Kräftemessen ums Weltgericht

19.07.2002 | AutorIn:  Dr. Oliver Tolmein | Internationales Recht

Die Kontroverse um den International Criminal Court

Die Auseinandersetzung zwischen EU und USA um den Internationalen Ständigen Strafgerichtshof (IStGH) illustriert, dass die Justiz auf internationaler Ebene eine politische ist

Das Ende war absehbar: Die USA und die EU-Staaten würden sich auf einen Kompromiss einigen, um das Mandat für die Bosnien-Friedenstruppe verlängern zu können. Nun werden Angehörige von UN-Friedenstruppen, die aus Staaten kommen, die das Statut des Ständigen Internationalen Strafgerichtshofes (IStGH) nicht unterzeichnet haben, also Völkermord, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschheit begehen dürfen, ohne von dem neuen internationalen Strafgerichtshof dafür belangt werden zu können. In zwölf Monaten entscheidet der UN-Sicherheitsrat erneut, ob diese Ausnahmeregelung verlängert werden wird - und es spricht alles dafür, dass es so kommt.

Originär politisches Strafrecht

Die Auseinandersetzung um die Immunität von UN-Soldaten illustriert die Probleme eines internationalen Strafrechts eindrucksvoll: Es hat nicht nur, wie das nationale Strafrecht in den westlichen Demokratien, eine politische Komponente, es ist ein orginär politisches Strafrecht. Wer seinen Regeln unterliegt, gegen wen Anklage erhoben werden wird und wie die Verfahren dann geführt werden können, ist stets abhängig von den jeweiligen Kräftekonstellationen auf internationaler Ebene und von den politischen Vorstellungen und Überzeugungen der staatlichen Akteure. Vorstellungen, wie sie dem Legalitätsprinzip zugrunde liegen, das verlangt, dass jede Straftat ohne Ansehen der Person des Täters verfolgt wird, sind dem internationalen Strafrecht fremd - und werden ihm so lange fremd bleiben müssen, wie es kein internationales Gewaltmonopol gibt, das über die Machtmittel verfügte, dieses Strafrecht zu exekutieren.

Der Streit zwischen den USA und dem Rest der Welt, vor allem aber den EU-Staaten geht deswegen nicht um die Frage, ob es Staaten geben soll, die "über dem Recht stehen", wie es Bundesjustizministerin Däubler-Gmelin beklagte. Soldaten aus den EU-Staaten - das vorherzusagen bedarf es keiner außergewöhnlichen prophetischen Gabe - werden in den nächsten Jahren so wenig vor das internationale Strafgericht gebracht werden, wie US-Soldaten: Der Internationale Strafgerichtshof ist seinem Statut zufolge anders als das Internationale Kriegsverbrechertribunal für das frühere Jugoslawien nur subsidiär zuständig, also lediglich wenn nicht ein Staat, zum Beispiel der Herkunftsstaat eines mutmaßlichen Straftäters, dessen Verbrechen verfolgt. Deutschland, um nur ein Beispiel zu nennen, hat mittlerweile ein Völkerstrafgesetzbuch beschlossen, das ermöglicht alle Straftaten, für die der Internationale Strafgerichtshof zuständig sein könnte, auch selbst aburteilen zu können - und das nicht nur wenn sie von deutschen Staatsbürgern begangen wurden oder auf deutschem Territorium. Die deutsche Justiz kann nach dem Weltrechtsprinzip zumindest theoretisch überall auf der Welt und gegen jeden tätig werden. Ähnliche Regelungen haben auch andere europäische Länder verabschiedet.

