ins Leere - denn das ein Mensch mit Behinderung einen Arbeitsplatz nicht bekommt, an dem er gar nicht arbeiten kann, weil die Ausstattung dafür fehlt, ist keine Diskriminierung sondern sachlich gerechtfertigt. Die Autoren des Gesetzentwurfes begründen diese Selbstbescheidung damt, dass hier die Teilhabe- und Eingleiderungshilfen aus den Sozialgesetzbüchern, insbesondere aus dem SGB IX eingreifen wollen. Die geben Menschen mit Behinderungen aber nur einen Anspruch auf Leistungen gegenüber den Sozialleistungsträgern, sie helfen ihm nicht dabei auch andere zu verpflichten.

Ist allerdings eine Benachteiligung nach dem neuen Gesetz anerkannt, gibt es dem Diskriminierten einige Möglichkeiten sich zu wehren - und sich dabei auch der Unterstützung von Verbänden und Organisationen zu versichern: Das Gesetz gewährt einen Anspruch auf Schadenersatz, auf Schmerzensgeld, es ermöglicht die Unterlassung von Benachteiligungen für die Zukunft zu verlangen und in Einzelfällen kann mit seiner Hilfe sogar ein Vertragsschluss gegen den Willen des Vertragspartners durchgesetzt werden.

Voraussetzung dafür ist allerdings, dass der neue Gesetzentwurf, der jetzt vom Kabinett und dann vom Bundestag beschlossen werden muss, nicht, wie zuletzt sein Vorgänger, am Widerstand von Arbeitgebern, Haus- und Grunstückeigentümern und anderen Interessengruppen scheitert, die verhindern wollen, dass in Deutschland das Engagement gegen Diskriminierung so routiniert und erfolgreich umgesetzt werden kann, wie vor allem in den angelsächsischen Ländern. Von alleine wird das nicht gehen - wie schon bei der nur mit großen Mühen durchgesetzten Ergänzung des Grundgesetzes um ein Diskriminierungsverbot für Behinderte in Artikel 3 braucht es auch diesmal wieder der Unterstützung von Interessen- und Lobbygruppen aus der Behindertenbewegung, die sich diesmal allerdings mit guten Gründen mit Verbänden der Schwulen und Lesben, mit Ausländerbeiräten und Alteninitiativen zusammen tun können: Für ein Gesetz, das deutliche Mängel aufweist, das aber trotz allem eine passable Grundlage für den weiteren Streit gegen Benachteiligungen liefert.

 

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