Krieger vor Gericht

09.06.1999 | AutorIn:  Dr. Oliver Tolmein | Internationales Recht

Veröffentlicht in: Jungle World, 9.6.1999

Intervenieren, anklagen, verhandeln. Hat, wer die Macht hat, auch das Recht? Zum Jugoslawien-Konflikt vor Internationalen Gerichten

Am Anfang des Krieges der Nato gegen die Bundesrepublik Jugoslawien tagten internationale Diplomaten in Rambouillet. Das zumindest vorläufige Ende des Waffengangs wird begleitet von Auftritten internationaler Juristen.

Kurz bevor die Emissäre der EU und der G 8-Staaten nach Belgrad aufgebrochen sind, verkündete die Chefanklägerin des Ad-hoc-Kriegsverbrechertribunals in Den Haag ihre Anklage gegen den amtierenden jugoslawischen Präsidenten. Bald darauf entschieden die Richter des ständigen Internationalen Gerichtshofes, des Rechtsprechungsorgans der Uno, daß sie keine Einstweilige Anordnung gegen die kriegführenden Nato-Staaten erlassen könnten, weil ihre Zuständigkeit mit Blick auf die Kriegshandlungen zweifelhaft erscheint.

In der Öffentlichkeit der Nato-Staaten ist der Richterspruch des Internationalen Gerichtshofes allenfalls oberflächlich zur Kenntnis genommen worden. Die Anklage gegen Milosevic hingegen hat für erhebliches Aufsehen gesorgt. Die oft geäußerte Besorgnis, die Klage gegen den Staatspräsidenten werde einen Waffenstillstand verhindern, weil man mit Verbrechern nicht verhandeln könne, hat sich dabei als wenig stichhaltig erwiesen.

Wichtig an der Anklage gegen Milosevic, die just zu dem Zeitpunkt veröffentlicht wurde, als die öffentliche Zustimmung zu den permanenten Luftangriffen immer geringer wurde, ist vielmehr, daß sie den Nato-Krieg legitimiert, indem sie ihn noch im nachhinein als eine Art Polizei-Einsatz zur Beendigung schlimmster Straftaten - Völkermord und Kriegsverbrechen - erscheinen läßt.

Die Anklage gegen Milosevic wird darüber hinaus auch Folgewirkungen für den Friedens- und Verhandlungsprozeß zeitigen. Seine Handlungsfähigkeit als Staatschef ist durch den drohenden Prozeß nachhaltig eingeschränkt, weil alle Uno-Staaten verpflichtet sind, ihn dem Kriegsverbechertribunal zu überstellen.

Der serbische Politiker ist damit, wie die FAZ zufrieden anmerkt, zu einem "internationalen Paria" geworden. Von der Anklage soll deswegen, vermerkt die Zeitung weiter, "selbst wenn keine Strafe verhängt wird, eine abschreckende Wirkung ausgehen, die staatliche Außenpolitik nicht erreichen kann. Umgekehrt kann die neue Außenpolitik sich stärker auf ihre Kernaufgaben konzentrieren und gewinnt damit neue Handlungsspielräume."

Mit Blick auf den Nato-Krieg und die Handlungen zweier internationaler Gerichte ist durch deren unterschiedliche Befugnisse die seltsam anmutende, aber charakteristische Situation herbeigeführt worden, daß die Nato sich für ihren Krieg, der nach ganz überwiegender Meinung einen schweren Verstoß gegen geltendes Völkerrecht darstellt, nicht verantworten muß.

Sie beansprucht zwar, den Krieg zur Durchsetzung grundlegender menschenrechtlicher Prinzipien geführt zu haben, verhindert aber, daß es in irgendeiner Form durch irgendeine Institution zur Überprüfung ihres Vorgehens kommen kann: Das aber wäre - beispielsweise mit Blick auf die sehr weite und neue Auslegung dessen, was ein legitimes militärisches Ziel im Krieg darstellen kann (Fernsehstationen, Stromwerke) - angesichts der Abkommen des humanitären Völkerrechts dringend geboten, sollen diese Regelungen künftig nicht völlig substanzlos werden. Der Staatspräsident des angegriffenen Staates Jugoslawien wird dagegen für sein Verhalten im Verlauf dieses Krieges vor dem Kriegsverbrechertribunal individuell zur Rechenschaft gezogen.

Internationales Strafrecht, so wie es derzeit diskutiert wird und wie es sich vor allem im Statut des Kriegsverbrechertribunals niedergeschlagen hat, ist - anders als öffentliches internationales Recht - zwingendes Recht. Der Gerichtsbarkeit des Internationalen Gerichtshofes der Uno unterwerfen sich die Staaten im allgemeinen von Fall zu Fall nur auf eigene Entscheidung hin. Und sie erklären, wenn eine Verurteilung droht, die Uno-Gerichtsbarkeit für unzuständig. Demgegenüber kann das Kriegsverbrechertribunal Anklage erheben, gegen wen es will - vorausgesetzt, die Straftaten stehen in Zusammenhang mit kriegerischen Auseinandersetzungen auf dem Territorium des ehemaligen Jugoslawien.

Während aber jeder Staat, der den Internationalen Gerichtshof anerkennt, vor diesem auch ein Verfahren einleiten kann, ermittelt das Kriegsverbrechertribunal selbst und entscheidet schließlich autonom über die Anklage-Erhebung. Das entspricht zwar den im nationalen Strafrecht üblichen Gepflogenheiten - nur fehlen im Völkerrecht die entscheidenden flankierenden Regelungen des internationalen Strafrechts.