Instrumente der Einflussnahme

Uneins sind die USA und die EU-Staaten vielmehr über die Frage, wie in den internationalen Beziehungen Einfluss genommen werden soll. Während die USA einen offen-interventionistischen Kurs verfolgen, in dessen Rahmen Militäraktionen alltägliches Mittel politischer Gestaltung sind, favorisieren die Europäer weniger direkt wirkende Steuerungsmittel. Verrechtlichung, wie sie durch Schaffung neuer Gerichtshöfe oder Verabschiedung von Konventionen betrieben wird, ist für sie ein wichtiges Instrument, mit dessen Hilfe sie ihre Stärke ausspielen können. Beide Wege sind dabei nicht exklusiv: Die USA haben, was derzeit oft vergessen wird, lange Zeit selbst die Entwicklung des Internationalen Strafgerichtshofs vorangetrieben und ohne sie wären Vorläuferinstitutionen wie die beiden Ad-Hoc-Kriegsverbrechertribunale für das frühere Jugoslawien und Rwanda nicht eingesetzt worden. Die EU-Staaten dagegen setzen durchaus auf militärische Interventionen, selbst wenn diese nicht durch Völkerrecht gedeckt sein sollten. Die Angriffe der NATO im Zuge des Kosovo-Krieges haben dafür eindrucksvolle Belege geliefert. Dass die NATO-Staaten allesamt scharf dagegen opponiert haben, dass das Internationale Kriegsverbrechertribunal für das frühere Jugoslawien auch nur Ermittlungen wegen der Verstöße gegen das Kriegsrecht, die im Zuge dieser Angriffe begangen worden sind, aufnimmt, wirft auch ein helles Licht auf das Primat des Rechts, das jetzt so gern beschworen wird. Konsequenterweise haben die EU-Staaten genauso wie die USA für ihr Afghanistan-Kontingent im Zuge bilateraler Vereinbarungen das erreicht, worauf die USA jetzt bei den Verhandlungen im UN-Sicherheitsrat zielten: Immunität der eigenen Truppe vor der Verfolgungen durch ein internationales Strafgericht.

Der Kosovo-Krieg der NATO gegen Jugoslawien ist noch in anderer Hinsicht interessant: Die Bundesrepublik Jugoslawien ist wegen der Angriffe der NATO-Staaten vor den Internationalen Gerichtshof gezogen, um die Völkerrechtswidrigkeit dieses Kriegs feststellen zu lassen. Der Internationale Gerichtshof ist in der UN-Charta als Rechtsprechungsorgan der UNO festgeschrieben. Anders als der neue Internationale Strafgerichtshof werden vor dem IGH aber Staaten und nicht Individuen verklagt. Die Prozeduren des IGH sind kompliziert und die meisten dort angestrengten Verfahren scheitern, weil eine der Parteien die zahlreichen Möglichkeiten nutzt, die Rechtsprechungskompetenz des IGH im jeweiligen Verfahren nicht anzuerkennen und diesen für unzuständig zu erklären. Genau diese Strategie haben auch die NATO-Staaten im Verfahren, das Jugoslawien angestrengt hat, gewählt. Das Engagement für die Verrechtlichung der internationalen Beziehungen lässt also spürbar nach, sobald die Gefahr besteht, dass die EU-Staaten selbst ihre politische Handlungsfreiheit durch rechtliche Instanzen beschneiden lassen müssen.

Gerangel um Zuständigkeiten

Sowohl die bislang juristisch nicht entschiedene Kontroverse um die Zuständigkeit des IGH für die Angriffe der NATO auf Jugoslawien als auch die Debatte um den Sinn von Ermittlungen des Internationalen Kriegsverbrechertribunals für das frühere Jugoslawien gegen die NATO-Staaten zeigen auch, wie machtlos die internationale Öffentlichkeit ist, wenn es darum geht die Institutionen des Rechts zu kontrollieren. Eine Vielzahl einflussreicher Menschenrechts-NGOs, die sich zusammen mit den EU-Staaten für die Schaffung und weite Kompetenzen de Internationalen Strafgerichtshofs stark machen, haben 1999 die Aufnahme von Ermittlungen gegen die NATO gefordert und sind damit rasch und klanglos gescheitert.

