Jetzt rede ich (Arthur)!

06.01.1991 | AutorIn:  Dr. Oliver Tolmein | Recht

Veröffentlicht in: Konkret 01 / 91, S. 50

KONKRET-Interview "Arthur hälts Maul!" hieß die Kampagne, mit der autonome Gruppen dazu aufgerufen hatten, im Prozeß um die Ermordung zweier Polizisten an der Startbahn West im November 1987 keine Aussagen zu machen. Am 4. Dezember 1990 haben zwei Zeugen ihr Schweigen gebrochen: Einer lieferte dem Angeklagten Frank Hoffmann ein Alibi, einer belastete den Angeklagten Andreas Eichler. Oliver Tolmein fragte Mitglieder der autonomen L.U.P.U.S.-Gruppe und der autonomen Prozeßbeobachter-Gruppe, warum sie in diesen Fällen dafür sind, daß "Arthur" das Maul nicht mehr hält

KONKRET:

Im Startbahnprozeß am 4. Dezember hat es eine überraschende Wende gegeben: Leute aus eurem Spektrum haben umfangreiche Aussagen gemacht. Ist die "Arthur hälts Maul!"-Kampagne beendet und gescheitert?

Arthur: Nein. Aussagen hat es im Startbahn-Prozeß auch schon früher gegeben. Diese hier gehen allerdings sehr viel weiter, weil sie nicht nur Frank Hoffmann entlasten, sondern auch Andreas Eichler belasten. Wir, die auch die "Arthur hälts Maul!"-Kampagne mittragen, unterstützen trotzdem, daß diese zwei Aussagen gemacht wurden.

Eike: Das ist aber nur aus der speziellen Geschichte dieses Prozesses zu erklären. Es gab in den drei Jahren seit den Schüssen am 2.11.1987 immer Bemühungen unsererseits, die Aussageverweigerung bzw. die Rücknahme von bereits gemachten Aussagen durchzusetzen. Wir haben die Tatsache, daß Eichler sich der Auseinandersetzung mit uns verweigert und seine Aussagen im Kern aufrechterhalten hat, als politischen Verrat bezeichnet, ohne deswegen aber in den Prozeß zu intervenieren. Entscheidend dafür, daß wir die jetzt gemachten Aussagen unterstützen, ist, daß Andreas Eichler nicht nur politischen Verrat begangen hat, indem er ausgesagt hat, sondern daß seine, Frank Hoffmann belastenden Aussagen auch noch falsch sind, daß er also lügt.

Alf: Andreas Eichler hat seinerseits behauptet, die am 4. Dezember gemachten Zeugenaussagen seien falsch, und er habe das Gefühl, daß er damit von der Szene für seinen Verrat bestraft wird. Das ist absoluter Quatsch. Politischen Verrat dadurch zu "bestrafen", daß wir den Verräter in einem Prozeß belasten, ist für uns undenkbar. Die Situation ist eine ganz andere: Es besteht die große Gefahr, daß Frank Hoffmann aufgrund der Aussagen von Andreas Eichler, die ihn belasten, von denen wir aber wissen, daß sie falsch sind, lebenslänglich in den Knast wandert - und wir unterstützen jetzt, daß Leute diese Aussagen widerlegen. Es geht also nicht um die Bestrafung von Verrat, sondern um die Widerlegung belastender Lügen.

Eike: Es hat natürlich immer mal wieder Situationen gegeben, wo Leute auch für etwas, das sie nicht getan haben, in den Knast gewandert sind, weil sie eben nicht ausgesagt haben und auch keine entlastenden Zeugen aufgetreten sind. Das finde ich in der Regel korrekt, aber diesmal geht es nicht um drei, vier Jahre, sondern um lebenslänglich und es geht um eine Aktion, die niemand von uns gut findet, sondern die von allen scharf kritisiert worden ist - und deswegen gehen wir damit auch anders um.

