Geschädigte und Vereidigte

13.03.2002 | AutorIn:  Dr. Oliver Tolmein | Recht

Kontroverse Diskussionen über die Rechte der Nebenklage auf dem 26. Strafverteidigertag in Mainz

Frankfurter Allgemeine Zeitung 13. März 2002: Haben Opfer ein Recht auf die Bestrafung des Täters? Oder sind sie nur als Zeuginnen und Zeugen Beweismittel für die Findung der prozessualen Wahrheit? Als sich vor allem feministische Anwältinnen in den 70er Jahren für die Rechte der Opfer stark machten, handelten sie gegen den juristischen mainstream, der die Nebenklage ganz abschaffen wollten. Heute rückt das Opfer dagegen immer mehr, zu Lasten der Beschuldigten, ins Zentrum des Strafprozeßes.

Wie Strafverteidiger mit den Opfern eines Verbrechens im Strafverfahren umgehen, ist seit langem Gegenstand scharf ausgetragener Kontroversen. Insbesondere die Behandlung von Frauen, die in Verfahrenen wegen Vergewaltigung Geschädigte und zugleich meist einzige Tatzeugin sind, hat zu Auseinandersetzungen vor allem zwischen feministischen Rechtsanwältinnen und gesellschaftskritischen Strafverteidigern geführt. Während die einen die Opfer-Rechte ausweiten wollten, um den oftmals traumatisierten Frauen weitere psychische Belastungen vor Gericht zu ersparen, fürchteten die anderen, hier würde die Unschuldsvermutung demontiert und Angeklagten entscheidende prozessuale Rechte genommen. So hoch der symbolische Stellenwert des Konflikts war, öffentlich debattiert wurde er selten und wenn dann meist im unversöhnlichen Schaukampf von einzelnen Protagonisten wie dem früh verstorbenen Frankfurter Rechtsanwalt Sebastian Cobler und der Berliner Anwältin Alexandra Goy.

Als sich nun am Wochenende in Mainz das erste Mal auf einem Strafverteidigertag eine Arbeitsgruppe mit kontrovers zusammengesetztem Podium der Frage annahm, ob Opferinteressen im Strafprozess zentral seien oder marginal, war das also eine späte Premiere. Die rechtspolitische Landschaft, in der sie stattfand, hat mit der Anfang der Achtziger Jahre allerdings nur noch wenig gemein: Damals plante die Bundesregierung die Nebenklage abzuschaffen. Mittlerweile ist nicht nur ein Opferschutz-Gesetz in Kraft und ein Gesetzentwurf des Bundesrates "zur Stärkung der Verletztenrechte" in der Diskussion; das Bundesjustizministerium hat auch seine Eckpunkte für eine Reform des Strafverfahrens entsprechend konzipiert: "Prüfstein für alle Reformüberlegungen war deren Auswirkung auf die Opfer von Straftaten und eine weitere Stärkung des Opferschutzes". Trotz dieser Stärkung des Opfers im Strafverfahren, ist dessen Position nach wie vor marginal, argumentierte Rechtsanwalt Hans-Joachim Ehrig auf dem 26. Strafverteidigertag - und befand: "Aus gutem Grund". Nicht nur ist die Nebenklage in Verfahren gegen jugendliche Straftäter unzulässig, der Anschluss der Nebenklage darf nach § 398 der Strafprozessordnung auch den Fortgang des Verfahrens nicht aufhalten, Nebenklägern wird auch nicht das Recht zugestanden, ein Urteil mit dem Ziel anzufechten, dass eine andere Rechtsfolge, also beispielsweise eine höhere Strafe, verhängt wird.

Rechtsanwältin Claudia Burgsmüller, eine der Pionierinnen der Nebenklage, forderte deswegen nachdrücklich, deren Befugnisse auszubauen. Dabei hat sie nicht zuallererst im Sinn, die Nebenklage zu stärken, um die Verteidigung zu schwächen. Sie argumentierte, dass die Nebenklage als Wächterin der Persönlichkeitsrechte von verletzten Zeuginnen und Zeugen, gerade auch bessere Möglichkeiten haben müsste die Staatsanwaltschaft zu kontrollieren. Vor allem aber gehe es darum, dass Verletzte im Verfahren nicht in ihrem Status als Opfer und Beweismittel verharren müssen, sondern eigene Handlungsfähigkeit und damit einen Subjektstatus gewinnen können, der ihnen durch die Tat oftmals genommen wurde: "Nur wenn es gelingt, dass die an der Rekonstruktion der Wahrheit beteiligten Personen in ihrer Subjektivität ernst genommen werden und gleichberechtigte Chancen haben, ihre Sicht in den Prozess einzubringen, kann mit dem Strafprozess Rechtsfrieden gestiftet werden."

Problematisch an dieser starken institutionellen Stellung des Opfers ist allerdings, dass sie schon voraussetzt, was es zumindest in vielen Fällen erst zu erkunden gibt. Rechtsanwalt Johannes Latz verdeutlichte am Beispiel der "angreifenden Nebenklage" im Verfahren gegen Monika Weimar durch deren Ehemann, dass hier keineswegs klar war, ob es sich bei dem Nebenkläger tatsächlich um einen Verletzten handelt, oder nicht vielmehr um den eigentlichen Täter, der die Stellung als Nebenkläger nutzen konnte, sich vom Tatverdacht zu befreien und die Angeklagte zu belasten. Ähnliche Probleme gibt es auch in anderen Verfahren: Ob ein Kind mißbraucht, eine Frau vergewaltigt oder ein Mann tatsächlich von einem anderen verletzt worden ist, soll im Strafverfahren, wenn der Angeklagte bestreitet, erst aufgeklärt werden. Wird jemand nun aber als Nebenkläger zugelassen, weil er Opfer eines Missbrauchs, einer Vergewaltigung oder einer Körperverletzung ist, wird damit die Unschuldsvermutung gegenüber dem mutmaßlichen Täter ein Stück weit und mit möglicherweise gravierenden Folgen für das Verfahren eingeschränkt.