Auch die EU-Staaten haben mithin ein instrumentelles Verhältnis zum internationalen Recht. Anders als die USA versprechen sie sich von dessen Vordringen beim gegenwärtigen Stand der Dinge aber gute Chancen, mehr Einfluss nehmen und politisch gestaltend tätig sein zu können. Die EU-Staaten nutzen die Kontroverse um Den Internationalen Strafgerichtshof derzeit also vor allem, um ihre politische Position auf internationaler Ebene zu stärken. Die FAZ kommentierte das mit Blick auf die Kompromissmöglichkeiten im UN-Sicherheitsrat zutreffend mit der Feststellung: "Es wird eine Front aufgebaut, die den Anti-Amerikanismus langsam, aber sicher zum Euro-Gaullismus ausbaut." Allerdings führt der Begriff des "Euro-Gaullismus" auch in die Irre: Denn so bemüht Frankreich auch um eine Wahrung der eigenständigen Rolle Europas gegenüber den USA ist, die treibende Kraft in den Auseinandersetzungen gerade um den Internationalen Strafgerichtshof ist nach wie vor Deutschland, das in den Vorverhandlungen um die Ausgestaltung des Internationalen Strafgerichtshofs auch bereits signalisiert hat, dass es gerne einen Deutschen auf dem Posten des Chefanklägers sähe. Denn der Chefankläger kann weitgehend alleine entscheiden gegen wen er Ermittlungen einleiten möchte und hat daher eine äußerst einflussreiche Position. Schließlich ist es bereits das Ermittlungsverfahren selbst, das ein Verhalten anprangert und damit politische Wirkungen entfaltet, die durch ein Urteil oder einen Freispruch später kaum mehr relativiert werden können.

Neues Römisches Imperium

Die Rolle der europäischen Staaten kritisch zu sehen bedeutet nicht, die politische Entwicklung, die die USA vorantreiben, für akzeptabel zu halten. Seine Machtpolitik, die jede Form von Kooperation, die geeignet wäre, sie in die Pflicht zu nehmen, ablehnt, schafft auf Dauer eine erhebliche Spannung im internationalen System. Da auch aus Sicht der USA längst nicht alle Konflikte mit Hilfe von Flugzeugträgereinsatz und Luft-Boden-Raketen zu lösen sind, werden damit Konfliktregelungsmechanismen zerstört, die auch für sie selbst von Bedeutung sein könnten. Es ist kein Zufall, dass in den USA die Diskussion über die unzureichende Verlässlichkeit der westlichen Verbündeten weitgehend resigniert abgeschlossen scheint, nun aber gerade eine Debatte darüber entbrennt, inwieweit das eigene Imperium dem alten römischen Weltreich vergleichbar ist - das seinen Expansionspolitik mit zunehmend gewalttätigen Auseinandersetzungen im Inneren bezahlen musste.

Den EU-Staaten hat der Ausgang der aktuellen Kontroverse um die Zuständigkeit des Internationalen Strafgerichtshofs auch für US-amerikanische Soldaten eine Grenze aufgezeigt, die sie derzeit nicht überschreiten können. Als diplomatische Niederlage lässt sich der jetzt gefundene Kompromiss dennoch kaum qualifizieren, denn die USA musste eine erhebliche Kraftanstrengung unternehmen, um nicht offen düpiert zu werden. Dass der Internationale Strafgerichtshof überhaupt gegen den Willen der USA diese Bedeutung erlangen konnte, die er derzeit hat, signalisiert mithin viel mehr, wie erfolgreich die EU mit ihrer Konfrontationspolitik sein kann. Die gegenwärtigen politischen Auseinandersetzungen um den Internationalen Strafgerichtshof dürften insofern auf absehbare Zeit wichtiger sein, als die Arbeit, die der Internationale Strafgerichtshof, wenn er im nächsten Frühjahr nach Wahl der Richter und Ankläger funktionsfähig sein wird, überhaupt leisten kann.

 

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