Weil diese Tat scharf abgelehnt worden ist, hat es seitens mancher Linksradikaler sehr früh die Forderung gegeben, daß von Leuten aus der Startbahn-Bewegung selbst aufgeklärt werden muß, was tatsächlich am 2.November 1987 passiert ist. Das ist, zumindest öffentlich, nie geschehen. Stattdessen hat es Kampagnen zur Aussagenverweigerung gegeben. Jetzt sagt ihr, die neuen Zeugenaussagen seien politisch und moralisch vertretbar, weil ihr wißt, daß Eichlers Aussagen gelogen sind. Hätte dann die Wahrheit, oder die ja offensichtlich großen Teile, die ihr darüber wißt, nicht viel früher und außerhalb des Gerichtssaals öffentlich thematisiert werden müssen, statt, wie es jetzt passiert, auf alte Andeutungen, wie in den Flugblättern zu Eichler, neue Andeutungen folgen zu lassen und dann von einer linken Öffentlichkeit zu verlangen, daß sie das glaubt?

Arthur: Wir wollten bei der Auseinandersetzung um die Ereignisse vom 2.November wegkommen von dieser journalistisch-detektivischen Neugier, einen Skandal aufzuklären. Und das finde ich nach wie vor richtig. Wir wollten und wollen unsere Solidarität mit den Leuten, die im Zuge des 2. November eingefahren und vor Gericht gestellt worden sind, nicht von der Frage, wer geschossen hat, abhängig machen. Uns ging es und geht es nach wie vor mehr um die politische Auseinandersetzung über Militanz und militaristisches Denken in unseren Reihen, um Strukturen und Organisierung innerhalb der Autonomen. Deswegen mußten wir von dem Faszinosum der Schüsse wegkommen. Deshalb haben wir uns über Monate und Jahre geweigert, uns an der "Wahrheitsfindung" zu beteiligen, weil die auch auf einem Terrain erfolgt, auf dem wir die Spielregeln nicht bestimmen können. Erst als von unserer Seite, nämlich von Andreas Eichler und Baldur Opificius, eine Version der Abläufe behauptet worden ist, sahen wir uns gezwungen, unser Wissen über das, was tatsächlich gelaufen ist, ein Stück weit preiszugeben. Daß wir zumindest ungefähr wissen, was dort gelaufen ist, hängt übrigens nicht mit den Zeugenaussagen vom 4. Dezember zusammen, sondern ist Ergebnis unserer eigenen Recherchen direkt nach den Schüssen - der Ablauf, den wir kennen, entspricht allerdings dem, der jetzt durch die Zeugenaussagen bestätigt wird.

Alf: Bis zuletzt haben wir und wohl auch die beiden Zeugen noch gehofft, daß Andreas Eichler seine zwar immer wieder veränderten, aber weiterhin belastenden Aussagen zurücknimmt, so daß eine Intervention, wie die der zwei Zeugen, unnötig werden würde. Eichler selbst hat dadurch, daß er seine Verteidigungsstrategie gegen Frank aufgebaut hat, selbst zu verantworten, daß Aussagen, die Frank entlasten, ihn jetzt fast automatisch belasten. Das hätten wir auch gerne anders gehabt.

Daß ihr euch nicht auf ein Terrain begeben wolltet, auf dem ihr die Spielregeln nicht bestimmt, kann ich verstehen. Aber euer Kalkül, die allgemeine politische Auseinandersetzung um Militanz von der konkreten Aufklärung der Vorgänge am 2.November trennen zu können, ist nicht aufgegangen - und das war vorhersehbar. Statt außerhalb des Gerichtssaals und möglicherweise schwer greifbar für die Justiz eine öffentliche Aufklärung der Vorfälle in dieser Nacht zu präsentieren, werdet ihr jetzt doch am Ende des Prozesses Schritt für Schritt auf das Terrain gezwungen, auf dem die Bundesanwaltschaft und die Richter die Regeln und jetzt eben auch ein gutes Stück weit das Tempo diktieren.

