Hilft mehr Strafrecht gegen wachsenden Rassismus?

23.09.1999 | AutorIn:  Dr. Oliver Tolmein | Recht

Veröffentlicht in: taz, 23.9.1999: Das deutsche Strafrecht braucht keine schärferen Strafen und keine neuen Straftatbestände gegen Rassismus. Es müßte seine vorhandenden Möglichkeiten ausschöpfen. Und den Gewaltopfern könnten Antidiskriminierungs-Gesetze besser helfen

Todd Mitchell hatte zusammen mit drei Freunden einen jungen Mann zusammengeschlagen: Vor dem Bezirksgericht in Kenosha/Wisconsin hätte er dafür wegen gemeinschaftlich begangener Körperverletzung höchstens zwei Jahre Haft erhalten dürfen. Aber Todd Mitchell ist Schwarzer - und sein Opfer war ein weißer Jugendlicher. Das Bezirksgericht gelangte zu der Überzeugung, daß sich die jungen Schwarzen ihr Opfer nach Ansehene des Kinofilms "Missippi Burning" allein wegen seiner weißen Hautfarbe ausgesucht hatten. Das Strafgesetzbuch des Bundesstaates Wisconsin setzt für sogenannte "hate crimes" eine Strafschärfung fest: "Wenn eine Person vorsätzlich ein Verbrechen begeht, das unter Abschnitt a) dieses Gesetzes fällt und das sich gegen eine Person wegen ihrer Rasse, ihrer Religion, ihrer Hautfarbe, ihrer Behinderung, ihrer sexuellen Orientierung, ihrer nationalen oder persönlichen Herkunft richtet...... kann die vom Gesetz vorgesehene Haftstrafe um bis zu fünf Jahre überschritten werden." Todd Mitchells Richter nutzten diese Spanne aus und schickten ihn für 7 Jahre ins Gefängnis, ein Urteil, das 1993 vom Obersten Gerichtshof der Vereinigten Staaten bestätigt wurde.

Diederichsen hat den an sich sympathischen Vorschlag unterbreitet, dem in Deutschland grassierenden Rassismus nicht mit den Mitteln akzeptierender Sozialarbeit, sondern verstärkt, nach us-amerikanischem Vorbild mit Kriminalisierung zu begegnen. Das Strafrecht als "ultima ratio", als letztes Mittel gegen das Faktum der "no-go-areas" für Farbige im Osten zu empfehlen ist ein riskantes Unterfangen: Gerade der deutsche Staat und seine Agenturen, die die Strafgesetze durchsetzen müssen, stehen nicht auf der Seite der Minderheiten, die durch "hate crimes" geschützt, denen Bewegungsmöglichkeiten eröffnet werden sollen. Wie können aber Institutionen wie Polizei und Justiz, die oftmals, selber diskriminieren antirassistisch konzipierte Strafvorschriften angemessen interpretieren? Wird am Ende nicht ein Vietnamese, der sich gegen Skin-Angreifer effektiv und erfolgreich zur Wehr setzt, eher wegen eines "hate crimes" eine verschärfte Strafe kassieren, als die neuen Jungnazis, die Diederichsen ins Visier nehmen will? Der Missbrauch von "hate crimes" droht also, nicht weil sie gegen Nazis zu oft, sondern weil sie auch und vor allem gegen ihre Opfer in Stellung gebracht werden könnten. So verfestigt ist der rassistische Status bereits.

Die Idee der hate-crime-Gesetzgebung ist aber nicht in erster Linie fragwürdig, weil sich ihre Praxis gegen die, die geschützt werden sollen, kehren könnte. Sie vor allem die Frage nach dem Charakter des Strafrechts auf, und rückt damit das sowohl weithin unklare Verhältnis von BürgerIn, Norm, Strafe und Gesellschaft in den Blickpunkt. Diederichsens geht davon aus, daß die Sanktionierung von "hate crimes" die Grenze "verbotenen Verhaltens" so markieren kann, daß gesellschaftliche Entwicklungen durch sie gestoppt oder gar umgekehrt werden. Auf jeden Fall aber, meint er, könne die Debatte über die Schaffung von Normen gegen "hate crimes", so große symbolische Kraft entfalten, daß sie ein gesellschaftliches kritisches Bewußtsein für das hohe Maß von Prägung des deutschen Alltags durch Rassismus wecke. Ein Blick auf die Möglichkeiten antirassistisches Strafrecht umzusetzen stellt diesen Optimismus in Frage.