Weder gibt es, wie beispielsweise in Deutschland, ein internationales Legalitätsprinzip, das die Anklagebehörde zwingen würde, gegen jeden Straftäter zu ermitteln. Noch gibt es eine Beschwerde-Instanz, etwas dem Klage-Erzwingungsverfahren Vergleichbares oder gar eine internationale Öffentlichkeit, die die Tätigkeit der Justiz auch nur halbwegs kontrollieren könnte.

Da das Kriegsverbrechertribunal in Den Haag auch nicht, wie beispielsweise der Nürnberger Strafgerichtshof, über abgeschlossene Verbrechen urteilt, sondern in laufende Konflikte und Auseinandersetzungen interveniert, hat es mit traditionellem Strafrecht nur wenig zu tun. Obwohl die Straftatbestände "Völkermord", "Kriegsverbrechen", "Verbrechen gegen die Menschheit" suggerieren, daß hier eine an hehren Prinzipien orientierte Sicherung grundlegender Menschenrechte betrieben werde, läßt die Praxis des Gerichts eher Zweifel aufkommen, daß hier tatsächlich einer Weltgerechtigkeit Vorschub geleistet wird.

Neben dem Zeitpunkt der Anklage und der Frage nach der Solidität des dafür verwendeten Materials, das offensichtlich zu großen Teilen von der Nato zur Verfügung gestellt wurde, erscheint vor allem fragwürdig, warum nur gegen Milosevic und nicht auch gegen Anführer der UCK oder auch Befehlshaber der Nato-Truppen in diesem Konflikt ermittelt wurde.

Bezieht man den gesamten Jugoslawien-Konflikt ein, fällt auf, daß weitaus mehr serbische Militärs und Politiker angeklagt worden sind als bosnische und kroatische - was nur begrenzt mit dem Vorgehen der jeweiligen Fraktionen im Krieg zu erklären ist. Und es stellt sich weiterhin die Frage, warum gerade für den Jugoslawien-Krieg ein Ad-hoc-Tribunal eingerichtet wurde, nicht aber für andere auf der Welt geführte Kriege: den Afghanistan-Krieg, den Kurden-Konflikt etc.

Daß internationale Strafjustiz selektiv vorgehen muß, hat der Frankfurter Strafrechtswissenschaftler Herbert Jäger in einem Essay über Makrokriminalität, die Kriminalität der Mächtigen, festgehalten. Er formuliert: "Eine internationale Strafgerichtsbarkeit sollte sich daher auf herausragende Fälle von besonderer Bedeutung beschränken. Sie wird jedenfalls nicht Gerechtigkeit im Sinn von Gleichbehandlung herstellen, sondern nur Exempel statuieren können."

Ein Strafrecht, dessen Ziel es ist, "Exempel zu statuieren", läßt sich mit den westlichen Vorstellungen eines modernen Strafrechts schwer in Einklang bringen. Zu rechtfertigen ist diese Zielsetzung wohl nur, wenn man den politischen Charakter, den das Völkerstrafrecht damit hat und haben wird, offen diskutiert und damit auch die Konsequenzen anerkennt: Dieses Völkerstrafrecht mag ethisch fundiert sein und den Mächtigen das Signal geben, daß auch sie sich möglicherweise verantworten müssen, es ist aber vor allem ein Strafrecht, das Zweck-Erwägungen folgt.

Herbert Jäger schreibt weiter: "Es muß das vordringliche Ziel einer Kriminalpolitik des Völkerstrafrechts sein, gleichzeitig mit einer völkerkriminalrechtlichen Normenordnung ein normatives Klima zu schaffen, in dem diese Ordnung überhaupt erst ihre Wirkung entfalten kann. Auch wenn Strafverfolgung dabei nicht das vorrangige Ziel wäre, könnte die Anwendung des Völkerstrafrechts immerhin die Bewährung des Völkerrechts in der Wirklichkeit erweisen, da sie der Menschheit zum Bewußtsein brächte, daß das Völkerrecht Recht ist und schließlich gegenüber dem Rechtsbrecher durchgesetzt wird."

Für den Jugoslawien-Konflikt, insbesondere für den Nato-Krieg und damit auch für die Anklage gegen Milosevic, kann man nur festhalten, daß von dieser Zielsetzung nichts zu spüren ist: Hier statuiert das Kriegsverbrechertribunal kein Exempel, das die Geltung des Völkerrechts betont, sondern es im Gegenteil unterminiert, indem es das völkerrechtswidrige Vorgehen der Nato-Staaten unterstützt. Auch sonst ist das Exempel, das statuiert wird, zumindest problematisch: Die staatliche Souveränität verliert im internationalen Recht an Bedeutung, damit werden auch Interventions- und Nichteinmischungsverbote zunehmend wertlos.

Das könnte für eine Linke, die nationale Souveränität zu Recht für ein verzichtbares Prinzip hält, unproblematisch sein - faktisch begünstigt es aber die Staaten, die überhaupt nur zu solchen Interventionen und Einmischungen in der Lage sind. Es sind die gleichen Staaten, deren Politiker bislang zumindest nicht Gefahr laufen, vor einem Ad-hoc-Kriegsverbrechertribunal angeklagt zu werden - und das sicher nicht, weil sie prinzipiell die Menschenrechte besser einhalten als alle anderen.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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