Eike: Wir hätten natürlich viel lieber Frank Hoffmann und Andreas Eichler gleichermaßen rausgeholt und die Auseinandersetzung untereinander geführt. Daß Frank jetzt faktisch einen Geiselstatus in den Händen der Bundesanwaltschaft bekommen hat, ist eine Situation, die wir ohnmächtig hinnehmen müssen. Um ihn zu entlasten, das wußte die Bundesanwaltschaft, mußten wir uns auf ihr Terrain begeben, weil die Startbahn-Bewegung eben heute fast nur noch im Gerichtssaal stattfindet und längst nicht mehr als starke soziale Bewegung vor Ort. Diese faktische Schwäche der militanten Bewegung ist auch der Grund, weswegen wir uns entschieden haben, ein richtiges politisches, abstraktes Prinzip aufzugeben und stattdessen jetzt Aussagen unterstützen, um Frank, von dem wir wissen, daß er nicht geschossen hat, vor der Verurteilung zu retten.

Arthur: Das ist auch ein grundsätzliches Problem jeder Aussageverweigerungs-Kampagne, die nach bereits erfolgten Aussagen organisiert werden muß, statt, wie es sein sollte, zu einem wesentlichen Bestandteil jeder militanten Bewegung zu gehören: Das Schweigen von Frank Hoffmann und das Schweigen der Bewegung wendet sich dann gegen die Aussagenverweigerungskampagne, wenn belastende Aussagen dadurch unangreifbar werden.

Würdet ihr im Rückblick sagen, daß die Aussageverweigerungskampagne ein Fehler war?

Arthur: Nein. Wir müssen nur klar haben, daß Bewegungen ihre Defizite haben, weil sie im wesentlichen von ihren Erfolgen und Höhepunkten geprägt werden, aber spätestens dann an ihre Grenzen stoßen, wenn sie mit starker staatlicher Repression konfrontiert werden. Eine Aussageverweigerungskampagne kann dann nur den Schaden begrenzen, ihn aber nicht verhindern.

Alf: Die Aussageverweigerungs-Diskussion ist ja auch nicht weitergelaufen. Daß im Ermittlungsverfahren keine Aussagen gemacht werden, ist zwar Konsens, über das Aussageverhalten in Prozessen besteht dagegen überhaupt keine Einigkeit, das ist noch offen, muß aber dringend diskutiert werden.

"Arthur hälts Maul!" war ja eine organisierte Kampagne. Trifft das für die Zeugenaussagen jetzt auch zu? Sind die irgendwo beschlossen worden?

Eike: Wenn wir die Aussagen von den Zeugen, die sich jetzt geäußert haben, schon vor ein oder zwei Jahren gekannt hätten, dann hätten wir andere politische und praktische Konsequenzen gezogen. Diese Aussagen sind also nicht, wie das Bundesanwaltschaft oder Eichlers Verteidigung jetzt darstellen, Teil einer besonders ausgekochten Autonomen-Strategie. Das überschätzt unsere Möglichkeiten.

Alf: Wir gehen aber aufgrund der Ergebnisse unserer eigenen Recherchen schon davon aus, daß die Aussagen zutreffen. Im übrigen gibt es im Rhein-Main-Gebiet von einigen Leuten und Gruppen auch Kritik daran, daß die Aussagen gemacht worden sind: Die Vorstellung, es hätte hier auf einem Plenum eine gemeinsame Diskussion geben können, deren Ergebnis dann der Beschluß gewesen wäre, wir schicken jetzt zwei Zeugen ins Rennen, ist ziemlich wirklichkeitsfremd. Es hat aber sicher Gespräche der Zeugen mit einzelnen Leuten hier gegeben, ob ihre Entscheidung, die Aussagen als letzte Möglichkeit ins Gerichtsverfahren einzubringen, akzeptiert wird.

Was wird an den Aussagen kritisiert?

Eike: Es gibt unterschiedliche Ansätze: Manche finden es prinzipiell falsch, Aussagen zu machen, andere sagen, es hätte angesichts des deutlichen Willens des Gerichts zu verurteilen und des massiven Drucks von außen angesichts des Mordvorwurfs eh keinen Sinn; dann gibt es Leute, die befürchten, daß Eichler aufgrund der Aussagen jetzt weitere Leute mit gelogenen Aussagen in die Pfanne zu hauen versucht; und, last not least, befürchten einige, daß damit im nachhinein die "Arthur hälts Maul!"-Kampagne gefährdet wird, weil die Tatsache, daß jetzt belastende Aussagen gemacht werden, nicht zu vermitteln sei.

