Mister X

14.06.2003 | AutorIn:  Dr. Oliver Tolmein | Internationales Recht

Das Internationale Kriegsverbrechertribunal und das Journalistenprivileg

Frankfurter Allgemeine Zeitung 14. Juni 2002: Das Internationale Kriegsverbrechertribunal für das frühere Jugoslawien will einen us-amerikanischen Reporter zur Aussage zwingen.

Während die amerikanische Regierung gerade ein Gesetz durchfechtet, dem zufolge sie im Falle einer Anklage gegen Angehörige ihrer Armee vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag zum Angriff auf Holland berechtigt sei, ist vor der dort tagenden Zweiten Strafkammer des Internationalen Kriegsverbrechertribunals für das frühere Jugoslawien für einen ehemaligen Korrespondenten der "Washington Post" der Ernstfall schon eingetreten. Als Zeuge der Anklage jedenfalls: Der Reporter Jonathan Randal kann zu einer Aussage gezwungen werden, stellte das Gericht jetzt fest.

In den Prozeßregeln, die das Gericht selbst erläßt, sind die Aussageverweigerungsrechte nicht umfassend geregelt. In früheren Entscheidungen wurde Angehörigen des Internationalen Roten Kreuzes, Unprofor-Offizieren und Mitarbeitern des Tribunals selbst das Recht zugebilligt, nicht aussagen zu müssen. Mit seinem jetzigen Beschluß hat das internationale Strafgericht erstmals über ein Zeugnisverweigerungsrecht für Journalisten entschieden. Zwar haben schon mehrere Reporter in Verfahren ausgesagt, dies aber stets freiwillig. Randal, der als erster amerikanischer Journalist einem Kreuzverhör unterzogen werden sollte, wandte ein, daß es die journalistische Unabhängigkeit unterminiere, wenn er als Zeuge auftrete.

Randal soll nach dem Willen der Anklage über die Umstände und den Verlauf eines Interviews mit dem serbischen Politiker Radoslav Brdanin befragt werden. Zitate aus diesem Gespräch, in denen sich Brdanin für eine "ethnische Säuberung" in der Krajina ausspricht, wurden in einem Artikel im Februar 1993 von der "Washington Post" veröffentlicht. In dem gegen ihn laufenden Verfahren wegen Völkermord und Verbrechen gegen die Menschheit hat Brdanin reklamiert, daß die Zitate unzutreffend seien. Da Randal das Gespräch mit Hilfe eines Übersetzers geführt hat, ist allerdings unklar, wie er in der Lage sein soll, die Korrektheit der Zitate zu bezeugen. Den Übersetzer, der in den Gerichtsakten nur als "X" bezeichnet wird und von dem Brdanin sagt, er sei ihm gegenüber feindlich eingestellt gewesen, will die Anklage um seiner persönlichen Sicherheit willen nicht vorladen.

Das Gericht argumentiert, Randal könne sich nicht auf ein Zeugnisverweigerungsrecht berufen, da es nicht darum gehe, vertrauliche Quellen aufzudecken. Nur der Schutz von Informanten und Quellen sei international allgemein anerkannt. Würden dagegen die Entstehungsbedingungen eines Artikels vor Gericht erörtert, füge das niemandem erkennbaren Schaden zu. Im Gegenteil: Nur wenn die Arbeit von Journalisten, die häufig erst auf Menschenrechtsverletzungen aufmerksam mache, vor Gericht auch Gegenstand der Beweisaufnahme werde, sei sie wirklich bedeutsam: "Das gilt vor allem heute, da internationale Strafgerichte mehr sind als ein Traum." Der Journalist leiste eine wichtige Hilfe, "um diejenigen, die für Verbrechen verantwortlich sind, über die Journalisten schreiben, der Gerechtigkeit zuzuführen".

Gegen die streckenweise pathetisch formulierte Entscheidung, die keinen Unterschied zwischen der Schaffung von Öffentlichkeit durch Berichterstattung und der Verfolgung von Verbrechen durch die neue internationale Strafgerichtsbarkeit sieht, kann Randal, der von der "Washington Post" unterstützt wird, in die Revision gehen.

 

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