Feministisches Rechtsinstitut eröffnet

02.04.2004 | AutorIn:  Dr. Oliver Tolmein | Recht

Empirie ist noch lange nicht alles, aber ohne Anwendung ist alles nichts

Frankfurter Allgemeine Zeitung, 02.04.2004, Nr. 79 / Seite 42: In Hamburg wurde das Feministische Rechtsinstitut eröffnet. Der Eröffnungsvortrag von Prof. Dr. Susanne Baer hat das Spannungsfeld ausgelotet, in dem sich Feminismus heute bewegt, wenn es keine strukturkonservative Ideologie werden soll.

Wer die Eröffnung des Feministischen Rechtsinstituts besuchen wollte, mußte sich, um zum Veranstaltungsraum zu kommen, auf den Weg durch die Räume des Hamburger Museums für Kommunikation machen: Vorbei an Fernschreibern, gelben Postfahrrädern hinter einer Gitterwand und einer nachgebauten Funkkabine der "Titanic". Diese Relikte aus längst und erst kürzlich vergangenen Zeiten erinnerten daran, daß Kommunikation sich verändert - und damit auch ihren Gegenstand. Konnte in der Mitte des letzten Jahrhunderts noch ein Buch den Erfolg einer politischen Bewegung begründen, ist im Multimedia-Zeitalter schwer festzustellen, wie und wodurch politisch gewirkt werden kann. Insofern war es auch ein Versuch der Selbstvergewisserung, als Susanne Baer, Professorin für Öffentliches Recht und Geschlechterstudien an der Berliner Humboldt-Universität, in ihrem Eröffnungsvortrag der verbreiteten These, Feminismus sei ein Relikt der siebziger und achtziger Jahre und für viele heute zum Negativbegriff geworden, die Beobachtung entgegensetzte, daß sich im deutschsprachigen Online-Buchhandel 535 Treffer zu "Feminismus" finden und die Zahl der Treffer bei Google sogar in die Tausende gehe. Die vielfache Verwendung des Begriffs sagt allerdings noch wenig über die gegenwärtige Relevanz des politischen Projekts aus.

Baer wollte zeigen, daß die Debatten um Gender und Geschlecht miteinander verknüpft sind und Feminismus angesichts komplexer Verhältnisse keineswegs überholt sei. "Eine vergangene Phase wäre feministische Rechtskritik nur, wenn wir erreicht hätten, was erreicht werden sollte." Tatsächlich fiel Baer der empirische Nachweis, daß wesentliche Ziele nicht erreicht wurden, nicht schwer. Es genügte der Verweis auf Studien und Berichte, die in den letzten Monaten von so unterschiedlichen Institutionen wie dem Londoner Business Research Institut, dem Frauenrechtsausschuß der Vereinten Nationen oder der Europäischen Kommission veröffentlicht wurden. Frauen sind in führenden Positionen in der Industrie, in der Verwaltung und an den Universitäten nach wie vor unterrepräsentiert. Deutschland gehört in Europa zwar zum oberen Drittel der Staaten, die am meisten Geld für die Familienförderung aufwenden, dafür ist es europäisches Schlußlicht bei Ausgaben, die in Kindergärten oder Krippen fließen.