Hate-crime-Regelungen können entweder an sich bereits verbotenes Verhalten unter eine Strafschärfung stellen, wenn es aus rassistischen Motiven begangen wurde. Oder sie dienen dazu rassistisches Verhalten in neuen Tatbeständen unter Strafe zu stellen: In den USA sind Vorschriften, die neue antirassistische Tatbestände schaffen wollten, als Verstoß gegen das Freie Rede garantierende Amendment 1 der US-Verfassung stets für ungültig erklärt worden. Im deutschen Strafrecht gibt es dagegen mit dem § 130 StGB, der Volksverhetzung kriminalisiert (immerhin mit einem Strafrahmen bis zu fünf Jahren Haft) einen hate-crime-Tatbestand (auf den us-amerikanische Befürworter einer die freie Rede begrenzenden Gesetzgebung auch gerne als positives Beispiel verweisen): Trotz intensiver öffentlicher Diskussion vor allem des Absatzes 3, der sich gegen die "Auschwitz"-Lüge richtet, ist die praktische Bedeutung des § 130 StGB, der von den Gerichten eng ausgelegt wird, gering. Schon gar nicht hat § 130 StGB die symbolische Kraft entfaltet, die staatsfrommen Rassisten, "für die etwas verboten sein muß, um als falsch erkannt zu werden" (Diederichsen), von ihren Tiraden, Agitationen und ausgrenzendem Verhalten abzuhalten.

Auch daß hate-crime-Regelungen die von Diederichsen erhoffte, potentielle Opfer schützende Wirkung entfalten würde, wenn man sie als Strafschärfungen für bereits existierende Tatbestände einführen würde erscheint nicht wahrscheinlich: Verboten ist das rassistische Verhalten, von der Beleidigung über die Körperverletzung bis zur Brandstiftung, schließlich ohnehin - ohne daß das die Täter und ihre Angehörigen erkennbar rühren würde. Und der Strafrahmen für eine gemeinschaftlich begangene Körperverletzung wie sie Todd Mitchell begangen hat, reicht schon nach geltendem deutschem Recht bis zu 10 Jahren.

Allerdings wird dieser existierende Strafrahmen von den Gerichte kaum je ausgeschöpft - und die Kriterien, nach denen sie vorgehen, um die Dauer einer Haftstrafe zu bemessen, bleiben oft unklar. Der in § 46 StGB geregelte Strafzumessungs-Vorgang verlangt zwar "die Berücksichtigung der Beweggründe und Ziele des Täters" sowie die Einbeziehung "der Gesinnung, die aus der Tat spricht." Was darunter im Einzelnen zu verstehen ist, wird aber im Gesetz nicht präzisiert. Hier wäre ein Ansatzpunkt, ohne eine generelle Schärfung des bereits hohen deutschen Strafniveaus, ohne eine weiterführende Kriminalisierung in der ohnehin schon sehr weitgehend staats- und autoritätsfixierten deutschen Gesellschaft ein Signal zu setzen, wie bereits geltendes Recht zu verstehen ist: rassistische Motive für die Tat könnten in § 46 StGB ausdrücklich als Umstand erwähnt werden, der, wenn er festgestellt wird, gegen den Täter spricht. Damit würden die generell für alle Delikte geltenden Grundsätze der Strafzumessung, was ohendies seit langem in der Strafrechtswissenschaft gefordert wird, ein Stück weit und zudem an einem gesellschaftlich brisanten Punkt gewichtet und konkretisiert. Gleichzeitig wäre auch eine wichtige Grenze gezogen, denn die Grundlage für die Strafzumessung bliebe weiterhin die Schuld des Täters und nicht seine Gesinnung. Und auch die mit einer Bestrafung verbundene, eventuell abschreckende Wirkung dürfte nur in seltenen Ausnahmefällen, dann aber nach bereits anerkannten Grundsätzen für die Höhe des Strafmasses eine Rolle spielen: Wenn, wie der Bundesgerichtshof entschieden hat, bereits eine "gemeinschaftsgefährliche Zunahme" der Straftaten, wie sie zur Aburteilung anstehen, zu verzeichnen ist - bei rassistischen Gewalttaten wäre diese Annahme gut vertretbar.

Grundsätzlich allerdings macht ein so konzipierter verstärkter Einsatz von Strafrecht gegen die Täter, vor allem angesichts der oben bereits erwähnten Bedenken gegen die Justiz und ihre Sichtweise gesellschaftlicher Konflikte, nur dann Sinn, wenn der Staat, der Strafen soll, auch positive Signale setzt: Die Debatte um Strafrecht und hate-crimes darf deswegen auf keinen Fall losgelöst werden von dem Engagement für Antidiskriminierungs-Gesetze, die den nicht nur durch Straftaten Bedrohten neben dem staatlichen Schutz, vor allem selbstständig einklagbare Rechte zusprechen und sie damit als Subjekte anerkennen.

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