Hohe Hürden, eingeschränkte Möglichkeiten

11.04.2002 | AutorIn:  Dr. Oliver Tolmein | Internationales Recht

Die Stunde Null des Internationalen Strafgerichtshofes

Die Wochenzeitung 11. April 2002: Am 11. April wurde die 60. Ratifikationsurkunde für den ICC beí der UNO hinterlegt. Was passiert jetzt mit dem Internationalen Strafgerichtshof? Und wird er in relevanten Konflikten etwas zu urteilen haben?

Die UNO lädt zum feierlichen Empfang und die Nichtregierungsorganisationen freuen sich über einen großen Erfolg. Mit der Hinterlegung der 60. Ratifikationsurkunde für den Ständigen Internationalen Strafgerichtshof (ICC) am 11. April in New York ist ein neues Kapitel im internationalen Recht aufgeschlagen worden, denn das 1998 verabschiedete Rom Statut, in dem fstgeschrieben ist, wie das Gericht organisiert und für welche Straftaten es zuständig sein soll, tritt nun definitiv zum 1. Juli 2002 in Kraft. Damit wird eine Idee verwirklicht, die nach den Verbrechen der deutschen Nationalsozialisten aufkam: Ein internationales Strafgericht, das schwerste Verstöße gegen Menschenrechte verfolgen und dabei insbesondere auch Täter in den höchsten Etagen von Politik und Militär zur Verantwortung ziehen soll.

Bis der Gerichtshof arbeitsfähig ist wird allerdings nochmal ein gutes Jahr vergehen - derzeit fehlt sogar das Geld für die Anschubfinanzierung dieses Großprojekts, die UNO hat deshalb vorsorglich ein Spendenkonto eingerichtet. Aber es mangelt nicht nur an Geld. Trotzdem mehr als sechzig Staaten von 139 Staaten, die das Statut unterzeichneten, nun auch die Ratifikationsurkunden unterschrieben haben, ist auch die politische Unterstützung für das ehrgeizige Projekt noch schwach. Zwar engagiert sich die Europäische Union mit Vehemenz für den ICC, aber weder Japan, noch die VR China, die Russische Förderation, Indien, Pakistan oder ein nahöstlicher Staat (außer Jordanien) hat das Rom Statut ratifiziert. Gravierend ist vor allem, dass die USA den geplanten Strafgerichtshof ins Abseits manövrieren könnten. Die Bush-Administration erwägt deswegen einen in der Geschichte des Völkerrechts einmaligen Schritt: Die USA sollen nicht nur die Ratifikation verweigern, sondern auch die Unterschrift unter das Statut zurückziehen und damit freie Hand gewinnen, offen gegen den Ständigen Internationalen Strafgerichtshof auftreten zu können.

Für den ICC schafft die geringe Unterstützung, die er von den großen, militärisch aktiven Mächten erhält beachtliche Probleme. Denn im Vergleich zu dem vom UN-Sicherheitsrat als Zwangsmaßnahme zur Herstellung von Frieden eingerichtete Internationale Ad-Hoc-Kriegsverbrechertribunal für das frühere Jugoslawien, sind seine Möglichkeiten ein Verfahren einzuleiten begrenzt. Damit ist fraglich, ob der ICC in relevanten Konflikten die schweren Verbrechen, die er verfolgen soll, überhaupt anklagen darf. Voraussetzung dafür ist, dass mindestens der Staat auf dessen Boden die Straftaten begangen wurden das Statut ratifiziert oder die Gerichtsbarkeit des ICC anerkannt hat. Das heißt, dass beispielsweise Angehörige der US-Streitkräfte durchaus vor dem ICC angeklagt werden könnten, auch wenn die USA keine Vertragspartei des Statuts sind. Schaut man auf die Krisenregionen der Welt stellt man jedoch fest, daß hier zumindest in absehbarer Zeit die Durchführung von Verfahren vor dem ICC mit Zulässigkeitsproblemen zu kämpfen hätten. Weder für Tschetschenien noch für Afghanistan, nicht für die besetzten palästinensischen Gebiete und auch nicht fürs Kaschmir oder für Albanien könnte der ICC derzeit seine Zuständigkeit reklamieren. Zwar bietet das Rom Statut die Möglichkeit, dass der UN-Sicherheitsrat dem Chefankläger des ICC die Kompetenz für ein Verfahren zuweist, so lange die USA aber strikt gegen den Strafgerichtshof opponieren und ein Vetorecht im Sicherheitsrat haben, ist das kaum vorstellbar. Selbst wenn der ICC aber die Möglichkeit hat, ein Verfahren zu führen, weil die Verbrechen auf dem Territorium eines Vertragsstaates begangen worden sind, kommt er lediglich subsidiär zum Zuge. Würde ein Nationalstaat für sich in Anspruch nehmen, den Straftäter verfolgen zu wollen und hätte er nach seiner Rechtsordnung auch die Kompetenz dazu, muß der ICC zurückstecken. Außerdem darf auch der UN-Sicherheitsrat die Ermittlungen des Chefanklägers des ICC für eine Dauer von 12 Monaten aussetzen - diese Aussetzung kann wiederholt werden. Die Gefahr ist mithin groß, dass der ICC ein ähnliches Schicksal erleidet wie der Internationale Seegerichtshof, der 1996 eingerichtet wurde und dessen 21 Richter bislang unter anderem wegen enger Zuständigkeitsregelungen lediglich neun Verfahren eröffnen konnte.