Allerdings zielte feministische Rechtskritik schon immer auf mehr als nur auf die Erreichung einer Quote. Zwar beansprucht feministische Rechtswissenschaft, die ihre Wurzeln auch in den aus den Vereinigten Staaten stammenden Critical Legal Studies hat, anwendungs- und ergebnisorientiert zu sein. Recht wird von ihr nämlich nicht als eigenständige Wissenschaft gesehen, sondern als Ausdruck sozialer und kultureller Vorstellungen, die es dort, wo es ein Defizit an Gerechtigkeit gibt, zu verändern gelte. Die Empirie taugt allerdings als Legitimation des theoretisch fundierten Konzepts nur begrenzt, denn ein wesentliches Problem ist auch zu bestimmen, was als gerecht angesehen wird. Die aus Norwegen stammende feministische Rechtswissenschaftlerin Tove Stangdahl, auf die sich Baer in ihren Arbeiten kritisch bezieht, hat dafür die parteiliche Formel geprägt, gerechtes Recht müsse "Frauen als Ausgangspunkt nehmen" und eben nicht die durch kapitalistische Verhältnisse geprägten Wirtschaftsbeziehungen. Deswegen schlägt sie statt klassischer Rechtsdisziplinen wie Arbeits-, Polizei- oder Wirtschaftsrecht die Schaffung von Geburten- oder Hausrecht vor. Für Baer ist dieser Ansatz erkenntnisfördernd, soweit er nicht differenztheoretisch verstanden wird. Sie konzentrierte sich in ihrem Vortrag auch darauf, dem gerne gegen feministische Forderungen vorgebrachten Einwand zu begegnen, daß damit nur einem andere Prioritäten setzenden Biologismus gehuldigt werde. Feministische Theorie setze sich eingehend damit auseinander, wie Geschlecht konstruiert wird und welche Rolle es für wen wo spielt. Feminismus sei daher geprägt durch Skepsis gegenüber Reduktionen einzelner Menschen auf ein Merkmal, das sie mit anderen teilten - sei es Geschlecht, Hautfarbe oder körperliche Befähigung: "Nur wer über Geschlecht spricht, kann geschlechtsbezogene Zuschreibungen verhindern." Dieser in der feministischen Debatte keineswegs allgemein anerkannte Ansatz soll auch die Arbeit des Feministischen Rechtsinstituts prägen, das deswegen die Eröffnungsveranstaltung für alle zugänglich gemacht hatte, einzelne Veranstaltungen und Seminare aber auch exklusiv für Frauen anbieten wird.

Die etwa zwanzig Juristinnen aus Norddeutschland, die das Feministische Rechtsinstitut derzeit tragen, streben an, daß ihr Projekt neben dem lobbyistisch arbeitenden Deutschen Juristinnenbund, dem aus der autonomen Frauenbewegung entwickelten Feministischen Juristinnentag und der Zeitschrift "Streit" zur vierten bundesweit engagierten feministischen Institution wird. Die Gelder für das Institut fließen aus Spenden und Drittmitteln sowie aus Gebühren für die Seminare. Eine erste Anschubfinanzierung hat das Institut dabei von der gewerkschaftlichen Hans Böckler Stiftung erhalten. Erste Seminare zu den Konsequenzen der Hartz-Vorschläge für Frauen und zur Arbeit von Gleichstellungsbeauftragten signalisieren, daß die Arbeitswelt für das neue Institut erhebliche Bedeutung haben wird. Aber die Initiatorinnen wollen auch Kampagnen starten, die allerdings immer mit Forschungsprojekten verknüpft sein sollen. Beispielhaft dafür könnte eine bislang allerdings noch nicht finanzierte Untersuchung zur Rolle von "Frauen vor Gericht" sein, die unter anderem der Frage nachgehen soll, ob das Vorurteil zutrifft, daß Männer eher klagen, während Frauen schneller bereit sind, sich zu vergleichen. Thema sollen auch die Behandlung von Opferzeuginnen in Mißbrauchsprozessen oder die Situation in Sorgerechtsprozessen sein. Vor allem aber möchten die Juristinnen des Feministischen Rechtsinstituts nicht wie eine akademische Forscherinnengruppe bei der Sammlung von Erkenntnissen stehenbleiben, sie wollen daran anschließend Instrumente entwickeln und für deren Einsatz streiten, die Gerechtigkeitsdefizite und Ungleichbehandlungen verhindern.

Weiterführende Links

    Das Feministische Rechtsinstitut | http://www.feministisches-rechtsinstitut.de/wir_ueber_uns.htm
    Homepage von Prof.Dr. Susanne Baer | http://www.rewi.hu-berlin.de/jura/ls/bae/Baer/start.htm
    Das GenderKompetenzZentrum | http://www.genderkompetenz.info/

 

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