Ähnlich gravierend ist ein weiterer systematischer Einwand gegen die Nebenklage an sich, den der emeritierte Rechtswissenschaftler Klaus Lüderssen in die Debatte einbrachte. Da Entschädigungsansprüche im Zivilverfahren geltend gemacht werden sollen, bleibe unklar, welchen Anspruch die Nebenklage im Strafverfahren zur Geltung bringe. Der Strafanspruch jedenfalls sei im modernen Strafrecht kein Anspruch, der dem Opfer zustehe, nicht seinetwegen werde bestraft, es sei vielmehr ein Anspruch der Öffentlichkeit, dessen Re-Privatisierung einen beträchtlichen gesellschaftlichen Rückschritt darstellen würde.

In der mehrstündigen Diskussion wurden an diesem Punkt die grundlegenden Differenzen und Probleme der Debatte offensichtlich, in der strafrechtstheoretische Positionen und das Interesse an der Lösung praktischer Probleme des Strafprozesses aufeinander prallten. Zwar forderte Claudia Burgsmüller unter Berufung auf Jan Philipp Reemtsmas an diesem Nachmittag vielzitierten Aufsatz "Das Recht des Opfers auf die Bestrafung des Täters" auch eine neue Straftheorie, die das Interesse an Genugtuung des Opfers einbeziehe. Ihre Argumente für die Stärkung der Nebenklage waren aber überwiegend aus praktischen Erfahrungen in Strafverfahren abgeleitet, in denen auch heute noch stundenlange und widerholte Vernehmungen mißhandelter Kinder oder gynäkologische Mehrfachuntersuchungen von traumatisierten Frauen oder aggressive, die Intimsphäre verletzende Befragungen von Opfer-Zeuginnen keine Seltenheit sind. Praktische Erfahrungen mit Nebenklägern und der immer gravierender zutage tretende Abbau von Rechten der Beschuldigten waren es andererseits auch, die beispielsweise die Strafverteidigerin Barbara Klawitter, motivierten die Abschaffung der Nebenklage zu fordern: "Wir wollten mit der Nebenklage die Rechte mißhandelter Frauen im Strafprozess stärken, wir müssen jetzt aber innehalten und sehen, was mit dem Instrumentarium passiert, das wir geschaffen haben." Auch die Strafverteidigerin Edith Lunnebach, die sich ebenso wie Frau Klawitter, zeitweilig für eine Stärkung der Nebenklage engagiert hatte, plädierte gegen Schaffung weitergehender Rechte für tatsächliche und vermeintliche Opfer, die die ohnedies zu konstatierende Erosion des formalisierten Strafverfahrens weiter vorantrieben. Allerdings wandte sie sich auch gegen die Forderung nach Abschaffung der Nebenklage. "Ich habe so wenig Vertrauen in den Strafprozess, dass ich denke, diese Möglichkeit brauchen wir weiterhin." Eine Position, bei der sie auch von mehreren männlichen Rechtsanwälten, die als Nebenkläger, beispielsweise im Verfahren um die rechtsextremistisch motivierte Brandstiftung und Morde in Solingen ging, wo im Verfahren auch die Rolle von V-Leuten aufzuklären war, an der weder Staatsanwaltschaft noch Verteidigung ein nachhaltiges Interesse zeigten. Auch die aus dem Publikum geäußerte Vermutung, dass die NS-Straftäter in den 50er und 60er Jahren wohl angemessener bestraft worden wären, wenn damals Opfer des NS-Regimes als Nebenkläger hätten auftreten können, signalisierte, dass es gute Gründe gibt, trotz öffentlichem Strafanspruch, den Opfern im Verfahren nicht nur eine Position als Beweismittel zuzuweisen. Auf der anderen Seite stand die Warnung des renommierten Strafverteidigers Franz Salditt, der in seinem Vortrag zur Eröffnung des Strafverteidigertages Freitagabend engagiert für die konsequente Beibehaltung der Formen des Strafverfahrens ausgesprochen hatte, die den Angeklagten bis zum Zeitpunkt des rechtskräftigen Urteils schützen: "Dem mutmaßlichen Opfer nehmen die Formen nichts - denn die mit einem gerechten Urteil verbundene wahre Genugtuung wiegt die Last der Zeugenrolle auf." Mit der weiteren Stärkung der Verletztenrechte gehe dagegen eine Abkehr von Unschuldsvermutung, Zweifelssatz und Fairness des Verfahrens einher, die das gerechte Urteil und damit die wahre Genugtuung vereitle. So werden "die Opfer dem Opferschutz zum Opfer gebracht". Die offene Debatte, das wurde in Mainz angesichts der so krass divergierenden Ausgangspunkte der Beiträge deutlich, hat erst begonnen. Bleibt zu hoffen, dass sie der Gesetzgeber nicht vorzeitig durch Schaffung neuer Fakten wieder beendet.

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Weiterführende Links

    Rechtsvorschriften aus der STPO zur Nebenklage | http://bundesrecht.juris.de/bundesrecht/stpo/BJNR006290950BJNG003101309.html
    Das Bundesjustizministerium zu Opferschutz | http://www.bmj.bund.de/frames/ger/themen/opferschutz/index.html?sid=0bd16cd0214f5cb1c36c00027a0b043a

 

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