Aber auch wenn diese Probleme bewältigt werden können, hat der ICC eine schwierige Strecke vor sich. Denn anders als ein nationales Gericht hat die internationale Institution keine Polizei auf deren Ermittlungstätigkeiten sie zurückgreifen könnte. Sie verfügt auch über keine Machtmittel, die helfen können, ihre Ansprüche durchzusetzen. Ob die Vertrag-Staaten und andere Staaten, die von Verfahren betroffen sein könnten, ihren Verpflichtungen zur Kooperation nachkommen, die sie nach internationalem Recht haben, ist ungewiß. Das Beispiel der Ad-Hoc-Kriegsvebrechertribunale weckt hier eher Zweifel. Ohne das größtenteils von den NATO-Staaten gestellte Militär wären die meisten Angeklagten nie nach Den Haag überstellt worden. Auch die Sicherung der Beweismittel und der Schutz von Zeugen wird beim ICC nach aller Erfahrung zumindest in der Anfangszeit, oft genug dem Militär obliegen. Insbesondere das Ad Hoc Kriegsverbrechertribunal für das frühere Jugoslawien hat zudem deutlich gemacht, wie schwer strafrechtliche Verfolgung und politische Einflußnahme voneinander zu trennen sind. Da der ICC aus Kapazitätsgründen nur ausgewählte Fälle von Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder schwere Kriegsverbrechen verhandeln kann, wird es hier darauf ankommen, daß die Auswahl, die der Ankläger trifft, nachvollziehbar und überzeugend ist. Mit herkömmlichen strafrechtlichen Idealen, zu denen eine umfassende Verfolgung aller Straftaten gehört, hat dieses Vorgehen allerdings dennoch wenig zu tun. Das ist deswegen problematisch, weil vor dem ICC anders als vor anderen internationalen Gerichtshöfen, die ähnlich selektiv vorgehen, nicht Staaten sondern Individuen zur Verantwortung gezogen werden. Exemplarische Verurteilungen, zu denen es deswegen kommen wird, sind mit den Vorstellungen eines westlichen Strafrechts, das auf individuelle Schuld reagiert, aber nur schwer zu vereinbaren.

Viel hängt deswegen davon ab, dass der ICC nicht nur der Kontrolle der Vertragstaaten unterliegt, sondern daß die Nichtregierungsorganisationen, die schon in der Vergangenheit mit großem Engagement dieses Projekt vorangetrieben haben, weiterhin Einfluß behalten. Gruppen die das Internationale Komittee des Roten Kreuzes, wie amnesty international oder Human rights Watch werden mehr als die meisten Vertragstaaten darauf drängen, dass der ICC in erster Linie als Gericht handelt und nicht zu einem Organ gerät, das auf internationaler Ebene Macht mit den Mitteln des Rechts ausübt.

Weiterführende Links

    Offizielle Seite des ICC | http://www.un.org/law/icc/index.html
    Bericht über die Hinterlegung (englisch) | http://www.un.org/apps/news/story.asp?NewsID=3360&Cr=icc&Cr1
    Rom Statut des ICC (deutsch) | http://www.cicc.de/statut.html
    Text von HR 4169, das die Unterzeichnung des ICC-Statuts durch die USA rückgängig machen soll | http://thomas.loc.gov/cgi-bin/query/z?c107:H.R.4169:

 

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