Es ist ja nicht ganz ohne Ironie, daß ihr als Autonome jetzt versucht, den unfairen Prozeß der Bundesanwaltschaft zu einem fairen Prozeß zu machen. Wie sind denn die Reaktionen auf die überraschenden Aussagen? Denkt ihr, daß es tatsächlich eine Chance gibt, Frank dadurch rauszuholen?

Arthur: Also bisher läuft es außergewöhnlich gut. Die Glaubwürdigkeit der Zeugen konnte weder von Eichlers Verteidigung noch von der Bundesanwaltschaft erschüttert werden. Die Bundesanwaltschaft hat als Reaktion auf die Aussagen einfach das Plädoyer gegen Frank Hoffmann, als den angeblichen Haupttäter, vorgezogen - das lag am Tag der Aussagen getippt vor. Dabei mußte die BAW für die absurde Situation einen Ausweg finden, an der Haupttäterschaft von Frank Hofmann festzuhalten, aber gleichzeitig die Glaubwürdigkeit der Entlastungszeugen nicht in Frage stellen zu können. Die abstruse Antwort der BAW war, die Zeugen nicht mit ihren Widersprüchlichkeiten, sondern mit der "Irrtumsvermutung" zu neutralisieren. Der eine Zeuge hat z.B. sehr detailliert geschildert, wie er sich mit Frank Hoffmann zum Zeitpunkt der Schüsse auf dem Rückweg Richtung Schutzhütte befunden hat und er konnte genau begründen, woher er wußte, daß das Frank war: Er erinnerte sich an die Stimme, die Körperhaltung, Franks verletzte Hand, die Tatsache, daß er einen Scanner dabei hatte (das bestätigte auch ein anderer Zeuge) und deswegen mehrfach die Kapuze hochziehen mußte, um sich die Kopfhörer aufzusetzen (und damit für den Zeugen eindeutig zu erkennen war) - mehr Merkmale kann kaum jemand benennen, wenn er oder sie sich an jemanden erinnert. Die Bundesanwaltschaft behauptet jetzt, daß die Erinnerung des Zeugen zwar in allen Punkten zutreffend sein kann, nur in einem nicht: die Person, die neben ihm gegangen ist, soll trotz der vielen Übereinstimmungen nicht Frank Hoffmann gewesen sein - denn für die Bundesanwaltschaft hat Frank Hoffmann ja geschossen.

Eike: Und damit kann auch die Bundesanwaltschaft wahrscheinlich nicht durchkommen. Auch im Fall von Andreas Semisch hat der Senat nach langem Kampf die Demontage des linguistischen Gutachters nicht einfach vom Tisch wischen können.

Alf: Es ist ein Versuch, den Senat zu zwingen, sich mit den Lügen auseinanderzusetzen. Das kann natürlich trotzdem schiefgehen. Aber es war nötig, das zu versuchen.

Arthur: Wobei dem Erfolg entgegenstehen kann, daß die Bundesanwaltschaft nur an der Verurteilung von Frank Hoffmann interessiert ist. Andreas Eichlers Verurteilung, jetzt wo sich alle von ihm als Verräter distanziert haben, hätte überhaupt keine abschreckende Wirkung mehr, würde im Gegenteil nur nochmal deutlich machen, daß sich Verrat nicht lohnt. Frank Hoffmann dagegen hat sich weder kooperativ verhalten, noch hat er die Solidarität aufgekündigt - seine Verurteilung bleibt damit ein wichtiges politisches Ziel der Bundesanwaltschaft, und irgend jemand muß, das liegt in der Logik dieses Verfahrens, verknackt werden, der Druck von rechts ist angesichts der beiden erschossenen Bullen schließlich extrem hoch.

Berichte über den Startbahn-Prozeß finden sich in KONKRET 1/88, 8/89 und 2/90

 

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